WM des Wahnsinns - Wie viel Fußball verträgt der Fußball noch?

Die Flut an Spielen steigt für die großen Fußballstars gefühlt jährlich. Da stellt sich die Frage, wie sie es schaffen sollen, beim wohl bedeutendsten Event ihrer Karriere tatsächlich frisch zu sein – sowohl mental als auch körperlich. Und wer soll sich das alles noch anschauen?
Geht dem Fußball irgendwann die Luft aus?
Geht dem Fußball irgendwann die Luft aus? / JOEL SAGET/GettyImages
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Bei der Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko werden erstmals 48 Mannschaften antreten. Über den gesamten Turnierverlauf wird es somit dann unfassbare 104 Spiele geben was im Vergleich zu den vorherigen Jahren eine drastische Steigerung darstellt, denn bisher waren beim Endturnier des wohl bedeutendsten Fußballturniers der Welt nur 32 Nationalteams vertreten und es kam zu 64 Spielen bei der Endrunde. Nun also erstmals die XXL-Edition der WM.

Die Frage, ob und inwieweit dieses neue Prozedere letztlich sinnvoll oder gewinnbringend für den Fußball ist, bleibt jedoch groß. Vor allem für zwei Personengruppen: Einerseits diejenigen, die die Knochen über das gesamte Jahr auf dem Rasen hinhalten müssen. Und andererseits diejenigen, die dieses Ausmaß immer exzessiver und ausufernder konsumieren sollen. Es gleicht einer Überflutung für Spieler und Fans.

Der Spielplan für die Starspieler platzt sowieso schon aus allen Nähten

Um auch vermeintlich kleineren Nationen, die sonst wohl nie eine Chance gehabt hätten, je an einem derartigen Event teilzunehmen, eine Chance zu geben, wurde das Teilnehmerfeld der WM-Endrunde stark erweitert. Grundsätzlich ist der Gedanke wohl auch lobenswert, doch vermutlich steht auch in dieser Hinsicht vor allem die Vermarktung und Erschließung weiterer Absatzmärkte im Fokus der Entscheider. Mittlerweile liegt man wohl nicht mehr ganz so falsch, wenn man den Eindruck hat, dass die großen Turnierideen vor allem seitens der FIFA stärker nach Geldbeutel als nach Fußballplatz riechen.

Jamal Musiala hat sich bei einem Turnier, das vermutlich kaum jemand braucht, schwer verletzt
Jamal Musiala hat sich bei einem Turnier, das vermutlich kaum jemand braucht, schwer verletzt / Eurasia Sport Images/GettyImages

Neben einem auf Vereinsebene bereits anschwellenden und fordernden Spielplan und Wettbewerbsneuerfindungen gibt es auch interkontinentale Schauspiele wie die neue Version der Klub-WM, die den Spielern in der eigentlichen Urlaubs- und Erholungszeit weitere Duelle in Turnierform und körperliche Umstände wie Zusatzbelastung und Reisestrapazen beschert.

Echter sportlicher Mehrwert? Fraglich. Zusätzliche Einnahmen? Garantiert. Verletzungsgefahr für die Akteure auf dem Rasen? Aber sicher! Man frage nur beim FC Bayern und Jamal Musiala nach. Man hat das Gefühl, die Spieler auf höchstem Niveau kommen überhaupt nicht mehr zur Ruhe - außer eine Verletzung zwingt sie dazu. Bereits um ein WM-Turnier der Superlative herum, ist die Belastung schon unglaublich hoch.

Im Sinne des Leistungsgedankens: Warum kein Zwischenschritt für vermeintliche Fußballzwerge?

Auch mit Blick auf den Kerngedanken einer Weltmeisterschaft, bei der sich eigentlich die besten der Welt messen sollten, stellt sich mir die Frage: Warum etabliert man in fußballschwächeren Kreisen nicht einen Zwischenschritt zwischen Endturnier und Qualifikation, bei dem sich die vermeintlichen Fußballzwerge um ein paar wenige Plätze im Kreise der Großen duellieren und beweisen können?

Eine Art Vorentscheid in Turnierform für Nationen deren Spielplan nicht so voll ist wie der europäische und bei der man die sportliche Spreu vom Weizen trennt. Wer es in dieser weiteren Turnierform dann bis zur Teilnahme an der Endrunde schafft, hat dort auch seine Berechtigung. Zum Beispiel mit einem dann breiten Teilnehmerfeld aus Nationen der Qualifikationsbereiche Asien, Ozeanien sowie Nord- und Mittelamerika. Für fußballstarke Nationen aus Europa, Südamerika und Afrika bliebe alles beim Alten und dem üblichen Qualifikationsweg.

Je nach Anzahl der an einem solchen Zwischenschritt bzw. Vorentscheid teilnehmenden Nationen ließe sich die Anzahl der endgültigen WM-Teilnehmer reduzieren und vielleicht auch nachvollziehbar gestalten. Man könnte beispielsweise die drei besten Teams dieses Vorentscheids nehmen: die beiden Finalisten sowie den Sieger des Spiels um Platz drei. Alternativ könnte man im Ligaformat antreten, jeder gegen jeden, und am Ende die besten sechs Nationen zur WM nehmen. Wie auch immer - einfach eine Reduzierung der nun zwölf Teilnehmer aus diesem Pool. Es wäre sozusagen wie der Vorentscheid zum Eurovision Song Contest – nur eben mit Fußballschuhen.

Ist der Fußball in erster Linie nur noch ein Goldesel?
Ist der Fußball in erster Linie nur noch ein Goldesel? / FABRICE COFFRINI/GettyImages

Ist es zielführend, die Qualifikation möglichst vielen zu ermöglichen?

Nicht falsch verstehen: Auch ich finde es überaus spannend, diese für uns unbekannten Fußballnationen näher kennen- und womöglich auch lieben zu lernen. Doch ist das in seinem neuen Ausmaß noch zwingend zielführend und dem Wettbewerbs- bzw. Leistungsgedanken unterstellt? Ich habe meine Zweifel.

Ein weiterer Zwischenschritt für die weniger starken Bereiche des Planeten hätte neben dem sportlichen Plus doch sicher auch für die FIFA einen gewissen Mehrwert in Sachen Vermarktung und würde das Endturnier am Ende wohl auch gerechter machen und die teilnehmenden Mannschaften qualitativ näher beieinanderbringen - im Sinne des Kerngedankens einer Weltmeisterschaft und somit letztlich auch zur Entlastung derer, die eh schon kaum noch verschnaufen können.

Die Frage bleibt: Geht es auf höchstem Fußballniveau aktuell also überhaupt noch wirklich um den wahren Leistungssport und die dort dann erbrachte Leistung, oder dient der Fußball hier vor allem als Werbeplattform und Vermarktungswerkzeug für diejenigen, die den Rachen nicht vollbekommen können und die mit einem erweiterten Teilnehmerfeld einfach nur mehr Absatzmärkte schaffen wollen?

Vollkommene Reizüberflutung - Fußball bis die Schwarte kracht

Vom Start des Turniers am 11. Juni bis zum Finale am 19. Juli finden insgesamt 104 WM-Spiele statt. Mit dabei sind auch Nationen, die gegen die vermeintlichen Big Player aus Europa, Südamerika und teils auch Afrika wohl kaum eine realistische Chance haben dürften. Aber Hauptsache, sie sind mal dabei, möchte so mancher sagen. Doch zu welchem Preis und wem hilft eine herbe Klatsche gegen einen haushoch überlegenen Favoriten - wie 2022 beim 7:0 der Spanier über Costa Rica - am Ende wirklich?

Gerade für Spieler von Top-Teams, die lange in mehreren Wettbewerben vertreten sind, ist die Belastung enorm
Gerade für Spieler von Top-Teams, die lange in mehreren Wettbewerben vertreten sind, ist die Belastung enorm / Daniel Kopatsch/GettyImages

Die Mehrbelastung für die ohnehin stark ausgelasteten und teilweise schon überlasteten Starspieler, vor allem aus dem europäischen Markt, ist bedenklich. Die Starspieler kommen teils bereits angeschlagen, vollkommen ausgelaugt oder mental vollkommen übermüdet zum wichtigsten Fußballturnier der Welt, auf das man vier Jahre lang hin trainiert hat, und quälen sich dann von Spiel zu Spiel, weil die Kräfte und die geistige Frische irgendwann einmal aufgebraucht sind.

Blickt man in die englische Premier League, stellt man sich schon lange die Frage, wie die zahlreichen nationalen Wettbewerbe mit den internationalen Zusatzaufgaben vereinbar sind. Dort gibt es aufgrund der Masse an Spielen beispielsweise gar keine Winterpause und sogar Pflichtspiele an den Weihnachtsfeiertagen.

In Ligen wie der Serie A oder La Liga gibt es, wenn überhaupt, nur eine verkürzte Winterpause und nicht etwa den vermeintlichen Luxus der Bundesliga, die sich zumindest über den Jahreswechsel ein wenig zurückfährt und den Spielern die Zeit gibt, ihre Wunden zu lecken. Internationale Starspieler von Klubs wie Manchester City, dem FC Barcelona oder Real Madrid kommen gefühlt über Jahre gar nicht zu einer Auszeit.

Wie soll das dem Sport noch nützen, wenn diejenigen, um die sich alles dreht, am Ende nur noch ein Schatten ihrer selbst sind?

Dauer(b)renner: Federico Valverde von Real Madrid
Dauer(b)renner: Federico Valverde von Real Madrid / Michael Regan/GettyImages

Spieler wie der Uruguayer Federico Valverde, DFB-Star Joshua Kimmich, der Marokkaner Achraf Hakimi, Frankreichs Kylian Mbappé, der Kroate Josko Gvardiol oder der Portugiese Bruno Fernandes absolvierten in der Saison 2024/25 bereits schwindelerregende Einsatzzeiten. Valverde hatte mit gut 400 Einsatzminuten Abstand zum Zweitplatzierten die meisten Einsatzminuten aller Spieler in dieser Statistik. Dies ist einem proppevollen Rahmenterminkalender plus Klub-WM geschuldet.

Ohne Pause geht es immer höher, schneller, weiter - auf dem Rücken der Fußballstars. Ein Lamine Yamal plagt sich ebenfalls schon seit Wochen mit starken Verletzungsproblemen - auf dem Platz stand er dennoch. Der spanische Shootingstar könnte bis zum WM-Start auf der Felge angefahren kommen und dürfte so dann fern von Optimalform agieren.

Auch für Fans gilt: Wie viel Fußball verträgt der Fußball noch?

Zudem stellt sich die Frage, welcher Fan an dieser Flut von Spielen tatsächlich dauerhaft Interesse haben soll oder kann. Oder hat am Ende womöglich auch der Endverbraucher im Stadion und vor dem TV-Gerät den Fußball satt und möchte sich bei der WM 2026 nicht zwingend ein Länderspiel von Jordanien, Usbekistan, Haiti oder Curaçao ansehen? Vermutlich lässt man dann einfach auch vieles an sich vorbeiziehen und stellt dank einer gewissen Dauerberieselung letztlich auf fußballerischen Durchzug.

Zu viel - Wird man als Fan irgendwann müde vom Fußball gucken?
Zu viel - Wird man als Fan irgendwann müde vom Fußball gucken? / Sean Gallup/GettyImages

Die aufgedrückte Übersättigung, die durch unzählige andere Spielplätze der Fußballmächtigen, die die Geldpresse ankurbeln sollen, entsteht, schadet dem Fußball am Ende womöglich mehr, als dass sie ihm nutzt. Sie nutzt am Ende wohl auch nur denen, die daran mitverdienen ohne selbst die Knochen hinhalten zu müssen und die den Fußball mittlerweile nur noch als Geschäftsmodell ohne Wertevorstellung ansehen.

Die Spieler müssen den vermeintlichen Irrsinn als Packesel mittragen.


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