Dramatischer Schluss: Die Erkenntnisse zu Spaniens 2:1 im Halbfinale gegen Schweden

Ein Wechselbad der Gefühle: Spaniens 2:1 gegen Schweden
Ein Wechselbad der Gefühle: Spaniens 2:1 gegen Schweden / Hagen Hopkins/GettyImages
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Spanien hat sich nach einer dramatischen Schlussphase im Halbfinale mit 2:1 gegen Schweden durchgesetzt. Lange passierte wenig, dann ging es Schlag auf Schlag - mit dem besseren Ende für Spanien, das am Ende verdient gewann. Beide Teams konnten ihre Top-Leistung aber nicht abrufen. Die Erkenntnisse zum ersten Halbfinale.

1. Spanien verdient im Finale - aber beide Teams zeigen sich nicht von ihrer stärksten Seite

Salma Paralluelo
Wieder Matchwinnerin: Die 19-jährige Salma Paralluelo / Eurasia Sport Images/GettyImages

60 Minuten lang war es ein zähes Halbfinale, bei dem alles auf die Verlängerung herauszulaufen schien. Beide Teams zeigten sich nicht von ihrer stärksten Seite. Spanien dominierte wieder den Ballbesitz, spielte aber zu selten vertikal und hatte bis Mitte der zweiten Hälfte kaum Chancen. Schweden verteidigte passabel, aber nach vorne ging wenig bis nichts.

So blieb das Spiel über weite Strecken hinter den Erwartungen zurück. Zu viele Fehlpässe und Ungenauigkeiten, zu wenige gelungene Kombinationen und Torchancen. Die "neuseeländische" Seite des Turnierbaums galt als die stärkere, aber beide wären mit der Leistung von Auckland im Finale nicht der Topfavorit.

Spaniens Offensive wird Australien oder England im Finale trotzdem vor Probleme stellen, das ist keine Frage. Zumindest, falls sie so spielen wie ab der 65. Minute: direkter, vertikaler, schlüssiger. Die vorher unglücklich agierende Alba Redondo kam viel besser ins Spiel und zu einer herausragenden Chance. Salma Paralluelo, von der Bank gekommen, riss Lücke um Lücke.

Paralluelo ist jetzt schon eine der Spielerinnen der WM. Als frühere Leichtathletin hat sie eine unglaubliche Geschwindigkeit, was für Spanien ein cheat code ist. Aber seit ihrem Wechsel zu Barcelona hat die 19-Jährige auch an ihrer Entscheidungsfindung und ihren Abschlüssen gearbeitet, das merkt man ihr an.

Paralluelo von der Bank zu bringen, ist ein enormer Luxus für Jorge Vilda. Spanien hat den wohl besten Kader der WM, und ginge es nur um individuelle Qualität, wären sie als Topfavorit in das Turnier gegangen. In den letzten Jahren hat La Roja aber immer wieder enttäuscht, nutzte das Potenzial der Spielerinnen nicht voll aus. Dass mit diesem Kader nicht schon früher ein Halbfinale erreicht wurde, ist eigentlich desaströs.

Auch im Halbfinale spielte nicht jede Spielerin auf ihrer optimalen Position. Spanien ist im Finale, hat aber trotzdem noch viel Luft nach oben - für die Gegner der nächsten Jahre ist das ein beängstigender Gedanke. Ganz gefestigt wirkt das Team noch nicht, etwa bei dem späten Ausgleich. Ob der Einzug ins Endspiel jetzt an Vildas genialen Taktiken oder vielmehr an der individuellen Brillanz liegt, kann diskutiert werden.

Die Person Vilda überschattet auch die Euphorie um Spaniens Sieg. Spielerisch haben sie es sicherlich verdient, aber der umstrittene Trainer kann nun den größten Triumph seiner Karriere feiern. Dieser wird bereits genutzt werden, um die protestierenden Spielerinnen zu diskreditieren. Luis Rubiales sagte etwa, das Vertrauen in Vilda habe sich ausgezahlt. Ein Verband hört seinen Spielerinnen nicht zu und wird dafür belohnt - das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

2. Schweden erneut im Halbfinale raus - solide ist zu wenig

Peter Gerhardsson, Jonna Andersson
Enttäuschung bei Peter Gerhardsson und Jonna Andersson / Visionhaus/GettyImages

Nach 2011 und 2015 ist Schweden erneut im WM-Halbfinale ausgeschieden. "Ich habe es satt, Tränen bei großen Turnieren zu weinen", sagte Kosovare Asllani nach der Niederlage. Für die 34-jährige Kapitänin war es vielleicht ihre letzte WM.

Für einen Titel hat Schweden über die ganze WM gesehen, wie auch im Spanien-Spiel, aber einfach zu wenig gezeigt. Peter Gerhardsson hat seit seinem Amtsantritt eine hervorragende Arbeit geleistet und das Team fest in der Weltspitze etabliert. Das ist aller Ehren wert, auch weil Schweden individuell trotz Stars wie Fridolina Rolfö einfach nicht so stark besetzt ist wie andere Teams.

Dennoch hat es Schweden wieder und wieder geschafft, favorisierte Teams zu schlagen. Als starkes Kollektiv, mit exzellenten Standards und auch mit Glück. Gegen die USA konnte sich Schweden nur bei der herausragenden Torhüterin Zećira Mušović bedanken, Japan vergab einen Elfmeter, Spanien ebenfalls einige gute Chancen. Immer wieder gingen bei dieser WM wie auf wundersame Weise Schüsse nicht in den schwedischen Kasten, die man schon im Tor gesehen hatte.

Diese Glückssträhne geht nun auf extrem bittere Art und Weise zu Ende: Die zuvor so starke Mušović ließ einen haltbaren Distanzschuss von Olga ins Tor durch. Am Ende steht doch ein verdientes Ausscheiden. Schweden hat viel solide gemacht, aber wenig so richtig gut. Die Defensive wird regelmäßig in den höchsten Tönen gelobt, aber so viele Chancen wie gegen die USA hätten sie nicht zulassen dürfen - Ilestedt und Eriksson unterliefen mehrmals individuelle Fehler.

Die wahre Stärke von Schweden liegt im Pressing und in der Laufleistung, wie das Spiel gegen Japan beeindruckend zeigte. Aber interessanterweise ließen die Skandinavierinnen in beiden Partien zum gleichen Zeitpunkt nach, um die 60. Minute herum. Das Team von Peter Gerhardsson wirkt oft zu berechenbar.

Gerhardsson ist es nicht vorzuwerfen, dass er an seinem bewährten Konzept festhält und die Stärken seiner Spielerinnen maximieren will. Aber er ist nicht für den Willen zum Wandel bekannt, die 20-jährige Mittelfeldspielerin Hanna Bennison bekam etwa erneut nur wenige Minuten. Schweden steht ein Umbruch bevor - personell, aber vielleicht braucht es auch spielerische Veränderungen und den Mut, Neues zu probieren, wenn ein Titel her soll.

3. Schwedisches Anlaufen funktioniert nicht

Filippa Angeldal, Mariona Caldentey
Zweikämpfe und Pressing sind Schwedens Stärke, aber gegen Spanien funktionierte das nicht wirklich. / Eurasia Sport Images/GettyImages

Gegen Japan überraschte Schweden noch mit einem hohen Gegenpressing und viel Offensivdrang, während hinten die Abwehr erfolgreich verteidigte. Etwas anders sah es zu Beginn gegen Spanien aus. Das Team von Peter Gerhardsson zog sich anfangs relativ weit zurück und überließ La Roja die eigene Hälfte. Erst im Bereich des Mittelkreises ging es mit dem Anlaufen los. Insgesamt handelte es sich dabei um eine sichere Taktik, da die spielstarken Spanierinnen ihre Probleme damit hatten, den gegnerischen Abwehrriegel zu knacken. Demnach kam das Team nur selten zu großen Torchancen in der ersten Hälfte.

Während Schweden dem Gegner viele Spielanteile gewährte, schafften sie es selbst nicht richtig, das eigene Spiel aufzuziehen. Von den seltenen Versuchen schafften sie es nur einige wenige Male, sich durchzuspielen. Mehr Gefahr ging dann aus, wenn die Spielerinnen in den gelben Trikots auf Fehler im spanischen Aufbau warteten und darauf dann blitzschnell zuschlugen. Auf diese Weise erarbeiteten sie sich ihre besten Chancen, wie auch der beste Versuch der ersten Hälfte über Rolfö, die zuvor nach einem Ballgewinn das Spielgerät von Johanna Rytting-Kaneryd zugespielt bekommen hatte.

Im zweiten Durchgang änderte sich dann einiges bei den Schwedinnen. Man traute sich vorne ein höheres Anlaufen zu, was zunächst auch für mehr Unsicherheit im spanischen Aufbauspiel führte. Allerdings ergaben sich hierdurch auch mehr Räume für La Roja in der eigenen Hälfte. Diesen nutzten die Spanierinnen eiskalt aus, als mit Salma Paralluelo eine sehr schnelle Außenstürmerin eingewechselt wurde.

Über ihr Tempo gewann Spanien die Oberhand und konnte so auch den Führungstreffer erzielen. Schweden war in der zweiten Halbzeit mutiger, jedoch nicht mutig genug, um den Spanierinnen einen Schritt voraus zu sein. Wie es in den vergangenen Jahren schon häufig passiert ist, muss sich das Team von Gerhardsson ein weiteres Mal kurz vor dem Ziel vom Titeltraum verabschieden.

4. Die Bedeutung von Kapitänin Olga für Spanien

Olga Carmona
Olga Carmona jubelt nach dem 2:1 / Phil Walter/GettyImages

Mit nur 23 Jahren ist Olga Carmona bereits die Anführerin von Spanien – auf und neben dem Platz. Und das, obwohl gleichzeitig Weltfußballerin Alexia Putellas mit ihr auf dem Spielfeld stand. In der Partie gegen Schweden wurde klar ersichtlich, warum Nationaltrainer Jorge Vilda sich so entschieden hat. 

Im bisherigen Verlauf hat Putellas noch nicht richtig in das Turnier gefunden und an ihre vorherigen Leistungen anknüpfen können. Seit ihrer Kreuzbandverletzung kurz vor Beginn der Europameisterschaft im letzten Jahr ist die Kapitänin des FC Barcelona nicht mehr dieselbe. Und das kann man auch nicht zwingend erwarten, immerhin konnte die 29-Jährige für fast ein ganzes Jahr keinen Ball an den Fuß nehmen. Auch zum Ende der Saison kam sie mit der Vereinsmannschaft nur auf Kurzeinsätze, bevor es Richtung Nationalmannschaft geht.

Natürlich erwartet man von einer Weltfußballerin immer die besten Leistungen, doch die Auswirkungen und Langzeitfolgen der schweren Verletzung dürfen nicht außer Acht gelassen werden. 

Da es für Putellas noch einige Zeit dauern wird, bis sie an ihre Leistungen vor der Verletzung anknüpfen kann, war die Ernennung Olgas absolut gerechtfertigt. Sie ragte im Gegensatz zur Weltfußballerin im Halbfinale deutlich heraus. Nicht nur gewann sie in der Defensive viele Duelle und ließ nicht viel auf der linken Verteidigungsseite an ihr vorbeikommen, vor allem im spanischen Angriff setzte sie immer wieder Impulse und machte die Wege nach vorne mit. 

Im Viertelfinale gegen die Niederlande bereitete die Spielerin von Real Madrid in der Anfangsviertelstunde fast schon ein Tor vor, als ihre Flanke von der linken Seite den Kopf von Alba Redondo fand, welcher das schwedische Tor jedoch verfehlte. Gleich darauf versuchte es Olga mit einem Schuss aus der zweiten Reihe, der gefährlich abgefälscht nur knapp am Kasten von Zecira Musovic vorbeisegelte. 

Mehr Glück hatte die 23-Jährige dann, als es wirklich darauf ankam. Kurz nach dem Ausgleichstreffer der Schwedinnen in der 90. Minute verzichtete Spanien auf eine Hereingabe per Ecke und spielte stattdessen Olga im Rückraum an, deren Abschluss noch die Latte traf und dann im Tor einschlug. Kapitänin Olga avancierte zur Matchwinnerin und führt Spanien demnach zum historischen WM-Finale.