Werden die Wolfsburgerinnen zu "Invincibles"? Darauf kommt es in der Rückrunde an

Diese Saison noch ungeschlagen: Die Frauen des VfL Wolfsburg
Diese Saison noch ungeschlagen: Die Frauen des VfL Wolfsburg / Martin Rose/GettyImages
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Zehn Spiele, zehn Siege: Der VfL Wolfsburg ist mit viel Selbstbewusstsein in die Winterpause gegangen und will nochmal verbessert in die Rückrunde starten. Für die Double-Gewinnerinnen um Alexandra Popp, Svenja Huth und Lena Oberdorf geht es 2023 nicht nur um den Bundesliga-Titel, sondern auch um internationalen Erfolg. Worauf kommt es dafür an?


FA Womens Cup Final: Arsenal v Charlton Athletic
2007 waren sie "invincible": Arsenal gewann alle Wettbewerbe. Kann Wolfsburg es ihnen nachmachen? / Christopher Lee/GettyImages

"Invincibles" hat es in der Geschichte des Frauenfußballs schon mehrmals gegeben: 2006/07 gewann der FC Arsenal etwa ungeschlagen die Liga, krönte sich dazu zum Champions-League-Sieger und nahm auch den Pokal mit nach Hause. Letzte Saison war der FC Barcelona auf dem besten Weg, dasselbe zu erreichen, scheiterte aber im wichtigsten Spiel der Saison: dem Champions-League-Finale gegen Olympique Lyonnais.

Offiziell will beim VfL Wolfsburg niemand eine perfekte Saison als Ziel ausgeben. Ob auch eine Niederlage dabei ist, fällt schließlich wenig ins Gewicht, wenn am Ende trotzdem Titel gewonnen werden. Das Siegen sind sie zumindest schon gewohnt: Die Wolfsburgerinnen sind aktuell in einer langen Sieges-Serie, 2022 wurden in der Liga und im Pokal alle Spiele gewonnen. Für Trainer Tommy Stroot war das aber keine Priorität, wie er neulich in einem Interview sagte: "Es war nicht unser erklärtes Ziel, jede Partie für uns zu entscheiden."

So wird es auch 2023 sein. Aber nach zehn Siegen in der Frauen-Bundesliga und als einer der Anwärter auf den UWCL-Titel ist eine Saison ohne Niederlage für die Wölfinnen durchaus möglich. Der DFB-Pokal ist sowieso die Paradedisziplin des VfL, achtmal hintereinander triumphierten die Wolfsburgerinnen im Finale, 42 Spiele in Folge wurden gewonnen.

Tommy Stroot
Hat mit Wolfsburg Titel im Visier, aber neigt nicht zum Träumen: Tommy Stroot / Martin Rose/GettyImages

Stroot würde sich über eine Fortsetzung der Serie sicherlich nicht beschweren, würde aber keine Wetten darauf abschließen: "Grundsätzlich erscheint es total unrealistisch, eine komplette Saison ohne Punktverlust bleiben zu können. Irgendwann werden auch mal Rückschläge kommen. Mal sehen, wie weit wir diesen Zeitpunkt noch nach hinten schieben können."

Frauen-Bundesliga: Wolfsburg dominant, nur in drei Spielen Probleme

In der ersten Hälfte der Saison waren diese Rückschläge rar. Die allermeisten der zehn Siege in der Frauen-Bundesliga fuhr Stroots Team souverän ein, meist auch ohne Gegentor. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die Spiele zu werfen, in denen das ausnahmsweise nicht der Fall war. Bei drei Begegnungen mussten die Wölfinnen besonders kämpfen.

Schwierigkeiten gegen Hoffenheim, Bayern und Bremen

Am zweiten Spieltag tat sich Wolfsburg gegen Hoffenheim sehr schwer, verzweifelte nach einem unglücklichen Gegentor an der gut organisierten Defensive der TSG. Mit zunehmender Spieldauer verlegten sich die Wolfsburgerinnen mehr und mehr auf lange Bälle, was letztendlich von Erfolg gekrönt war. Hoffenheim konnte dem starken Druck nicht mehr standhalten, Jule Brand wurde mit dem Siegtreffer gegen ihren Ex-Klub zur Spielerin des Spiels. Trotzdem war der Sieg enger, als es Stroot lieb gewesen wäre.

Beim wohl schwierigsten Spiel der Saison, einige Wochen später gegen Bayern, musste Wolfsburg in der Schlussphase ebenfalls zittern. In den finalen Minuten ging es in dem Spiel aber eher ums Verteidigen: Mit einer 2:1-Führung im Rücken ließ Wolfsburg den Vizemeister noch zu einigen gefährlichen Situationen kommen. Insgesamt war es ein eher zerfahrenes Spiel, auch wenn Wolfsburg das Heft in der Hand hatte.

Ähnlich sah es eine Woche später gegen Bremen aus. Dort war Wolfsburg nach dem frühen Führungstreffer schnell auf der Siegesstraße, nahm dann aber doch noch unnötige Umwege. Werder, eigentlich nicht für seine Offensivstärke bekannt, kam nochmal gefährlich nah heran. Beide Gegentore konnten eigentlich in die Kategorie "vermeidbar" eingeordnet werden.

Sehr gute Hinrunde - aber Stroot weiß sie einzuordnen

Diese drei Spiele waren aber die einzigen, in denen Wolfsburg ernsthafte Schwierigkeiten hatte. Nur in einem weiteren Spiel musste der VfL überhaupt ein Gegentor hinnehmen - und das fiel beim 6:1 gegen Leverkusen eher weniger ins Gewicht. Gegen Ende der Hinrunde kam Wolfsburg richtig ins Rollen, gewann mit 4:0, 4:0, 5:0 und 3:0. Dass der höchste Sieg in dieser Serie gegen den drittplatzierten Frankfurt kam, hätte man vor der Saison wohl auch nicht gedacht. Das 5:0 gegen die Eintracht war die wohl dominanteste Leistung der Wolfsburgerinnen und ein absoluter Machtbeweis.

Insgesamt kann der VfL positiv auf die Hinrunde in der Frauen-Bundesliga zurückblicken, weiß diese aber einzuordnen. Gegen Hoffenheim und Bayern war auch ein wenig Glück dabei, und die schwerste Phase steht erst noch bevor. Stroot will daher den Tag nicht vor dem Abend loben, sagte: "In dieser Saison haben wir noch nichts erreicht." Bei aller Bescheidenheit kann man Wolfsburg dennoch ein Lob dafür aussprechen, wie selbstverständlich und souverän ein Großteil der Spiele gewonnen wurden.

Champions League: Souveräner Gruppensieg mit Makeln

International hatte Wolfsburg mit St. Pölten, Slavia Prag und der AS Roma eine machbare Gruppe erwischt. Der Gruppensieg war von Anfang an das Ziel des VfL, auf dem Weg dahin begegneten den Wolfsburgerinnen aber ein paar Stolpersteine. Gegen die gut aufgelegte Roma auswärts Punkte liegen zu lassen, war kein Weltuntergang für Wolfsburg, auch wenn sich die Spielerinnen sichtlich über den ersten Punktverlust ärgerten. Im Rückspiel machten sie es offensiv besser, beim 4:2-Spektakel zeigten die Wölfinnen aber auch die größten Baustellen in der Defensive.

Der zweite Punktverlust in der Champions League zeigte perfekt auf, dass dieses Wolfsburger Team schwer zu stoppen ist. Allerdings können sie sich auch selber stoppen. Beim 0:0 gegen Slavia Prag scheiterte Wolfsburg an einer starken Torhüterin, genauso sehr aber an der eigenen desaströsen Chancenverwertung. Trotz ganzen 35 Schüssen brachte der VfL das Prag-Netz einfach nicht zum Zappeln.


Auf diese Stärken kann sich Wolfsburg in der Rückrunde verlassen

Mentalität

Die Reaktion der Wolfsburgerinnen auf dieses frustrierende Unentschieden zeigte aber eine der ganz großen Stärken des Teams auf. Kathy Hendrich kündigte an, dass St. Pölten sich auf etwas gefasst machen könne. Der VfL ließ den Worten Taten folgen: Mit 8:2 fertigten sie den österreichischen Meister im letzten Gruppenspiel ab.

"Immer hungrig", das ist nicht einfach eine Phrase für dieses Team, sondern die gelebte Mentalität. "Es ist einfach die DNA unserer Mannschaft, jeden Wettkampf mit vollem Einsatz anzugehen, immer alles zu geben und unbedingt als Sieger vom Platz gehen zu wollen - in den Spielen, aber auch schon im Training", sagt auch Stroot.

Mit einer guten Einstellung allein lässt sich allerdings noch kein Spiel gewinnen. Wenn der Gegner stets technisch und taktisch überlegen wäre, könnte Wolfsburg noch so viel um den Sieg kämpfen, es würde wohl wenig bringen. Daher ist auch immer die Frage, wie hoch die vielbesungene Mentalität der Wolfsburgerinnen einzuordnen ist, und ob sie Grundstein des Erfolgs oder nur ein Bonus für die schwierigsten Spiele ist.

Kaderbreite

Ewa Pajor, Sveindis Jonsdottir, Tabea Wassmuth
Edeljoker: Sveindis Jonsdottir und Tabea Waßmuth / Cathrin Mueller/GettyImages

Bei den schwierigen Spielen kann sich Tommy Stroot neben einer starken ersten Elf um Pajor und Oberdorf auch auf seine Einwechselspielerinnen verlassen, die in manch kniffliger Situation noch die Kohlen aus dem Feuer holen können. Sveindis Jonsdottir etwa, die in der Frauen-Bundesliga achtmal von der Bank kam, aber dennoch eine der gefährlichsten Linksaußen war. Die Wolfsburger Edeljokerinnen um Jonsdottir, Rebecka Blomqvist, Tabea Waßmuth oder Jule Brand stachen gegen müde Gegnerinnen in vielen Begegnungen.

Stroot hat mit ihnen auch verschiedene Spielertypen zur Verfügung und kann etwa zwischen der Schnelligkeit von Waßmuth, Blomqvists Auge für den richtigen Pass und Jule Brands Qualitäten im Dribbling auswählen. In der Verteidigung ist Marina Hegering, bei der EM eine der besten Innenverteidigerinnen, ein echter Luxus-Backup.

Flüssiger Kombinationsfußball

Seit dem Amtsantritt von Tommy Stroot vor anderthalb Jahren ist der VfL aus dem Ballbesitz heraus deutlich gefährlicher geworden. Zunächst war gegen Gegner wie Chelsea noch Kontern das Mittel der Wahl, inzwischen nimmt Wolfsburg das Heft auch in großen Spielen wie selbstverständlich in die Hand. Dabei greifen die Wölfinnen auf ein großes Repertoire an Lösungen zurück, um sich in das letzte Drittel zu kombinieren: Dribblings, Flanken, Tempoläufe. Bevorzugtes Mittel bei den meisten Angriffen ist aber der Pass.

Wolfsburg will die gegnerische Defensive idealerweise mit einigen schnellen Pässen aushebeln und ist darin bereits deutlich besser geworden. Gerne lässt der VfL den Ball klatschen, um direkt weiterzuspielen. In den meisten Szenen bleiben die Spielerinnen nicht lange am Ball, sondern geben, teils ohne aufzuschauen, weiter. Dieser One-Touch-Fußball erfordert von Stroots Elf einiges an Übersicht und Gedankenschnelligkeit, wird aber oft belohnt.

Effektives Pressing im Rudel

Das heißt gleichzeitig nicht, dass Kontern inzwischen zum Tabu geworden ist. Bei Wolfsburgs schnellen Stürmerinnen, wie Pajor und Waßmuth, wäre das auch verwunderlich. Der VfL ist das Team, das die meisten direkten Angriffe gespielt hat (24), was Wolfsburg deutlich von Bayern abhebt, die unter Alexander Straus nur noch selten auf den Gegenstoß zurückgreifen: Sie spielten halb so viele Konter.

Das ist natürlich kein Zufall, denn Stroot und sein Team setzen auf ein aggressives Pressing, das idealerweise zu Ballgewinnen und damit auch Kontern führt. In den Statistiken zum Pressing, wie den Ballgewinnen in der gegnerischen Hälfte, liegt Wolfsburg in der Frauen-Bundesliga vorne. Popp und Co. können mit ihrer Laufstärke und Disziplin die meisten Verteidigungslinien ins Schwitzen bringen. Dazu kommt, dass Wolfsburg sich beim Pressing variantenreich gezeigt hat und mal besonders die Innenverteidigerinnen attackiert hat, mal besonders die Wege über außen zustellen wollte.


Die Baustellen: Daran könnte Wolfsburg scheitern

Defensive: Resistenz gegen hohes Pressing

Kurz: Bei Wolfsburg stimmt schon sehr viel. In den großen Spielen der Saison, wie den K.o.-Spielen in der UWCL oder dem Rückrunden-Spiel gegen Bayern, wird es wahrscheinlich viel auf Details ankommen. In einigen Punkten hat Wolfsburg noch Verbesserungsbedarf, wenn das Team auch gegen die Allerbesten bestehen will.

Dazu gehört die Resistenz gegen ein hohes Pressing. Im letzten Jahr tat sich Wolfsburg im Camp Nou sehr schwer damit, gegen bissige Katalaninnen vernünftige Pässe zu spielen. Die Probleme, das Pressing von Barcelona zu überwinden, waren einer der Hauptgründe für die herbe 1:5-Niederlage im Hinspiel. Auch ein Dreivierteljahr später kann ein hohes Pressing Wolfsburg durchaus wehtun. Das zeigte sich etwa phasenweise beim Duell gegen Bayern.

Abstimmung in der Abwehr

Ausgespielt nach den Regeln der Kunst wurde Wolfsburg in der Hinrunde eigentlich nur sehr selten. Bei einigen Gegentoren wird sich Tommy Stroot dagegen gefragt haben, ob das wirklich hätte sein müssen. Der VfL leistete sich einige haarsträubende individuelle Fehler. Gravierender war aber, dass Abstimmungsprobleme in der Abwehr zu einigen gefährlichen Szenen für die Wolfsburger Viererkette führten.

Die Außenverteidigerinnen Wilms und Rauch sind es etwa gewohnt, sehr weit vorne zu stehen und zu attackieren. Dass das nicht immer gut geht, zeigte etwa das turbulente 4:2 gegen Rom, wo die Italienerinnen gerne und oft den Platz zwischen Wilms und Hendrich ausnutzten. In diesen Momenten war Wolfsburg nicht kompakt genug, neigte teils auch zur Passivität. Oft wurde das aufgefangen, indem die Mittelfeldspielerinnen hinten aushalfen, aber für die Stabilität wäre es förderlich, diese Löcher nicht zu stopfen, sondern gar nicht erst entstehen zu lassen.

Flexibilität

In den meisten Begegnungen waren es eher defensive Unkonzentriertheiten, die den Wolfsburg-Fans Sorgen machten. Im Interview mit dem DFB nannte Tommy Stroot, etwas überraschend vielleicht, aber einen anderen Aspekt: "Ich denke, dass wir beispielsweise noch flexibler und damit unberechenbarer für die jeweiligen Gegner werden können", sagte der 34-Jährige auf die Frage nach dem Verbesserungspotenzial seiner Truppe.

Damit kann auch die Verteidigung gemeint sein, in der Hinrunde fiel Stroots Befund aber eher für die Offensive auf. Besonders in dem Hoffenheim-Spiel, als Wolfsburg nach 80 frustrierenden Minuten mit seinem Latein am Ende war, war die fehlende Flexibilität ein Problem. In den allermeisten Bundesliga-Spielen war Stroot nicht dazu gezwungen, viel umzustellen, weil es lief wie geplant. Die Viertelfinal-Spiele in der Champions League dagegen werden es von Wolfsburg verlangen, sich während dem Spiel anzupassen.

Wenn sie auch das unter Beweis stellen - warum sollte eine perfekte Saison dann nicht möglich sein?


Hier geht's zu unseren Rankings für die Frauen-Bundesliga-Hinrunde:

Die 5 besten Torhüterinnen
Die 5 besten Rechtsverteidigerinnen
Die 5 besten Innenverteidigerinnen
Die 5 besten Linksverteidigerinnen
Die 5 besten defensiven Mittelfeldspielerinnen
Die 5 besten zentralen Mittelfeldspielerinnen

Die 5 besten offensiven Mittelfeldspielerinnen
Die 5 besten Rechtsaußen
Die 5 besten Linksaußen
Die 5 besten Stürmerinnen


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