Kommentar zu Emma Hayes: Der Abschied und Neustart einer Trainer-Legende

  • Trainerin Emma Hayes verlässt Chelsea zum Saisonende
  • Im Anschluss wird sie das Amt als Coach des USWNT übernehmen
  • Rückblick und Vorschau auf Hayes' Bedeutung für den Frauenfußball

Four in a row - viermal hintereinander konnte Emma Hayes zuletzt die englische Meisterschaft mit Chelsea holen
Four in a row - viermal hintereinander konnte Emma Hayes zuletzt die englische Meisterschaft mit Chelsea holen / Justin Setterfield/GettyImages
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Siegermentalität, Leidenschaft und Hingabe – diese Attribute stehen sinnbildlich für die langjährige Chelsea-Trainerin Emma Hayes und ihre Zeit bei den Blues. Hayes hat den Verein über zwölf Jahre hinweg geführt und geprägt, sie steht geradezu sinnbildlich für den Erfolg der englischen Mannschaft auf der nationalen sowie internationalen Bühne. Ihr Name war lange Zeit nicht nur ein Synonym für den Verein in West-London, sondern auch für die Women’s Super League und den englischen Fußball im Gesamten. Die Ankündigung, dass Hayes ab nächstem Sommer die US-amerikanische Nationalmannschaft übernehmen wird, ist keine große Überraschung, trotzdem sitzt ihr Weggang bereits jetzt schwer beim FC Chelsea.

"So schlecht habe ich uns schon lange nicht mehr gesehen. Das einzig Positive ist gerade, dass ich nur 20 Minuten nach Hause brauche", so Emma Hayes nach der 1:4-Klatsche gegen den Rivalen Arsenal am vergangenen Sonntag. Erfrischend ehrlich und häufig mit sarkastischem Unterton - so haben Fußballfans in England die langjährige Chelsea-Trainerin zu lieben und vereinzelt auch zu hassen gelernt.

Die in Camden geborene Hayes gilt als eine der größten Persönlichkeiten und besten Trainerinnen im Frauenfußball. Anfang November verkündete Chelsea, dass die 47-Jährige den Verein zum Saisonende verlassen wird. Etwas später wurde bekannt, dass Hayes im Anschluss die nächste Herausforderung als Cheftrainerin des US-Frauen-Nationalteams annehmen wird.

Chelsea FC  v Liverpool FC  - Barclays Women¥s Super League
Emma Hayes verabschiedet sich zum Saisonende Richtung USA / Gaspafotos/MB Media/GettyImages

Erfolge und Bedeutung für Chelsea

Gleich sechs Mal hat Hayes mit Chelsea die englische Meisterschaft gewonnen, fünf Mal den Women’s FA Cup, zwei Mal den League-Cup und ein Community Shield - und in der aktuellen Saison könnte die Liste sogar noch länger werden. Allein der Women’s Champions-League-Titel fehlt noch in ihrem Trophäenschrank. In der Saison 2020/21 kam sie der Sensation mit dem Erreichen des Königsklassen-Finals ganz nah, holte sich dort allerdings eine 0:4-Klatsche gegen den Barcelona ab.

Ein Gewinn der europäischen Trophäe wäre zu diesem Zeitpunkt nur noch das i-Tüpfelchen in Hayes erfolgreicher Ära mit Chelsea. Denn beweisen muss die erfahrene Trainerin niemandem mehr etwas. Dementsprechend kam das Klub-Statement zu ihrem Abgang nur wenig überraschend, einzig der Zeitpunkt nach einem Kantersieg gegen Aston Villa erschien ungewöhnlich. "Der FC Chelsea kann heute bestätigen, dass die hochdekorierte Chelsea-Frauen-Cheftrainerin Emma Hayes den Verein am Ende der Saison verlassen wird, um eine neue Chance außerhalb der WSL und des Vereinsfußballs wahrzunehmen", hieß es dort.

Schon seit einiger Zeit war klar, dass die Hayes-Ära sich einem Ende zuneigt, doch eine letzte Hoffnung war vielleicht noch da, dieses Raum-Zeit-Continuum aus aneinander gereiten Erfolgen noch etwas länger aufrechtzuerhalten - zum Ende dieser Saison soll nun tatsächlich Schluss sein. Denn Emma Hayes ist nicht nur irgendeine Trainerin, die im Verein tätig ist, sie ist die Verkörperung der aktuellen Klubidentität, welche sie selbst aufgebaut hat. Über die letzten paar Jahre haben die Blues die WSL über weite Strecken dominiert und dies mit dem Gewinn zahlreicher nationaler Trophäen unterstrichen. Eine direkte Spielweise aus langen Bällen nach vorne und hoher Effektivität hat Chelsea in diesen Jahren ausgezeichnet. Gepaart mit einer allzeit gegenwärtigen Siegermentalität bei Spielerinnen und Staff fand Hayes mit ihrer Art das Erfolgsrezept für den Londoner Klub.

Internationale Anerkennung

Ihr Erfolgsrezept blieb weder national noch international unbeachtet. Die 47-Jährige wurde ständig mit neuen Wechseln in Verbindung gebracht. Ob als englische Nationaltrainerin oder bei einer anderen Topmannschaft im Frauenfußball - die Dienste von Hayes sind überall gefragt. Sogar im Männerfußball. Bereits mehrfach wurde von Interesse aus den englischen Ligen unterhalb der Premier League berichtet. Die Chelsea-Trainerin ließ jedoch auf jede neue Nachfrage alle Vermutungen stoppen. Hayes stellte mehrfach klar, dass sie eine hohe Position im Frauenfußball keinesfalls als Sprungbrett für eine niedrigere Männerliga betrachte. Stattdessen betonte sie, dass es sich um ein und die selbe Sportart handle, bei der die gleichen Qualitäten erforderlich seien.

Emma Hayes, Sam Kerr
Die Verpflichtung von Superstar Sam Kerr gehörte zu einer der wichtigen Errungenschaften in Hayes Zeit bei den Blues / Clive Rose/GettyImages

Neben ihrer Qualitäten als Trainerin agiert die 47-Jährige auch immer wieder als Sprachrohr für die Sichtbarkeit und Emanzipation von Frauen und Frauenfußball. So hat sich Hayes erst kürzlich wieder geäußert, nachdem ein ehemaliger englischer Profifußballer frauenfeindliche Kommentare abgegeben hatte. "Die Realität ist, dass das männliche Privileg schon immer im Mittelpunkt des Fußballs in diesem Land stand", so Hayes. "Frauen war es bis in die siebziger Jahre verboten, Fußball zu spielen - ich erwarte nicht, dass irgendeine (männliche) Person oder Persönlichkeit ihr Privileg versteht."

Und nicht nur für die Werte, die sie vermittelt, ist Hayes bekannt. Auch machte sie auf sich aufmerksam, indem sie immer wieder ein goldenes Händchen bei der Wahl ihres Personals bewiesen hat. Das betraf auf der einen Seite die Erkennung von Potenzial in jungen Spielerinnen wie beispielsweise bei den Verteidigerinnen Jess Carter und Niamh Charles sowie Offensiv-Power mit der Norwegerin Guro Reiten. Auf der anderen Seite fand die 47-Jährige häufig die richtigen Mittel, um Starspielerinnen nach London zu locken, indem sie ihre Vision überzeugend vermitteln konnte.

Das populärste Beispiel dafür war der Wechsel von Topstar Sam Kerr im Winter 2019, die zusammen mit Hayes das Gesicht von Chelsea darstellt. Der Klub setzte sich zu diesem Zeitpunkt gegen eine erdrückende Konkurrenz aus internationalen Topvereinen durch, die mit Kerr die wohl bekannteste Spielerin im Frauenfußball für sich gewinnen wollten. Auch Talent Sjoeke Nüsken entschied sich im Sommer für einen Abschied von Eintracht Frankfurt, um zu den Blues zu wechseln.

Werdegang: Back to the roots

Hayes wurde 1976 in Camden, einem Stadtteil im Norden Londons, geboren. Bis zu ihrem 17. Lebensjahr verfolgte die spätere Trainerin selbst den Traum als Profispielerin als Mitglied der Arsenal-Academy. Allerdings wurde sie durch eine Knöchelverletzung von diesem Karriereweg abgebracht und ging stattdessen in die USA, um dort zunächst als Jugendtrainerin und später als jüngste Cheftrainerin der USL W-League bei den Long Island Lady Riders zu fungieren. Von 2003 bis 2005 führte Hayes die Iona Gaels des Iona College zu zwei Conference Meisterschaften.

Mit diesen ersten Erfolgen im Gepäck kehrte sie im Anschluss zurück nach London und arbeitete fortan als Co-Trainerin bei der Frauenmannschaft des FC Arsenal, wo Hayes in nur drei Jahren ganze elf Titel gewinnen konnte. Dann ging es für die Trainerin erneut in die USA, wo sie die Coaching-Rolle bei den Chicago Red Stars bekleidete und u.a. mit Stars wie Megan Rapinoe zusammenarbeitete.

USWNT
Das USWNT enttäuschte bei der diesjährigen Weltmeisterschaft mit einem frühen Achtelfinal-Aus gegen Schweden / Brad Smith/ISI Photos/USSF/GettyImages

Im Jahr 2012 schloss sich Hayes schließlich dem FC Chelsea an und fungierte damals als die einzige weibliche Trainerin der Liga. Nach elf erfolgreichen Jahren in London heißt es für Hayes erneut Abschied nehmen und Rückkehr in die USA, wo sie ab Sommer 2024 die Nationalmannschaft trainieren wird. Die Position gilt als eine der besten und gefragtesten Anlaufstellen für Trainerinnen und Trainer im internationalen Fußball. Dementsprechend fällt auch das Gehalt aus: Berichten zufolge soll Hayes mit einem jährlichen Gehalt von 1,6 Millionen US-Dollar die bestbezahlte Trainerin der Welt werden.

Der Kreis schließt sich - Rückkehr in die USA

Neben dem hohen Gehalt und dem erstklassigen Ruf ihrer neuen Position wird für Hayes vor allem ihre berufliche Vergangenheit, die sie bereits in den Vereinigten Staaten aufweisen kann, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die 47-Jährige kennt sich bestens mit den USA und den nationalen Ligen aus. Zudem stehen aktuell mit Catarina Macário und Mia Fishel zwei junge US-Amerikanerinnen bei Chelsea unter Vertrag, deren Qualitäten Hayes bereits bekannt sind.

Welcher Aspekt ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist, dass Hayes Mutter eines fünfjährigen Sohns ist. In der Vergangenheit hatte sich die Trainerin häufig darüber geäußert, wie schwer es sei, Job und Familienleben unter einen Hut zu bekommen. Im Vergleich zum Vereinskalender, wo sie fast rund um die Uhr im Einsatz ist, wird Hayes mit dem US-Nationalteam nun vor allem in den Länderspielpausen unterwegs sein.

Das bedeutet auf dem Papier eine verbesserte Work-Life-Balance - insofern man im Profifußball von so etwas sprechen kann - sowie mehr Zeit für ihre Familie und ihren Sohn. Es kommt hinzu, dass die englische Trainerin zwei besonders schwere Jahre hinter sich gebracht hat. Im Herbst 2022 musste sie aufgrund einer Endometriose-Erkrankung operiert werden, etwa ein Jahr später verstarb ihr Vater.

Emma Hayes
Hayes wurde zuletzt erst bei den London Football Awards für ihre Leistungen als Trainerin ausgezeichnet / Eamonn M. McCormack/GettyImages

Die neue Position als Trainerin des USWNT stellt eine nachvollziehbare Entscheidung der derzeitigen Chelsea-Trainerin dar. Es ist einer der wenigen Schritte nach oben, die in Hayes aktueller Situation noch möglich sind. Das USWNT ist mir vier gewonnen Weltmeisterschaften das erfolgreichste Nationalteam im Frauenfußball und ist an erster Stelle für seine Siegermentalität bekannt. Es scheint fast so, als würde sich mit der Rückkehr in die USA ein Kreis für die Trainerin schließen, die Jobbeschreibung klingt wie für sie gemacht.

Auf die englische Trainerin wartet jedoch eine große Herausforderung. Nachdem das UWSNT den internationalen Frauenfußball über Jahre hin geprägt und dominiert hatte, ging die Leistungskurve mit dem Achtelfinal-Aus gegen Schweden bei der vergangenen WM deutlich nach unten. Hayes soll nun die Wende herbeiführen und das Team wieder auf die Erfolgsspur bringen, aber sie ist derartigen Druck bereits gewohnt. Nicht umsonst zählt die Welttrainerin von 2021 auch in diesem Jahr wieder bei den Best Fifa Awards zu den drei nominierten Trainer*innen im Frauenfußball.

Auch wenn Hayes' Zukunft auf der anderen Seite des Atlantiks liegt, steht jetzt schon fest, dass auch europäische Fußballfans weiterhin von ihr hören werden.