90min-Nostalgie: Pliquetts Kung-Fu-Tritt gegen die Eckfahne - und der Beginn des Derby-Fluchs

Boris Streubel/Getty Images
facebooktwitterreddit

Am kommenden Freitag (18.30 Uhr) treffen im Hamburger Volksparkstadion der HSV und der FC St. Pauli aufeinander. Im Unterhaus ist es der vierte Vergleich beider Teams in der Heimstatt der Rothosen (bisherige Bilanz: zwei Unentschieden, eine Niederlage aus Sicht des HSV). Doch wirklich warm ums Herz wird den Anhängern des Kiez-Klubs vor allem, wenn sie an den 16. Februar 2011 zurückdenken.


Denn damals maßen sich die Stadtnachbarn noch im Rahmen der Bundesliga. Es sollte ein für beide Teams wegweisendes Spiel werden. Wenngleich der Weg vor allem für die Braunen einen ganz anderen Verlauf nehmen sollte, als noch an jenem Februarabend gedacht. Aber der Reihe nach.

Europa-League-Ambitionen vs Abstiegskampf

Tabellarisch weilten die Gastgeber vor dieser Begegnung noch in einer recht komfortablen Zone, hielten Tuchfühlung zu den Europa-League-Plätzen. Die als Aufsteiger in die Saison gestarteten Kiez-Kicker hingegen befanden sich im (erwarteten) Abstiegskampf.

Doch am Wochenende zuvor hatte die von Holger Stanislawski trainierte Mannschaft einen wichtigen, weil die Moral stärkenden 3:1-Sieg gegen das damalige Schlusslicht Borussia Mönchengladbach (!) feiern können, während sich der HSV mit einem 1:0-Sieg in Wolfsburg schadlos gehalten hatte.

Die Rollen an diesem kalten Winterabend waren dennoch klar verteilt. 57.000 Zuschauer in der pickepackevollen Imtech-Arena erwarteten mehrheitlich einen Sieg der Hausherren.

HSV optisch überlegen, St. Pauli mit rustikaler Gegenwehr

Das Spiel entwickelte sich dann auch von Beginn an in den erwarteten Bahnen: Die Gastgeber waren drückend überlegen, kamen aber in Durchgang eins nur durch Standards zu einigen Chancen.

Die Gäste wiederum verlegten sich auf eine rustikale Spielweise - und hatten damit durchaus Erfolg: spielerisch kam der HSV kaum zum Zuge. Nicht zuletzt auch aufgrund der ständigen Unterbrechungen wegen kleinerer oder größerer Fouls des Gegners.

Nach der Pause dasselbe Bild: die Mannschaft von Armin Veh rannte an, St. Pauli verteidigte leidenschaftlich. Und just in der Phase, als das Tor für die Rothosen förmlich in der Luft lag, landete der Underdog mal wieder einen seinen sehr sporadischen Konter, der in eine anschließende Ecke mündete.

Diese wurde von Max Kruse getreten, von Fabian Boll verlängert und von Gerald Asamoah am langen Pfosten zur überraschenden Führung der Gäste verwertet. Das Spiel war buchstäblich auf den Kopf gestellt. Und den HSV-Spielern der Zahn gezogen.

RESTRICTIONS / EMBARGO - ONLINE CLIENTS
Gerald Asamoah wurde mit seinem Tor zum tragischen Derby-Helden, denn am Ende der Saison stiegen die Kiez-Kicker doch noch ab / ODD ANDERSEN/Getty Images

Erster Sieg von St. Pauli im Volkspark seit mehr als 33 Jahren

Fast ein wenig kopflos rannten die Hausherren in der Folge an, mussten sogar von Glück sprechen, dass Ebbers eine Riesenchance zum 0:2 in der 77. Minute ungenutzt ließ. Am Ende überstand der FC St. Pauli auch die hektische Schlussphase - und gewann erstmals seit dem 3. September 1977 wieder in der Höhle des Löwen.

Mehr als 33 Jahre (!) des Wartens auf einen Sieg beim ungeliebten Nachbarn hatten ein Ende gefunden! Dazu hatte Pauli auch die inoffizielle Stadt-Meisterschaft für sich entschieden, denn das Hinspiel am Millerntor war 1:1 ausgegangen. Entsprechend wussten die Kiez-Kicker gar nicht, wohin mit ihrer Freude.

Pliquetts Kung-Fu-Tritt

Keeper Pliquett entschied sich für eine Art Hommage an Oliver Kahn, der, an gleicher Stelle, knappe zehn Jahre zuvor, und in der Ekstase der Last-Second-Meisterschaft (im legendären Fernduell gegen die späteren "Meister der Herzen" aus Schalke) eine der Eckfahnen aus der Verankerung gerissen und mit ihr einen Derwisch-Tanz auf dem Rasen dargeboten hatte. Der Pauli-Keeper beließ es jedoch bei einem fulminanten Kung-Fu-Tritt gegen die Spielfeldbegrenzung.

Heute wissen wir: die Freude der Paulianer war verfrüht. Denn dem völlig unerwarteten Sieg beim großen Bruder folgte eine beispiellose Durststrecke von zwölf sieglosen Spielen (1 Remis, 11 Niederlagen, darunter ein 0:5 beim Club und ein demütigendes 1:8 zuhause gegen die Bayern).

Und damit doch noch der bittere Gang in Liga zwei. Der sogenannte Derby-Fluch war geboren. Auch der HSV kam nach der Schlappe gegen den Stadtrivalen nicht mehr richtig in Schwung, holte aus den letzten zwölf Spielen nur noch zwölf Zähler - und beschloss die Spielzeit auf Rang 8.