15 Rücktritte: Die Hintergründe zum Chaos um die spanische Nationalmannschaft

Im Zentrum der Vorwürfe: Jorge Vilda
Im Zentrum der Vorwürfe: Jorge Vilda / Naomi Baker/GettyImages
facebooktwitterreddit

Der Konflikt zwischen den Spielerinnen der spanischen Nationalmannschaft und Trainer Jorge Vilda, unterstützt vom Verband RFEF, hat sich weiter verschärft. Fünfzehn Spielerinnen reichten laut dem Verband ihren Rücktritt ein, darunter viele Stützen des Teams. Der RFEF reagierte auf die Schreiben mit einem empörten Statement. Was genau werfen die Spielerinnen dem Trainer vor? Die Hintergründe.


15 Spielerinnen-Rücktritte und ein heftiger Tritt zurück vom Verband

Das Wort Rücktritt hat mehrere Bedeutungen. Zum einen ist damit der herkömmliche Sinn gemeint - aus einem Team ausscheiden, freiwillig nicht mehr auflaufen. Gleich 15 Spielerinnen informierten den Verband laut dessen Statement, dass sie mit sofortiger Wirkung aus der spanischen Nationalmannschaft zurücktreten, nachdem von ihnen geforderte Veränderungen nicht umgesetzt wurden. Darunter etwa Aitana Bonmati, Mapi Leon, Patri Guijarro, Ona Battle oder Mariona Caldentey, alles Schlüsselspielerinnen des Teams.

Aber, und hier kommt die zweite Bedeutung ins Spiel, der spanische Verband trat zurück - ein Rücktritt im Sinne einer heftigen Gegenreaktion. Und zwar mit einem sehr deutlichen Statement: Der RFEF verurteilte das Verhalten der Spielerinnen aufs Schärfste. Wenn die Spielerinnen mit ihrem Rücktritt die Tür zur Nationalmannschaft zugemacht haben, hat der Verband sie daraufhin abgeschlossen. "Die zurückgetretenen Spielerinnen werden in Zukunft nur dann in die Nationalmannschaft zurückkehren, wenn sie ihren Fehler einsehen und sich entschuldigen", heißt es im Statement.

Streit um Vilda: Das ist bisher passiert

Dass die Spielerinnen mit ihrem Trainer Jorge Vilda, seit 2015 im Amt, unzufrieden sind, ist nichts Neues. Schon seit Monaten gibt es Meldungen, dass Teile des Teams seine Entlassung forderten. Diese Bitte stoß beim Verband aber nicht auf offene Ohren, im Gegenteil: Vor der EM wurde der Vertrag von Vilda verlängert, eine viel kritisierte Entscheidung.

Nach dem Turnier, bei dem Spanien im Viertelfinale knapp am spätigen Europameister England scheiterte, spitzte sich der Konflikt zu. Die Kapitäninnen von Barcelona versuchten, einen Rücktritt vom Trainer zu forcieren, und sprachen dafür mit dem Präsidenten des Verbands, Luis Rubiales, und mit Vilda selbst. Aber ohne Erfolg: Der RFEF hat dem umstrittenen Vilda seine Unterstützung zugesichert, mindestens bis zur WM im nächsten Sommer soll er im Amt bleiben.

Zwischenzeitlich schien es, als könne der Konflikt gelöst werden: Auf einer Pressekonferenz erklärte Kapitänin Irene Paredes, die Spielerinnen hätten nicht, anders als berichtet, direkt um die Entlassung des Trainers gebeten, sondern nur ihre Unzufriedenheit ausgedrückt. Ihr sei auch zugesichert worden, dass Veränderungen in verschiedenen Bereichen unternommen werden würden. Von daher kam die Meldung von den Rücktritten, allesamt per Mail mit dem gleichen Wortlaut eingereicht, überraschend. Paredes ist nicht unter den 15 Spielerinnen.

Das wird Vilda vorgeworfen

Aitana Bonmati
Barcelona-Spielerin Aitana Bonmati gehört zu den 15 Spielerinnen und hat letzte Saison sehr viele Spiele bestritten / Naomi Baker/GettyImages

Prinzipiell gibt es zwei Kritikpunkte: Der Umgang Vildas mit den Spielerinnen und seine Kompetenzen als Trainer. Zum ersten Punkt haben mehrere Medien übereinstimmend berichtet, dass es einen deutlichen Unterschied im Umgang zwischen Stamm- und Ersatzspielerinnen gebe, was viele demotivieren würde. Die Stammspielerinnen sind ebenso mit dem Mangel an Rotation unzufrieden und haben Angst vor Verletzungen: Viele Spielerinnen, besonders von Barcelona, bestritten letzte Saison sehr viele Spiele und bekamen auch bei der Nationalmannschaft keine Pause. Selbst in Freundschaftsspielen sei keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen worden. Berichten von El Partizado de COPE zufolge haben einige Spielerinnen die Einzelgespräche, die Vilda nach der Rücktrittsforderung einberufen hat, weinend und aufgelöst verlassen.

Auch auf der sportlichen Ebene gab es Probleme: Die Spielerinnen empfinden das Training von Vilda als unzureichend und haben sich beschwert, bei der Nationalmannschaft nicht gefordert zu werden. Dazu seien die Entscheidungen von Vilda schlecht kommuniziert und für viele Spielerinnen unverständlich. Kritik gab es etwa an seinen Nominierungen - einige Spielerinnen, die zu den besten in Spanien gehören, werden von Vilda konsequent ignoriert. Auch während der EM seien seine Entscheidungen für die Startelf immer wieder kritisiert worden. Zudem halten einige Spielerinnen seine taktischen Kompetenzen für zu schwach für einen Trainer der Nationalmannschaft.

Verband wehrt Vorwürfe ab

Der Verband wehrt sich gegen die Vorwürfe, die Reaktionen von Vertretern des RFEF reichen von überrascht über trotzig bis hin zu wütend. Ana Alvarez, Verantwortliche für den Frauenfußball, sagte etwa: "Wir wissen nicht, was das Problem ist. Die Spielerinnen sind nicht schlecht behandelt worden, ganz und gar nicht." Vilda selbst hatte schon vor den Rücktritten gesagt, er könne auf die rebellierenden Spielerinnen verzichten. Er betonte mehrmals, dass er Vertrauen in seine Fähigkeiten als Trainer habe und zeigte sich Berichten zufolge wenig bereit, die Kritik anzunehmen. Der Verband schlug in seinem Statement eine ähnliche Richtung ein und fühlt sich hintergangen: "Diese Art von Manöver ist alles andere als vorbildlich, entspricht nicht den Werten des Fußballs und des Sports und ist schädlich."

Nicht die ersten Vorwürfe gegen Vilda

Damaris Egurrola
Statt in Rot jetzt in Orange: Damaris Egurrola / Jonathan Moscrop/GettyImages

Der Fall Damaris Egurrola, der bereits ein Jahr zurückliegt, zeigt ähnliche Vorwürfe gegen Vilda in beiden Bereichen. Vilda berief die 22-jährige defensive Mittelfeldspielerin vom Champions-League-Sieger Olympique Lyonnais nicht für die Nationalmannschaft, obwohl sie auf ihrer Position als eins der größten Talente gilt. Nachdem Egurrola, die die doppelte Staatsbürgerschaft hat, sich entschied, deshalb für die Niederlande aufzulaufen, bestritt Vilda das jedoch: Sie habe bloß die Einladungen abgelehnt. Da Egurrola mehrmals betont hat, dass es ein Traum für sie wäre, für Spanien zu spielen, wurden an dieser Aussage Zweifel geäußert, ihr Management bezichtigte Vilda des Lügens.

Außerdem erzählte sie von dem schlechten Umgang Vildas mit den Spielerinnen: Im Finale der U20-Weltmeisterschaft, bei dem Spanien sehr gut spielte, habe er sie in der Halbzeitpause so stark kritisiert, dass ihr die Tränen kamen. Außerdem habe Vilda eine Absage von ihr von der U23-Mannschaft mit Unverständnis zur Kenntnis genommen, obwohl Egurrolas Team zu dem Zeitpunkt 15 Corona-Fälle hatte und sie gerade erst aus der Quarantäne zurückgekommen war. Egurrola wollte also kein Risiko eingehen, woraufhin Vilda drohte, mit Anwälten gegen sie und den Klub vorzugehen.

Vilda ist sein eigener Chef, Vater in wichtiger Position

All das, kombiniert mit der spielerischen Stagnation Spaniens, führt zu dem Eindruck, dass Vilda menschlich und taktisch Schwächen hat. Dennoch führt eine solche Konstellation meist nicht zu einer Spielerinnen-Meuterei und zahlreichen Rücktritten. Hinter der Kritik steht noch mehr. Vilda ist neben seiner Rolle als Trainer auch Sportdirektor für den Frauenfußball beim RFEF - ein Posten, der eigentlich unter anderem dazu da ist, die Arbeit des Trainers zu bewerten.

Dazu kommt, dass Jorge Vildas Vater Angel ebenfalls seit langer Zeit für den Verband tätig ist, früher als Trainer und dann in höherer Position. Daher wurde spekuliert, ob sein Einfluss auch einer der Gründe für die Einstellung von seinem Sohn, der bis dahin nur Jugendteams trainiert hatte, war. Sicher ist, dass Vilda innerhalb des Verbands sehr gut vernetzt ist und mit vielen einflussreichen Funktionären gute Beziehungen unterhält.

Vereinszugehörigkeit könnte eine Rolle spielen

Auffällig ist, dass es die Kapitäninnen vom dominierenden Verein in Spanien, dem FC Barcelona, waren, die zunächst Vildas Rücktritt forderten. Sechs der 15 zurückgetretenen Spielerinnen sind beim katalanischen Verein aktiv, einige weitere haben bereits dort gespielt. Von den Spielerinnen von Real Madrid, nach Barca die zweitgrößte Fraktion bei der Nationalmannschaft, ist dagegen keine darunter.

Berichten zufolge ist das kein Zufall: Laut El Confidential bestehen zwischen dem Klub und Vilda enge Verbindungen. Er sei mit der Frauenfußball-Verantwortlichen bei Real, Ana Rossell, sehr gut bekannt. Zudem kennt Vilda Real-Präsident Florentino Perez und den RFEF-Boss Luis Rubiales schon lange. Perez soll einmal gesagt haben: "Wenn du in der Nationalmannschaft spielen willst, musst du zu Real Madrid kommen" - was bei vielen Spielerinnen dann auch so war. Dass Real diese guten Verbindungen aufrecht erhalten will und daher seinen Spielerinnen von einem Rücktritt stark abgeraten hat, ist also möglich.


Folgt uns für mehr Frauenfußball bei 90min:

Twitter:@FF_90min                                                                                                                                        Podcast: Raus aus dem Abseits

Alle News zum Frauenfußball hier bei 90min:

Alle Frauenfußball-News
Alle DFB-News
Alle Frauen-Bundesliga-News