Junior Messias: Vom Lieferboten zum Champions-League-Heiland

Die Freude nach seinem Siegtor bei Atletico Madrid war Junior Messias sichtlich anzumerken.
Die Freude nach seinem Siegtor bei Atletico Madrid war Junior Messias sichtlich anzumerken. / Quality Sport Images/GettyImages
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Schon der Name ist kurios: Junior Messias. Und seine Lebensgeschichte kann da mithalten. Vor nicht allzu langer Zeit verdiente er sein Geld mit dem Ausliefern von Elektrogeräten, heute liefert Junior Messias Tore und sorgt dafür, dass Fußballfans aus der ganzen Welt sich mit seiner beeindruckenden Lebensgeschichte beschäftigen.


Junior Walter Messias kam am 13. Mai 1991 in Belo Horizonte im Südosten Brasiliens zur Welt. Von einer Profikarriere als Fußballer war er noch vor mehreren Jahren so weit entfernt wie Deutschland von Südamerika. Spätestens seit Mittwochabend ist sein Name allerdings in aller Munde.

Messias schießt sein erstes Champions-League-Tor

Im Champions-League-Spiel zwischen dem AC Mailand und Atletico Madrid erzielte Messias in der 87. Spielminute das Tor des Tages. Eingewechselt in der 65. Minute verwertete der Brasilianer eine Flanke von Franck Kessie per Kopf zum 1:0-Endstand.

Anschließend reckte er die Arme fast ungläubig gen Himmel, bevor eine Gruppe an jubelnden Mitspielern auf ihn zustürmte. Es war erst der dritte Pflichtspieleinsatz des 30-Jährigen für die Rossoneri, sein erster in der Champions League. Ein Muskelfaserriss machte weitere Einsätze des Mittelfeldspielers bisher unmöglich.

"Ich reagierte einfach instinktiv, verfolgte das Geschehen und blieb ruhig. Wenn man ruhig und gefasst bleibt, kann man große Ziele erreichen", beschrieb Messias sein Tor nach dem Spiel. "Ich widme dieses Tor meiner Familie und meinen Freunden in Brasilien, die immer an mich geglaubt haben. Es ist der wichtigste Moment meiner Karriere."

Messias wechselte am letzten Transfertag zum AC Mailand

Der AC Mailand holte den offensiven Mittelfeldspieler in diesem August am letzten Transfertag auf Leihbasis vom FC Crotone. Angesichts fehlender Kadertiefe war Messias als Lückenfüller verpflichtet worden. Berichten zufolge hat Milan die Option, den Offensivspieler im kommenden Sommer für 5,4 Millionen Euro fest zu verpflichten.

Dass er trotz mangelnder Spielpraxis mit seinem Tor in Madrid die Chance der Mailänder auf ein Weiterkommen in der Königsklasse am Leben hält, ist eine der grandiosesten Geschichten des Jahres.

Pünktlich zur bald bevorstehenden Adventszeit hauchte der Messias seinem Klub neues Leben und neue Hoffnung ein. Denn mit einem Sieg am letzten Spieltag gegen Liverpool würde Milan zumindest die Europa League klarmachen, auch die Chance aufs Achtelfinale in der Champions League besteht noch.

Messias verließ mit Anfang 20 Brasilien, um Fußballprofi zu werden

Es war nicht nur irgendein Tor - der Moment, als Messias' Kopfball die Linie überquerte, war der vorübergehende Höhepunkt einer einzigartigen Biographie. Mit Anfang 20 verließ Messias seine Heimat mit dem Ziel, in Italien Fußballprofi werden zu wollen.

Eine ambitionierte Vorstellung, führt man sich vor Augen, dass Messias mehrere Jugendmannschaften seines Heimatklubs Cruzeiro durchlief, dort allerdings keine Perspektive aufgezeigt bekam.

Zunächst spielte Messias in einer Freizeitliga im Umkreis von Turin. Sein Geld verdiente er mit dem Ausliefern von Elektrogeräten wie Kühlschränken oder Fernsehern, vier Jahre lang arbeitete er als Lieferbote. Doch je älter er wurde, desto unrealistischer wurde eine Profilaufbahn.

Ezio Rossi entdeckt Messias

Eines Tages - Messias war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt - tauchte Ezio Rossi im Leben des jungen Brasilianers auf. Rossi hatte einst beim FC Turin gespielt und Anfang des Jahrtausends auch die erste Mannschaft trainiert. Bei einem Turnier sah der erfahrene Fußballfachmann zufällig, wie Messias seine Mitspieler und Gegner leistungsmäßig in den Schatten stellte.

"Ich sah ihn bei einem Spiel der Mannschaft von politischen Flüchtlingen, bei der ich zu der Zeit aushalf", erzählte Rossi im Sommer 2020 im Austausch mit dem Fußballexperten Gianluca Di Marzio, auf dessen Website gianlucadimarzio.com das Gespräch veröffentlicht wurde.

Rossi war euphorisiert und beeindruckt von den Fähigkeiten des jungen Mannes. "Nach dem Spiel bin ich aufs Feld gerannt. Ich habe ihm gesagt, dass er nicht hierbleiben könne", so sein Entdecker.

Messias klettert die Karriereleiter nach oben

Rossi holte Messias zum Fünftligisten FBC Casale, für den er als Trainer tätig war. Bloß war Messias schon bald viel zu gut für seine Konkurrenz. "Er ist nicht nur ein Seiltänzer, er ist außergewöhnlich darin, Positionen zu finden und Pässe zu spielen", so Rossi. Sodann wechselte Messias zum Viertligisten Chieri Calcio und machte dort mit 14 Saisontoren auf sich aufmerksam.

Nach der Saison soll sogar ein Zweitligist angefragt haben. "2017 wollte ihn der FC Pro Vercelli 1892 in die Serie B holen, aber aus bürokratischen Gründen scheiterte der Transfer", erzählte Rossi. Als Nicht-EU-Ausländer durfte Messias damals (noch) nicht im italienischen Unterhaus spielen.

Statt zu einem Klub in der zweiten Liga blieb Messias in der vierten Spielklasse und schloss sich dem AC Gozzano an. 2018 gelang ihm mit seinem Team aus der Region Piemont der Aufstieg in die Serie C und im Folgejahr der Klassenerhalt.

Messias trumpft beim FC Crotone auf

Messias kletterte die Karriereleiter weiter nach oben und nahm 2019 ein Angebot des süditalienischen Zweitligisten FC Crotone an. Messias benötigte keine Anlaufzeit, sofort beorderte Crotones Trainer den damals 28-Jährigen in die Startaufstellung.

Gleich in seiner ersten Spielzeit knüpfte Messias an seine Leistungen in den unteren Spielklassen an. Mit sechs Toren und ebenso vielen Vorlagen hatte er einen großen Anteil am Aufstieg in die erste italienische Liga. Das nächste Highlight.

Abstieg und Wechsel zu Milan

In der Serie A konnte der 1,79 Meter große Spieler seine Statistiken sogar leicht steigern. Neun Tore verzeichnete er bis zum Ende der Saison, an vier weiteren Treffern war er als Vorbereiter beteiligt. Messias war einer der besten Spieler seines Teams, seine Tore und die seines Mitspielers Simy (20 Saisontore) konnten den direkten Wiederabstieg jedoch nicht verhindern.

Als sich Messias schon mit dem Gedanken abgefunden hatte, wieder mit Crotone in der zweiten Liga zu spielen, klingelte sein Telefon. Die Klubverantwortlichen des AC Mailand waren am Ende der Leitung. Der Rest ist Geschichte.