Kommentar zur Kellermann-Kritik an Jule Brand: Leichter Sündenbock gefunden

Ralf Kellermann kritisierte Jule Brand deutlich
Ralf Kellermann kritisierte Jule Brand deutlich / Selim Sudheimer/GettyImages
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Der Sportdirektor der VfL-Frauen, Ralf Kellermann, hat in einem Interview mit dem kicker deutliche Kritik an Jule Brand geäußert. Die 21-Jährige sei zu inkonstant in ihren Leistungen. "Wenn Jule eine Top-Spielerin werden will, muss sie hart an sich arbeiten und zu 100 Prozent für den Fußball leben", so Kellermann. Mit dieser öffentlichen Kritik tut sich der VfL selbst keinen Gefallen - ein Kommentar.

Kellermann mit ungewöhnlich harter Kritik

Ralf Kellermann ist ein Profi. Seit 2008 ist er beim VfL Wolfsburg, wo er zunächst fast zehn Jahre lang das Team trainierte und seitdem als Sportdirektor hinter den Kulissen die Fäden zieht. Mit dem VfL feierte er große Erfolge und stand stets im Rampenlicht. Mit dem Umgang mit den Medien hat er also Erfahrung.

So ist es keine Frage, dass Kellermann sich der Wirkung seiner Worte bewusst war, als er im Kicker-Interview Kritik an Jule Brand äußerte. Die 21-Jährige sei nicht konsistent genug in ihren Leistungen, physisch zu schwach und nicht hundertprozentig auf den Fußball fokussiert, erklärte er. Eine Kritik, die in Stil und Härte ungewöhnlich ist - und mit der sich der VfL wohl kaum einen Gefallen tut.

Kellermann wusste wohl genau, dass seine Äußerungen für einen kleinen Aufschrei sorgen würden. Vielleicht sah er eine öffentliche Kritik als notwendig an, weil er den Eindruck hatte, seine Unzufriedenheit sei zuvor nicht bei der Spielerin angekommen. Aber öffentliche Kritik ist fast immer eine schlechte Wahl, und besonders in diesem Fall.

Mit der Kritik sorgt Kellermann nur für mehr Druck

Denn wer Jule Brand in den letzten Monaten beim Spielen zugesehen hat, dem wird schnell klar: Das Problem ist hier nicht zu wenig, sondern zu viel Druck. Brand gilt spätestens seit ihrer Ernennung zum "Golden Girl" als absolutes Toptalent, dementsprechend wird von den Medien und vom VfL viel von ihr erwartet. Lena Oberdorf und andere haben bereits darüber gesprochen, was dieser ständige Druck mit einer jungen Spielerin macht.

Jule Brand
Jule Brand bei der Schlappe gegen Bayern / Sebastian Widmann/GettyImages

Das hat Kellermann mit seinen markigen Worten nun nicht besser, sondern schlimmer gemacht. Brand wird nun noch stärker unter Beobachtung stehen. Ob das die Unbekümmertheit, die ihr zuletzt fehlte, zurückbringt, ist wohl fraglich. Und vor allem wird das Verhältnis zwischen Brand und dem Verein durch eine solche Ansage wohl kaum besser werden.

Entwicklung von Brand hängt von vielen Faktoren ab

Eine Spielerin öffentlich anzuzählen, noch dazu eine der Jüngsten im Kader, ist schlechter Stil. Kein Wunder, dass Kellermann nach dem missratenen Saisonstart missmutig ist. Die Gründe dafür liegen aber sicher nicht nur bei Brand. Auch die vielen Ausfälle in der Offensive (Blomqvist, Sellner, Jonsdottir) spielen eine Rolle und sorgen dafür, dass Brand stets abliefern muss und sich nicht wie in der letzten Saison mit den anderen abwechseln kann.

Dass sich eins der größten Talente Deutschlands beim VfL nicht so weiterentwickelt hat wie gewünscht, ist bedauerlich. Auch Brand selbst weiß sicherlich, dass sie noch mehr Potenzial hat. Aber diese Entwicklung hängt nicht nur von der Spielerin ab, sondern auch vom Trainerteam - das jedoch wurde trotz der mangelnden spielerischen Weiterentwicklung von Kellermann in den letzten Wochen stets geschützt, zur Verwunderung vieler Beobachter und Fans.

Tommy Stroot
Tommy Stroot hatte anders als Brand den Rückhalt von Kellermann / Sebastian Widmann/GettyImages

"Ablenkungen" von Brand sind irritierende Spekulation

Irritierend wirkt auch, dass Kellermann öffentlich mögliche Ablenkungen für Brand anspricht. Interessanterweise wird dieser Vorwurf sehr oft gegen junge, Social-Media-affine Spielerinnen ausgesprochen. Dabei ist es aus einer sportlichen Perspektive doch irrelevant, was die Spielerinnen in ihrer Freizeit machen - solange sie ihre Leistung auf dem Platz bringen.

Das war bei Brand in den letzten Wochen nicht der Fall, aber ebensowenig beim Großteil ihrer Mitspielerinnen. Die "Ablenkungen" wirken da wie eine allzu simple Erklärung für Brands schwankende Leistungen.

Gesamtes Team wirkt ausgelaugt

Der VfL definiert sich gerne über die Mentalität seiner Spielerinnen ("Arbeit, Fußball, Leidenschaft"). In Interviews wird immer wieder betont, dass das den Verein ausmache: Der Wille, immer hundert Prozent zu geben. Kellermann hat das Recht, das von seinen Spielerinnen zu fordern, wenn er meint, das sei die Wolfsburg-DNA. Und natürlich darf er von Profispielerinnen, auch von Brand, erwarten, hart an sich zu arbeiten.

Dann muss er sich aber nicht eine einzelne Spielerin herauspicken: Das gesamte Team wirkte in den letzten Wochen lethargisch und auch kraftlos. Vielleicht muss man beim VfL generell die Idee überdenken, dass immer mehr Intensität notwendig ist - viele Spielerinnen wirken nach zwei mental wie physisch belastenden Jahren mit großen Turnieren ausgelaugt. Mehr Training wird nicht alle Probleme lösen .

Klara Buehl, Svenja Huth, Lena Oberdorf
Auch die Mitspielerinnen von Brand konnten nicht überzeugen / Sebastian Widmann/GettyImages

Leichter Sündenbock gefunden - auf Kosten vom VfL-Ruf?

Statt die Krise intern aufzuarbeiten und dabei auch vor der eigenen Haustür zu kehren (auch an der Transferpolitik, die Kellermann zu verantworten hat, kann einiges kritisiert werden), hat sich der Sportdirektor des VfL aber einen leichten Sündenbock herausgesucht. Egal ob Brand nun beim Training mehr geben muss oder nicht, diese öffentliche Kritik gehört sich nicht und kann schon gar nicht die Krise erklären.

Mit seinen scharfen Worten tut Kellermann sich und dem Klub keinen Gefallen. Wolfsburg will eine ideale Station für die Entwicklung von jungen Talenten sein - die werden sicher die Causa Brand mitverfolgt haben. Das Signal ist: Wenn du nach etwas mehr als einem Jahr noch keine großen Leistungssteigerungen gemacht hast, könntest du öffentlich an den Pranger gestellt werden.

Für die Spielerinnen keine sehr reizvolle Aussicht. Kellermann erhöht den Druck auf Brand, obwohl es eher sein Job wäre, ihn von ihren Schultern zu nehmen. Er findet eine allzu leichte Erklärung für die Krise, auf Kosten einer der jüngsten Spielerinnen. Das ist schlechter Stil und wird dem Ruf des VfL bei den nächsten Verhandlungen nicht helfen.


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