Warum die Transferpleiten um Woltemade und Wirtz für Bayern ein Glücksfall waren
Von Oliver Helbig

Noch im Sommer galten die gescheiterten Transferversuche des FC Bayern München um Florian Wirtz und Nick Woltemade als krachende Niederlage und standen gewissermaßen auch für einen Verlust des Standings des Rekordmeisters. Wirtz entschied sich, Bayer 04 Leverkusen in Richtung England zu verlassen und heuerte beim FC Liverpool an, wo er aktuell wohl die bislang schwierigste Phase seiner noch jungen Karriere durchläuft.
Bei Nick Woltemade lagen die Karten etwas anders. Zwar wollte der Spieler nach München, doch sowohl die Bayern als auch die Spielerseite bissen sich am hartnäckigen Verhandlungskurs des VfB Stuttgart die Zähne aus. Auch Woltemade wechselte stattdessen nach England und lieferte bei Newcastle United bereits eindrucksvoll ab.
Klingt komisch: Aktuell sieht es mit etwas Mut und über den Tellerrand hinaus betrachtet dennoch so aus, als hätte der FC Bayern mit dem Scheitern der Verpflichtungen dieser beiden DFB-Stars unbemerkt einen ungewollten Glücksgriff getätigt – unabhängig vom bisherigen Abschneiden der jeweiligen Ex-Transferziele.
Liegt die Wahrheit fernab des Offensichtlichen?
Natürlich könnte man in vielerlei Hinsicht erfolgreiche Szenarien um Florian Wirtz und Nick Woltemade heranziehen, um eine Idee davon zu bekommen, ob ein Transfer zum FC Bayern einen gewissen Mehrwert gehabt hätte oder nicht. Sicherlich hätten beide Spieler den Münchnern gut zu Gesicht gestanden - das steht außer Frage. Auch wenn es bei Woltemade derzeit deutlich besser läuft als bei Wirtz, dürfte klar sein, dass beide auch im funktionierenden Gesamtgefüge des FC Bayern München eingeschlagen und funktioniert hätten und dort ihre Leistungen bringen würden. Vermutlich hätte es Wirtz beim deutschen Rekordmeister derzeit auch deutlich leichter gehabt als bei den kriselnden Reds in Liverpool.
Doch abseits der vermeintlichen Knall-Garantie dieser lange erträumten Top-Transfers lässt sich vielleicht sogar festhalten, dass dies das vermeintlich Beste ist, was dem FC Bayern im Sommer NICHT passiert ist. Gewagte These, doch blicken wir auf die Fakten.
Die Transfer-Rückschläge um Wirtz und Woltemade taten den Münchnern natürlich weh und kratzten mit Sicherheit auch am Image und Ansehen des FC Bayern als Big-Player auf dem Transfermarkt ebenso wie von Max Eberl, der als verantwortlicher Kopf für diese Themen verantwortlich ist. Schillernde Transfers um deutsche Fußballstars wie Florian Wirtz und Nick Woltemade wären ganz nach dem Geschmack des Rekordmeisters gewesen, doch vielleicht ist es in diesem Fall tatsächlich so, dass eine Tür nicht die eigene ist, wenn sie sich nicht für dich öffnet.
Zieht man den Fokus von der vermeintlichen Transferschlappe ab, entdeckt man vielleicht auch die positiven Effekte, die für den FC Bayern durch diese Transferkörbe entstanden sind.
Hat der FC Bayern mit dem geplatzten Wirtz-Transfer Glück gehabt?
Fangen wir mit Florian Wirtz an. Sicherlich wäre auch der ehemalige Leverkusener eine absolute Verstärkung und sportliche Bereicherung gewesen und hätte mit Sicherheit nicht schlechter performt als sein vermeintlicher Ersatztransfer Luis Díaz.
Was einen Transfer von Wirtz im Vergleich zum Kolumbianer aber vermutlich abgehoben hätte, wäre wohl der Punkt, dass man mit Wirtz den derzeit am meisten gehypten deutschen Fußballstar an Bord geholt hätte, der dementsprechend sicher auch Ansprüche gehabt hätte, im Trikot des FC Bayern als solcher angesehen zu werden - und bei dem auch der Verein Interesse daran gehabt hätte, dass der Spieler diese Rolle einnimmt.
Leichte Hahnenkämpfe mit Kumpel und Konkurrent Jamal Musiala wären dabei vermutlich nicht ausgeschlossen gewesen. Zudem bleibt die Frage, ob Jamal Musiala am Ende so glücklich darüber gewesen wäre, sich seinen Status als kommender Superstar der Münchner zu teilen oder gar in den Schatten von Wirtz zu rutschen. Ob die beiden ähnlich wie in der Nationalmannschaft auch auf Vereinsebene so harmoniert hätten, bleibt eine interessante, aber nun vielleicht glücklicherweise ungelöste Fragestellung.
Mit dem gescheiterten Wirtz-Transfer konnte man diese Thematik umschiffen und hat sich letztlich wohl auch viel Medienrummel um genau dieses Thema erspart. Damit bleibt der Fokus rein auf dem sportlichen Erfolg der Mannschaft und fernab von etwaigen Machtkämpfchen oder unangenehmen und Wirtz-Themen mit gewisser Schlagseite.
Wirtz-Ersatz Luis Díaz: Der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt?
Luis Díaz hingegen kam nicht als gefeierter Superstar nach München, sondern im Grunde lediglich als durchaus namhafter Spieler, der immer im Schatten anderer großer Namen stand und ein gewisses Fragezeichen im Rucksack hatte. Maximal als ein Spieler, der diesen Status in München gerne erreichen würde.
Der Kolumbianer konnte sich zügig nach seiner Ankunft an der Säbener Straße hervorragend ins Team einfügen und wurde schnell integriert – auch, weil er sich voll und ganz auf den Klub und seine neuen Mitspieler einließ und seinen Platz in der Hierarchie einnahm, ohne jemandem dabei auf die Füße treten zu müssen. Dieses harmonische Einreihen führte dazu, dass der FC Bayern ununterbrochen als echte Einheit auftritt und vor allem auch den Medien keine Angriffsfläche für mögliche Brandherde bietet.
Wenn selbst Torjäger Harry Kane keine Extrawurst darstellt, dann sollte man meinen, dass auch kein anderer Star des FC Bayern derartige Sonderbehandlungen verdienen würde. Unabhängig davon, ob Wirtz diese gewollt hätte – rein medial hätte man aus ihm alleine schon aufgrund der massiven Ablöse eine Extrawurst gemacht und diese vermarkten wollen. Nicht so bei Luis Díaz.
Kein ganz unbedeutender Faktor, nachdem man in jüngerer Vergangenheit wieder etwas zum ungeliebten "FC Hollywood” abgedriftet war und häufiger über Probleme und Themen abseits des Platzes berichtete. Diese Harmonie und Konzentration auf rein sportliche Aspekte spielen dem noch immer stattfindenden Neuaufbau unter Kompany erheblich in die Karten, sodass der Belgier keine unnötigen Diskussionen kommentieren oder argumentieren muss und rein mit der Weiterentwicklung seines Teams beschäftigt ist. Bei Nagelsmann und Tuchel war das noch ganz anders.
Auch die Transferschlappe um Woltemade hat seine Vorteile
Kommen wir nun zur Personalie Nick Woltemade. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass der ehemalige Stuttgarter beim FC Bayern die zeitlich stark begrenzte Rolle des Kane-Vertreters eingenommen hätte. Mit Sicherheit hätte er das in ein paar Phasen getan, doch viel häufiger hätte man Woltemade wohl hinter Kane gefunden. Auf der Zehn kam Nick Woltemade in der Vergangenheit bereits häufiger zum Einsatz und hätte vermutlich auch in München nicht in vorderster Front agiert.
Der Ex-Stuttgarter hätte sich aber umschauen müssen, sobald Jamal Musiala aus seiner Verletzung zurückgekehrt wäre. Wo hätte die deutsche Sturmhoffnung für die WM 2026 dann gespielt? Ohne zweifelsfrei gesetzt zu sein, hätte der 23-Jährige, gerade mit Blick auf die deutsche Nationalmannschaft, vielleicht wichtige Entwicklungsschritte liegen lassen und zudem wären bei einer ebenfalls saftigen Ablösesumme die Rufe aus den Medien laut geworden, dass Woltemade spielen müsse - nur für wen?
Aus seiner Sicht scheint er mit Newcastle United den besseren bzw. für ihn gewinnbringenderen Weg gefunden zu haben; auch mit deutscher Fanbrille betrachtet, erscheint die Geschichte wie sie nun ist als sinnvoll. In diesem Punkt kann man sich womöglich sogar beim VfB Stuttgart für deren Hartnäckigkeit bedanken.
Nicht zu vergessen: Lennart Karl verdankt seinen Aufstieg auch den geplatzten Top-Transfers
In diesem Zusammenhang ist auch die Personalie Lennart Karl nicht zu vernachlässigen. Fraglich ist nämlich, ob Vincent Kompany mit Nick Woltemade und/oder Florian Wirtz noch die Kapazitäten gehabt hätte, den Münchner Nachwuchskicker jetzt schon ins kalte Wasser zu werfen.
Mit einem Woltemade in der Mannschaft, der zu deutlich mehr in der Lage wäre als ein Nicolas Jackson, wäre wohl auch Karl in der Rangfolge der Münchner nach hinten oder gar in die Bedeutungslosigkeit gerutscht. Dann würden heute vielleicht nur eingefleischte Bayern-Fans wissen, dass ein derart hochveranlagtes Juwel in den Reihen des Rekordmeisters schlummert. Durch den etwas zu dünn erscheinenden Kader des Rekordmeisters erfreut man sich gerade aber am kometenhaften Aufstieg des 17-Jährigen, der andernfalls vielleicht nie so gekommen wäre.
Wenn der Preis für die geplatzte Verpflichtung von beispielsweise Nick Woltemade also darin liegt, dass sich Lennart Karl als Eigengewächs in großen Schritten weiterentwickelt, reichlich Spielzeit erhält, die Münchner Identifikationsschnur hochhält und zudem durch die eingesparte Ablösesumme und sein geringes Gehalt einen finanziellen Mehrwert bietet, dann ist das ein Preis, den man in München sehr gerne zu zahlen bereit sein dürfte.
Unter dem Strich ist der FC Bayern der große Gewinner
Ich will nicht behaupten, dass die beiden Spieler schlecht für den Rekordmeister gewesen wären, aber vielleicht war es für den Klub und seine derzeitige Entwicklung tatsächlich das Beste, dass sie nicht verpflichtet werden konnten. Letztendlich scheinen die geplatzten Transferträume um Woltemade und Wirtz für den FC Bayern, der sich gerade irgendwie auch neu erfindet und interessanterweise dabei gleichermaßen wieder zu seinen Wurzeln zurückfindet, tatsächlich wahre Glücksfälle zu sein - zumindest für den Moment. Es wirkt fast so, als hätte es der Fußballgott - im Sinne der Münchner - genau so gewollt.
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