Verletzungs-Krise & Kreuzbandrisse bei Frauen-WM: Warum keine größeren Kader, FIFA?

Wieder eine schwere Verletzung: Englands Keira Walsh wird vom Platz getragen.
Wieder eine schwere Verletzung: Englands Keira Walsh wird vom Platz getragen. / Cameron Spencer/GettyImages
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Miedemas Vorhersage bewahrheitet sich: Auch bei der WM zu viele Kreuzbandrisse

"Jetzt haben wir etwa 60 Spiele pro Saison. Bei der Weltmeisterschaft wird es einige Kreuzbandrisse geben. Ich denke, es ist kein Zufall, dass sich Leah (Williamson) und Beth (Mead) nach der Europameisterschaft im letzten Sommer verletzt haben."

Das sagte Arsenal-Star Vivianne Miedema vor einigen Wochen. Wie ihre Teamkolleginnen Mead und Williamson riss auch die Niederländerin sich nach der EM im letzten Sommer das Kreuzbandriss und kann die Oranje Leeuwinnen nur vom Sofa aus unterstützen. Ihre Vorhersage scheint sich jetzt schon zu bewahrheiten: Mit Haitis Jennifer Lymage hat bereits eine Spielerin sich das Kreuzband gerissen, und die Verletzung von Englands Keira Walsh sieht ebenfalls verdächtig danach aus.

Wieder mal wird über die Kreuzbandrisse im Fußball der Frauen gesprochen, weil es eine prominente Athletin erwischt hat. So war es auch schon in den letzten Monaten mit den Verletzungen von Miedema, Mead, Williamson, Alexia Putellas oder Marie-Antoinette Katoto bei der letzten WM. Wieder mal wird die Frage nach dem "Warum" gestellt: Warum so häufig?

Die Gründe für Kreuzbandrisse sind vielfältig

Die Gründe für Kreuzbandrisse sind inzwischen viel analysiert worden, auch wenn es an belastbaren Studien noch fehlt. Trotzdem können einige Faktoren bereits mit Sicherheit genannt werden: Schlechte Bedingungen, das Training, die weibliche Anatomie, die mangelnde Beachtung des weiblichen Zyklus. 90min hat darüber mit der Sportpsychologin Julia Eyre ein ausführliches Gespräch geführt.

Inzwischen ist die Thematik auch den Top-Klubs bekannt. Bei Chelsea wird der Zyklus der Spielerinnen getrackt, dazu wurden spezielle Aufwärmübungen entwickelt, die den Kreuzbandrissen vorbeugen sollen. Kein Wunder, dass dem Thema so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, denn sowohl für Spielerinnen als auch für Clubs ist die Verletzung mit eine Ausfallzeit von etwa neun Monaten, oft mehr, das Worst-Case-Szenario.

Die Amerikanerin Christen Press berichtete etwa vor Kurzem, dass sie nach ihrem Kreuzbandriss bereits vier Operationen hinter sich hat. Ein Problem ist dabei auch, dass das Comeback oft viel zu früh geschieht und dadurch das Risiko einer weiteren Verletzung steigt.

Trotz all den Vorkehrungen, die bereits getroffen wurden, kommen die Kreuzbandrisse viel zu häufig vor. Das liegt zum Teil daran, dass viele Spielerinnen weiterhin keine Schuhe haben, die extra für Frauen gemacht sind, oder an schlechtem Rasen, wie bei dem Spiel von England gegen Dänemark, wo sich Walsh verletzte.

Belastung ist in den letzten Jahren extrem gestiegen

Spielerinnen wie Miedema rücken aber auch einen anderen Faktor in den Fokus: die Belastung. Mit der Professionalisierung des Fußballs der Frauen sind immer mehr Spiele dazugekommen. Durch Covid haben sich die großen Turniere zudem verschoben, sodass eine Pause kaum in Sicht ist: EM 2022, WM 2023, Olympia 2024, EM 2025. Jedes Jahr ein großes Turnier, nach einer immer enger getakteten Saison. Dazu soll auch noch die Nations League kommen - gesund kann das auf Dauer nicht sein.

Schon jetzt absolviert eine Spielerin wie Walsh viel mehr Spiele als früher. Wenn die Trainer dazu nicht genug auf Belastungssteuerung setzen, kann es schnell an die Grenze der Spielerinnen gehen. Walsh ist Stammspielerin von Barcelona und England, kam diese Saison für beide Teams zusammen auf 50 Einsätze und 3.403 Spielminuten.

Keira Walsh
Keira Walsh: Auch bei Barcelona Stammspielerin / Eric Alonso/GettyImages

Vor der letztem WM, 2019, waren es noch 37 Spiele und 1.064 Minuten, obwohl sie auch da Stammspielerin war. Bereits vor einigen Wochen sagte sie über die enorme Belastung: "Jedes Mal, wenn ich den Platz betrete, habe ich Angst, mich zu verletzen." Jetzt ist diese Angst Realität geworden.

Warum keine Kader mit 26 Spielerinnen?

Keine Frage, es wird viel Zeit und Geld kosten, das Risiko für Kreuzbandrisse einzudämmen. Umso bizarrer wirkt es vor diesem Hintergrund, dass die FIFA ein ganz einfaches Mittel ausgeschlagen hat. Statt wie bei den Männern einen Kader von 26 Spielern zu erlauben, durften nach Australien und Neuseeland nur 23 Athletinnen mit, trotz Protest einiger Verbände.

Der Sinn dieser Regelung ergibt sich nicht. Klar, auch ein größerer Kader sorgt nicht automatisch dafür, dass die Trainer und Trainerinnen auch tatsächlich mehr rotieren. England-Trainerin Sarina Wiegman steht schon seit Langem dafür in der Kritik, dass sie fast immer derselben Elf vertraut und ihren Stammspielerinnen wenig Pause gibt. Und der USA-Coach Vlatko Andonovski entschied sich trotz exzellenter Optionen im Spiel gegen die Niederlande, nur einmal zu wechseln.

Trotzdem wäre eine Vergrößerung der Kader ein einfacher und problemloser Schritt, das Verletzungsrisiko zu minimieren und vielleicht auch den ein oder anderen Trainer zum Umdenken zu bewegen. Auch bei kleineren Verletzungen, so wie sie im deutschen Team aktuell verstärkt vorkommen, wäre ein größerer Kader von Vorteil.

Denn wenn bereits fünf Stammspielerinnen ausfallen und ein Sieg dringend her muss, spielen gerade die Stars oft trotz Schmerzen. Warum die FIFA es nicht einfach erlaubt, drei weitere Spielerinnen mitzunehmen, bleibt schleierhaft - das findet auch Vivianne Miedema.