Geschichten der WM: Australiens Katrina Gorry - Kämpferherz auf und neben dem Platz

Katrina Gorry mit ihrem Baby Harper
Katrina Gorry mit ihrem Baby Harper / Justin Setterfield/GettyImages
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Katrina Gorry sprang nicht in die Luft oder ballte die Faust, nachdem sie ihren Elfmeter verwandelt hatte. Ihr Jubel ist einer der ruhigeren Sorte, weniger spektakulär als der Flic-Flac von ihrer Mitspielerin Sam Kerr: Gorry wiegt lieber ihre Arme hin und her. Ein Jubel für diejenige, die sie dazu motiviert hat, bei dieser WM dabei zu sein: ihre Tochter Harper.

Neun Elfmeter später stand Australien im Halbfinale, und Gorry jubelte mit Harper auf dem Rasen. Nach ausgeglichenen 120 Minuten und dem längsten Elfmeterschießen der Frauen-WM-Geschichte haben die Matildas ihren bisher größten Erfolg erreicht.

Mittendrin Mittelfeldspielerin Katrina Gorry, die bisher fast jede Minute gespielt hat. Sie ist bisher eine der besten australischen Spielerinnen und glänzt bei der WM - obwohl sie zwischendurch schon mit dem Fußball aufhören wollte und später ein Kind bekam. Jetzt will Gorry mit Australien noch mehr Historisches erreichen und dafür sorgen, dass die nächste Generation mit diesen Problemen nicht mehr zu kämpfen hat.

Karriere und Schwangerschaft: Noch immer schwer zu vereinen

Gorry ist eine der wenigen Spielerinnen, die nach einer Schwangerschaft auf den Rasen zurückgekehrt sind. In den letzten Jahren wurden zwar große Fortschritte gemacht: Melanie Leupolz berichtet davon, wie sehr der FC Chelsea sie unterstützt hat. Alex Morgan spricht viel über ihre Schwangerschaft und die Schwierigkeiten, Kind und Karriere zu vereinen. Almuth Schult stand nach der Geburt von Zwillingen wieder auf dem Platz.

Sara Björk Gunnarsdottir hat einen wegweisenden Gerichtsfall gegen Olympique Lyonnais gewonnen, weil der Klub ihr Gehalt nicht zahlen wollte. Aber dieser letzte Fall zeigt eben auch, dass die Unterstützung nicht bei jedem Verein gegeben ist - selbst bei einem der erfolgreichsten Klubs der letzten Dekade.

Sara Bjork Gunnarsdottir
Sara Bjork Gunnarsdottir: Inzwischen bei Juventus Turin / Giuseppe Cottini/GettyImages

Emotionale Tage für Gorry

Katrina Gorry hat sich auch deshalb für ihren aktuellen Verein, Vittsjö GIK, entschieden, weil der Klub die beste Kinderbetreuung anbot. Gorry war besonders auf diese Unterstützung angewiesen, denn sie hat sich für eine künstliche Befruchtung entschieden und zog ihre Tochter zuerst alleine auf. 2021 kam Harper zur Welt, dann traf Gorry in Schweden ihre Mitspielerin Clara Markstedt, jetzt ihre Verlobte.

Nach ihrem Elfmeter machte Gorry ihren Baby-Jubel, aber sie zeigte auch auf ihr Handgelenk. Das hatte einen traurigeren Hintergrund: Später erklärte sie, dass es eine Geste für den Vater ihrer Verlobten war, der kurz zuvor verstorben war. "Es waren harte 48 Stunden", sagte Gorry, die an dem Tag auch ihren 31. Geburtstag feierte. Aber sie hatte nie Zweifel daran, das Viertelfinale zu bestreiten.

Auch für Harper, für die sie "bei jedem Training, bei jedem Spiel alles gibt". Vor der Geburt ihrer Tochter machte Gorry eine harte Zeit durch: Sie hatte immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen und litt unter einer Essstörung. Mit ihrer Entscheidung änderte sich alles. Gorry hatte das Glück, dass bereits der erste Versuch der Befruchtung klappte. Und nach der Geburt war sie sogar weniger verletzungsanfällig als vorher, entwickelte eine bessere Beziehung zu ihrem Körper.

Leicht war natürlich nicht alles: Das Training mit dem Stillen zu vereinbaren, war für Gorry zunächst eine Herausforderung. Auch für ihren Körper war es eine neue Situation: "Als ich sie gestillt habe, hat sie alles aus mir herausgesaugt, und ich konnte nicht genug Nahrung zu mir nehmen, um Muskeln aufzubauen", sagte Gorry dem Guardian.

Gorry spielt das Turnier ihres Lebens

Inzwischen fühlt sich Gorry stärker als je zuvor, und spielt wohl den besten Fußball ihres Lebens. Dass sie bei der WM dabei sein würde, hat sie Harper versprochen. Das Versprechen hält sie, und wie: Die 31-Jährige hat im Mittelfeld konstant starke Leistungen gezeigt und ist eine wichtige Absicherung für die Matildas. Niemand ist bei dieser WM mehr gelaufen als Gorry, die überall aushilft, wo es brennt. Viele sehen sie schon als Australiens Spielerin des Turniers.

Trotz ihrer Größe von nur 1,55 Metern kontrolliert sie das Mittelfeld. Nur eine Spielerin, Kolumbiens Mayra Ramirez, hat mehr Zweikämpfe bestritten als Gorry. Ein wahres Kämpferherz, auf und neben dem Platz.

An ihrer Seite spielt ihre junge Teamkollegin Kyra Cooney-Cross, die mit ihren Schlüsselpässen und weichen Flanken eine perfekte Ergänzung zu Gorry ist. Cooney-Cross gilt als kommender Star der Matildas, und sie spricht in den höchsten Tönen von ihrer Mittelfeld-Partnerin: "Ohne sie würde ich nicht hier sein", sagte die 21-Jährige. Gorry, die von allen nur "Mini" genannt wird, ist für sie und weitere junge Spielerinnen ein Vorbild.

Auch Harper wird von ihnen geliebt. Gorry scherzte neulich, ihre Tochter würde regelrecht verwöhnt. Zusammen mit dem Baby von Mitspielerin Tameka Yallop ist sie klar der Star des Teams und das Zentrum der Aufmerksamkeit. Alle Gesichter leuchten, wenn die beiden durch die Tür kommen, sagt Gorry:

"Sieg, Niederlage oder Unentschieden, sie (die Babies) werden immer ein Lächeln im Gesicht haben. Sie lockern das Leben im Camp ein wenig auf und vermitteln das Gefühl, dass wir eine Familie sind und dass es im Leben noch andere Dinge gibt als Fußball. Ich hoffe, dass viele Vereine in Zukunft davon lernen können."

Katrina Gorry

Gorry und die Matildas wollen Wandel anstoßen

Gorry hofft, dass sich bei den Vereinen etwas verändert, aber auch im australischen Fußball generell. Die Erfolge bei der WM sind eine große Chance, die Begeisterung riesig. Ob in Supermärkten, Flugzeugen oder Einkaufszentren, überall laufen die Matildas-Spiele. Die TV-Quoten beim Spiel gegen Frankreich sind die besten eines Sportevents seit Olympia 2000.

Die Euphorie soll die WM überleben, um langfristig besser aufgestellt zu sein: Die A-League ist nicht professionell, seit Jahren fordern die Spielerinnen bessere Infrastruktur. Es ist kein Wunder, dass fast alle Matildas-Stars in Europa oder der amerikanischen NWSL spielen.

2014 sagte Gorry: "Ich wünschte nur, sie könnten ein Jahr lang in unseren Schuhen stecken. Die Verpflichtungen, die wir haben, und die Opfer, die wir bringen müssen. Ich erwäge, in den nächsten Jahren in den Ruhestand zu gehen, einfach weil ich es mir nicht leisten kann. Ich möchte ausziehen, ich möchte diese Dinge tun."

Inzwischen konnte sie all dies und mehr tun, und sorgt mit ihren Mitspielerinnen dafür, dass es für die nächste Generation noch einfacher wird. Wer weiß, vielleicht gehört ja auch ihre Tochter Harper dazu - Fußballschuhe trägt sie jedenfalls schon.