Frauen-WM: So kann die Schweiz gegen Spanien die Sensation schaffen

Die Schweiz konnte den Gruppensieg feiern - mit Spanien kommt jetzt eine große Hürde auf die Nati zu
Die Schweiz konnte den Gruppensieg feiern - mit Spanien kommt jetzt eine große Hürde auf die Nati zu / SANKA VIDANAGAMA/GettyImages
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Die Schweiz hat überraschend die Gruppe A gewonnen, jetzt wartet im Achtelfinale der WM (05.08., 7 Uhr, live auf zdf.de) Spanien. Die Nati ist klar der Underdog, auch wenn Spanien zuletzt nicht auf ganzer Linie überzeugte. Kann den Schweizerinnen die Sensation gelingen?

Der Ball zappelte im Netz, zum vierten Mal. Entsetzte Gesichter bei den Spanierinnen, Jubel bei Japan: Im letzten Gruppenspiel verlor La Roja krachend im Duell um den ersten Platz. Mit 0:4 ging Spanien gegen Japan unter, das eine perfekte Lehrstunde lieferte, wie man dieses iberische Team schlagen kann. Spanien durfte passen, solange sie wollten, aber die gefährlichen Zonen verriegelte Japan.

Dazu vier perfekt gefahrene Konter, und das spanische Debakel war perfekt. 27 Sekunden war Japan in den ersten 45 Minuten im letzten Drittel, drei Tore erzielten sie damit. Eine Meisterleistung in puncto Effizienz und Präzision. Japan traf die richtigen Entscheidungen bei den Kontern, die langen Pässe auf die Stürmerinnen passten perfekt, besonders der von Jun Endo zum 1:0.

Es war das erste Mal seit 2011, dass Spanien vier Tore kassierte. Der Gegner damals? Die Schweiz, damals noch von Martina Voss-Tecklenburg trainiert. Nur drei Spielerinnen standen damals wie heute im Kader, es sind die wohl drei wichtigsten Stützen des Teams: Lia Wälti, Ramona Bachmann und Ana-Maria Crnogorčević. Bei Spanien ist niemand mehr aus dem 2011er-Team dabei.

Ana-Maria Crnogorcevic
Schon lange dabei: Ana-Maria Crnogorcevic / Lance King/GettyImages

Die Gruppenphase der Schweiz: Hinten top, vorne Flop

Mit vier Toren für die Schweiz ist im Achtelfinale nicht unbedingt zu rechnen. In der Gruppenphase war eher die Defensive die Stärke des Teams von Inka Grings: Die Schweiz musste in den drei Spielen kein einziges Gegentor hinnehmen, erzielte aber selbst auch nur zwei Treffer, gegen die Philippinen. Gegen Norwegen und Neuseeland gelang es der Nati nicht, zu einem Torerfolg zu kommen.

Das lag weniger an der Chancenverwertung als an den Entscheidungen im Angriff: Gegen Neuseeland, eigentlich nicht gerade ein Topteam, war die Schweiz nach vorne erschreckend harmlos. Die Spielerinnen brauchten nur einen Punkt zum Weiterkommen und wollten daher verständlicherweise nichts riskieren. Aber ein Expected-Goals-Wert von nur 0,12 ist selbst dann viel zu wenig.

Die Schweiz kam auch gegen Norwegen mehrmals vielversprechend ins letzte Drittel, erarbeitete sich Vier-gegen-vier-Situationen oder sogar Überzahl. Dann aber wurden die Angriffe viel zu hastig ausgespielt. Der Pass kam zu früh oder zu spät, war einige Zentimeter zu lang oder zu kurz. Statt rechtzeitig abzuspielen, gingen die Schweizerinnen oft in aussichtslose Dribblings und verloren die Kugel.

Spanien: Die Lehren aus dem Japan-Debakel

Spaniens Defensive ist, das hat das Japan-Spiel erneut gezeigt, ebenfalls nicht unüberwindbar. Hinter den offensiv positionierten Außenverteidigerinnen, Ona Batlle und Olga, klaffen oft enorme Lücken. Auch die Innenverteidigung mit Irene Paredes und Ivana Andrés sah in den direkten Duellen nicht immer gut aus, beide sind nicht die schnellsten.

Spanien vermisst die Weltklasse-Verteidigerin Mapi Leon und Patri Guijarro, die im defensiven Mittelfeld für Stabilität sorgt. Beide sind wegen des Konfliktes mit dem spanischen Verband und Trainer Jorge Vilda zurückgetreten. Andere, wie Mittelfeldspielerin Aitana Bonmati, sind zurückgekehrt, aber zwei der wichtigsten Spielerinnen sind weiterhin ein herber Verlust.

Mapi Leon
Herber Ausfall: Mapi Leon / BSR Agency/GettyImages

Die defensiven Schwächen haben aber mehr mit der Struktur von Spaniens Spiel, als mit den Spielerinnen zu tun. Jorge Vilda will, dass sein Team ein klassisches Tiki-Taka spielt: Hoch stehen, mit dem Ball dominieren, sich mit kurzen, schnellen Pässen nach vorne kombinieren. Das birgt immer auch das Risiko, dass die Abwehr bei einem Ballverlust entblößt ist. Ein langer Pass, mit perfektem Timing, um Abseits zu vermeiden, reicht da schon.

Auch wenn sich das Risiko nicht vermeiden lässt, kann es doch minimiert werden. Das ist Spanien unter Jorge Vilda noch nicht so wirklich gelungen. Es braucht Zeit, bis die Mechanismen greifen, aber inzwischen sind sieben Jahre vergangen. Offensiv spielt Spanien fantastisch und kombiniert wunderschön, aber hinten bleiben große Baustellen. Der umstrittene Trainer nahm die Niederlage gegen Japan auf seine Kappe und sagte, er habe Japans Pressing im Mittelfeld unterschätzt.

Was sich die Schweiz von Japan abschauen kann

Inka Grings und ihr Trainerteam werden das sicher genau beobachtet haben: Japan forcierte immer wieder Ballgewinne im Mittelfeld. Sie standen zwar tief und hatten nur 23% Ballbesitz, ließen Spanien aber trotzdem nicht schalten und walten, wie sie wollten. Japan machte dazu die Flügel dicht und sorgte dafür, dass Spanien dort nicht in Überzahl-Situationen geraten konnte und sich immer wieder in der Mitte verrannte. Optisch war La Roja überlegen, aber klare Chancen waren Mangelware.

Dazu kam eine gnadenlose Effizienz: Japan machte aus einem Expected-Goals-Wert von 0,91 ganze vier Tore. Das gelingt nicht jeden Tag - und dass die Schweiz dieses Kunststück nachmachen kann, ist auch fraglich. Trotzdem hat die Nati gute Chancen, gegen Spanien zu Möglichkeiten zu kommen. Das gelang auch den anderen beiden Gruppen-Gegnern Costa Rica und Sambia.

Effizienz und Tempo zählen also: Wenn die Schweiz den Ball gegen Spanien bekommt, darf anders als in den bisherigen Spielen nicht lange gefackelt werden. Mit Kapitänin Lia Wälti hat Inka Grings eine Spielerin zur Verfügung, deren Spezialität lange Bälle in die Schnittstelle sind. Géraldine Reuteler und Ana-Maria Crnogorčević müssen genau im richtigen Moment starten, um die spanische Defensive zu überrumpeln. Aber um auch nur ein Tor zu erzielen, muss für die Schweiz alles laufen, denn in der Gruppenphase fehlten Timing und Präzision komplett.

Lia Waelti
Schlüsselfigur im Mittelfeld: Die Kapitänin Lia Wälti / Lars Baron/GettyImages

Defensive muss einen Top-Tag erwischen

Dazu muss die Defensive ebenso solide sein wie in der Gruppenphase. Null Gegentore hören sich toll an, aber Gruppe A hatte nicht die stärksten Gegner, und Spanien wird ein ganz anderer Härtetest. Am wichtigsten wird es sein, im Zentrum keine Lücken zu lassen, sodass Alexia Putellas und Aitana Bonmati nicht zu ihren berüchtigten Steilpässen kommen. Wenn davon einer durchkommt, ist Spanien sofort in der gefährlichsten Zone und wird keine Mühe haben, zu Toren zu kommen.

Auf Torhüterin Gaëlle Thalmann, die gegen Norwegen stark war, muss auch im Achtelfinale Verlass sein, denn es wird der Nati selbst bei optimalem Plan wohl kaum gelingen, alle Chancen zu verhindern. Dazu werden die beiden Außenverteidigerinnen, vermutlich Aigbogun und Riesen, in den direkten Duelle gegen Mariona Caldentey und Salma Paralluelo eine wichtige Rolle haben. Wenn Spanien einmal bis zur Grundlinie durchdringt und zurücklegt, könnte schnell Chaos im Schweizer Strafraum ausbrechen.

Kurz: Ein Sieg gegen Spanien wäre eine Sensation, und dafür muss defensiv wie offensiv alles stimmen. Japan hat gezeigt, dass es mit Präzision und Konzentration möglich ist, das Team von Jorge Vilda zu schlagen, aber das individuelle Niveau ist bei der Schweiz nicht auf dem gleichen Level. Lange die Null zu halten, wäre aber schonmal ein wichtiger erster Schritt, um dem großen Favoriten das Leben schwer zu machen.