Erkenntnisse zur Pleite gegen Kolumbien: DFB-Frauen mit Verbesserungsbedarf offensiv wie defensiv

  • DFB-Frauen müssen Dämpfer hinnehmen
  • Zu wenige kreative Einfälle im Angriffsspiel
  • Verletztensituation spitzt sich weiter zu
Jule Brand im Duell gegen Jorelyn Carabali - Das Spiel zwischen Deutschland und Kolumbien war hart umkämpft
Jule Brand im Duell gegen Jorelyn Carabali - Das Spiel zwischen Deutschland und Kolumbien war hart umkämpft / Zhizhao Wu/GettyImages
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Zum ersten Mal seit 1995 hat Deutschland ein Gruppenspiel bei einer Frauen-WM verloren: Mit 1:2 unterlag das DFB-Team im zweiten Spiel Kolumbien. Woran hat es gelegen? Deutschland kam vor allem mit Kolumbiens Pressing nicht zurecht, der Matchplan der Gegnerinnen ging perfekt auf - die Erkenntnisse zum 1:2.

Unter Druck ohne Lösungen: Das Mittelfeld-Paradox

Es ist paradox: Eigentlich ist das Mittelfeld bei Deutschland stark besetzt. Lena Oberdorf, Lina Magull und Sara Däbritz spielen alle bei Topklubs eine wichtige Rolle, haben eine gute Saison gespielt. Eigentlich müsste das Mittelfeld das Prunkstück des deutschen Teams sein. In guten Spielen ist das Trio auch der Schlüssel zum Erfolg, und im Gegenpressing war Deutschland auch gegen Kolumbien stark, eroberte die Bälle schnell wieder.

Aber trotzdem bleibt ein Problem, seit Jahren schon. Wenn ein Gegner die deutschen Mittelfeldspielerinnen konsequent unter Druck setzt und ihnen Zeit und Platz nimmt, fällt es dem DFB-Team schwer, Lösungen zu finden. So war es auch gegen Kolumbien: Jedes Mal, wenn Lina Magull an die Kugel kam, waren eine oder zwei Kolumbianerinnen bei ihr und bedrängten sie. Magull war davon sichtlich genervt, kam nicht zu ihrem Spiel.

Auch Martina Voss-Tecklenburg sagte nach der Partie, sie sei mit dem Aufbauspiel, besonders in der ersten Hälfte, nicht zufrieden gewesen. Es fehlte an Reaktionsgeschwindigkeit: Den deutschen Spielerinnen gelang es zu selten, den Ball schnell anzunehmen und weiterzuverarbeiten. Wenn das mal klappte, kombinierten sie sich gut durch, etwa bei dem Angriff, der zum Elfmeter führte. Dann war auch Platz da, und Deutschland konnte Kolumbiens Abwehr auseinanderziehen.

Lina Magull
Immer hart angegangen - Lina Magull im Duell mit Kolumbiens Carolina Arias / Justin Setterfield/GettyImages

Durch das aggressive Pressing entstanden, bei schneller Reaktion, schließlich Lücken. Aber das war eindeutig die Ausnahme und nicht die Regel. Viel häufiger kam es vor, dass der sichere Pass nach hinten gespielt wurde oder Magull und Däbritz den Ball verloren. Oberdorf kam mit dem Pressing noch etwas besser klar, zum einen wegen ihrer Zweikampfstärke, aber auch, weil sie die „rote Zone“ im Mittelfeld oft einfach verließ und ihr Glück im Strafraum suchte.

Dass Deutschland auf dieses Problem weiterhin so wenige Lösungen findet, ist weit beunruhigender als die Niederlage selbst. Voss-Tecklenburg zeigte sich zufrieden mit ihrer Umstellung und der Einwechslung von Lea Schüller, aber wirklich klare Chancen hatte Deutschland bis zum Elfmeter nicht. Natürlich hatte die Trainerin aufgrund der angespannten Verletzungslage wenige Möglichkeiten zur Reaktion, und doch ist es ein Problem, das über das Kolumbien-Spiel herausgeht. Teams wie Spanien oder Japan finden unter Druck konstant bessere Lösungen, etwa durch Verlagerungen.

Das Mittelfeld-Paradox hängt auch damit zusammen, dass die besten Einzelspielerinnen nicht immer das beste Team ergeben. Schon bei der EM haben Magull und Däbritz im Mittelfeld nicht immer harmoniert, auch wenn beide ohne Zweifel technisch hochbegabt sind. Vielleicht ist ihr Profil sich zu ähnlich, ein dynamischerer Typ wie Sydney Lohmann würde dem deutschen Mittelfeld vermutlich guttun.

Die Leichtigkeit fehlt - zu wenig Kreativität im Angriffsspiel

Ein weiterer Aspekt, der im deutschen Spiel deutlich auffiel, war die sehr geringe Anzahl an aussichtsreichen Torchancen sowie mangelnde Kreativität in der Offensive. Dies beginnt mit dem bereits oben angesprochenen Mittelfeld, das zu wenige Impulse nach vorne gab. Däbritz und Magull hielten oftmals zu lange den Ball, wodurch eine Gegenspielerin den Angriff frühzeitig unterbinden konnte. Kam eine der beiden doch mal Richtung Strafraum, traf diese in den meisten Fällen nicht die richtige Entscheidung und verpasste den korrekten Abspielzeitpunkt.

Gerade Oberdorf, die normalerweise vor allem für ihre Fähigkeiten in der Defensive bekannt ist, schaltete sich aus dem Zentrum noch am häufigsten nach vorne ein. Dies variierte von der Passverteilung auf die Flügel oder in die Spitze bis hin zu eigenen Aktionen bis in den Strafraum hinein. Daduch kamen der Wolfsburg-Spielerin mit die besten Chancen der deutschen Mannschaft zu. Einmal fiel ihr der Ball nach einem selbst eingeleiteten Spielzug, den Magull erst nicht vollenden konnte, selbst vor die Füße. Allerdings wurde der anschließende Schuss von einer kolumbianischen Verteidigerin geblockt.

Der Anschlusstreffer per Elfmeter war ebenfalls Oberdorf zu verdanken, die sich zuvor in allerbester Stürmermanier den Steilpass von Lea Schüller abholte, nur um anschließend von der gegnerischen Torhüterin im Strafraum zu Fall gebracht zu werden. Neben der 21-Jährigen bekam auch Vereinskollegin Alexandra Popp die Chance, mindestens einen Treffer aus dem Spiel zu erzielen. Aber auch Deutschlands bester Stürmerin gelang es nicht, den Ball nach einer punktgenauen Flanke aus kurzer Distanz mit ihrem schwächeren Fuß über die Linie zu drücken.

Alexandra Popp
Kam zu nicht allzu vielen guten Torchancen wie gewöhnlich - Alexandra Popp / Justin Setterfield/GettyImages

Insgesamt war es nicht der erfolgreichste Tag für Popp. Zwar konnte sie einen weiteren Treffer auf dem Konto vermerken, doch wurde sie über Großteile der Partie aus dem Spiel genommen. Kolumbien doppelte die Stürmerin und griff zudem zu Mitteln am Rande des Erlaubten, was Popp sichtlich nervte und etwas aus dem Konzept brachte.

Auch die Außenspielerinnen um Jule Brand und Klara Bühl fanden nur selten Lösungen, um die gegnerische Abwehr zu überwinden. Beide Spielerinnen wurden immer wieder bei ihren Dribblings aus dem Tritt gebracht. Gerade Bühl tat sich mit der hohen Physis schwer, auf der anderen Seite probierte es Brand ein ums andere Mal, von ihrer Schnelligkeit und Technik zu profitieren. Dies führte hin und wieder zu einer Flankenoption, allerdings wurde nur selten ein Abnehmer vor dem Tor gefunden, da Popp meist erfolgreich aus dem Spiel genommen wurde.

Vermisst: Standard-Stärke des deutschen Teams

Ein langer Ball fliegt in den Sechzehner hinein, wird weiter und weiter, und landet schließlich punktgenau auf dem Kopf von Alexandra Popp, die zur Torchance kommt. Normalerweise ist die Wolfsburg-Kombination ein aboluter Erfolgsgarant für das Team von MVT, doch eine wichtige Spielerin fiel gegen Kolumbien weg.

Mit dem Fehlen von Felicitas Rauch offenbarte sich nicht nur eine weitere Lücke im deutschen Kader und auf der linken Abwehrseite, auch bei den Standards vermisste man ihre gefährlichen Hereingaben. Denn normalerweise ist Rauch für die Ecken von den rechten Seite sowie lange Hereingaben per Freistoß verantwortlich. Gegen Kolumbien übernahm Hagel zumeist diese Aufgaben.

Chantal Hagel
Chantal Hagel war in der Abwesenheit von Felicitas Rauch für viele der Standardsituationen im deutschen Team verantwortlich / Zhizhao Wu/GettyImages

Auch wenn die ehemalige Hoffenheimerin ihre Sache ordentlich machte, war es doch nicht das Gleiche wie bei Rauch. Standards müssen lange trainiert und einstudiert werden, damit sie funktionieren und die Mannschaft davon porifitieren kann. Aus diesem Grund traf der Ausfall von Rauch das deutsche Team besonders hart. Erst im Gruppen-Auftaktspiel hatte das DFB-Team mehrere Chancen und Tore über Standards und Hereingaben kreiert, so auch das forcierte Eigentor zum 5:0 nach getretener Ecke von Rauch.

Besonders deutlich wurde das Fehlen der Wolfsburgerin bei einer aussichtsreichen Freistoßposition gegen die Südamerikanerinnen an der Strafraumkante aus halbrechter Position - normalerweise eine perfekte Ausgangssituation füt einen Linksfuß wie Rauch. Nun übernahm jedoch stattdessen Popp, die das Leder weit über das Tor jagte.

Um die Stärke nach Standards beibehalten zu können, muss das deutsche Team entweder auf eine baldige Rückkehr von Rauch hoffen oder eben einen größeren Fokus in der nächsten Trainingswoche auf den ruhende Ball legen, um diese Option auch gegen hochkarätigere Gegner im weiteren Turnierverlauf ziehen zu können.

Kosten die Verletzungen Deutschland die WM?

Die Verletzungen sind das große Thema für Deutschland, und sie haben besonders defensiv zugeschlagen: Mit Marina Hegering und Felicitas Rauch fehlten zwei wichtige Spielerinnen für das Kolumbien-Spiel, zusätzlich zu den Kreuzbandrissen von Carolin Simon und Giulia Gwinn.

Auf der Außenverteidigung musste MVT daher schon stark improvisieren – mit dem Duo Huth-Hagel hätte vor einigen Monaten wohl noch niemand gerechnet. Die erste Belastungsprobe hatte das Huth-RV-Experiment gegen Marokko noch mit Abzügen in der B-Note bestanden. Gegen Kolumbien war die Wolfsburgerin aber erneut zu oft falsch positioniert, und die Südamerikanerinnen wussten das besser zu bestrafen. Zwischen Hendrich, die ebenfalls nicht sattelfest wirkte, und ihr war zu oft eine Lücke, in die Mayra Ramirez nur zu gerne hereinstürmte. Hagel dagegen war defensiv solide, immerhin das ein Lichtblick für das DFB-Team.

Dass mit Sara Doorsoun die in der ersten Hälfte beste Verteidigerin ausgewechselt werden musste, lässt aber nichts Gutes erahnen. Voss-Tecklenburg sprach von einer Muskelverletzung, Genaueres ist noch nicht bekannt. Nur Kathrin Hendrich bleibt bisher vom Verletzungspech verschont.

Vor diesem Hintergrund ist es aber auch verwunderlich, warum Voss-Tecklenburg nicht spätestens jetzt auf Sophia Kleinherne zurückgreift. Kleinherne hatte bei Eintracht Frankfurt eine solide Saison als Rechtsverteidigerin gespielt, hat auch innen Erfahrung. Sie ist offensiv zwar nicht besonders stark und verständlicherweise nicht die erste Wahl, könnte aber spätestens im Achtelfinale für mehr Stabilität sorgen - falls Hegering und Co. dann immer noch ausfallen.

Sophia Kleinherne
Kam bei der WM bisher noch nicht zum Zug: Frankfurts Sophia Kleinherne / Sebastian Widmann/GettyImages

Kolumbien dreht den Spieß um: Immer auf Popps Effizienz zählen kann nicht gut gehen. Trotz aller Verletzungen trägt aber nicht nur die individuelle Klasse in der Defensive Schuld an der Niederlage. Bei dem späten 1:2 etwa war viel mehr die Zuordnung das Problem, da Vanegas sträflich frei zum Kopfball kam. Und beim 1:0-Traumtor durch Linda Caicedo hätten Huth und Däbritz sie vielleicht am Schuss hindern können, aber es war auch von der 18-Jährigen spitze gemacht.

Das Ergebnis täuscht vielleicht darüber hinweg, dass Kolumbien eigentlich nicht viele gute Chancen hatte. Das 1:0 hätte nicht jede gemacht, die nicht gerade eins der größten Talente weltweit ist, der Kopfball zum 2:1 war sehr platziert. Abgesehen davon hatte Kolumbien keine wirklich klaren Möglichkeiten und einen Expected-Goals-Wert von 0,53.

Die deutsche Defensive war nicht absolut desaströs, sie ließ Kolumbien zwar zu einfach in das letzte Drittel kommen, aber daraus ergab sich wenig Gefahr. Kolumbien war einfach sehr effizient, was Deutschland an diesem Tag nicht von sich behaupten konnte.


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