Frauen-WM 2023 - Lea Schüller: Edeljokerin mit dem Riecher für die Lücke

  • Bayern-Stürmerin könnte für DFB-Frauen noch zum X-Faktor werden
  • Entwicklungsschub unter Alexander Straus
  • Bei WM weiter Edeljoker oder Kandidatin für die Startelf?
Lea Schüller jubelt - als Jokerin kann sie noch sehr wichtig werden.
Lea Schüller jubelt - als Jokerin kann sie noch sehr wichtig werden. / Visionhaus/GettyImages
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"Ich habe, ehrlich gesagt, auch nicht damit gerechnet", sagte Lea Schüller 2017 zu ihrer ersten Nominierung in die Nationalmannschaft, damals noch unter der Leitung von Steffi Jones. Kurz vor der EM durfte sie vor fünf Jahren das erste Mal an einem Lehrgang teilnehmen - eine Überraschung für die damals 19-Jährige.

Für die EM reichte es dann doch nicht, der Rest ist bekannt: Deutschland schied im Viertelfinale gegen Dänemark aus, Steffi Jones musste bald danach ihren Hut nehmen. Ob es etwas genützt hätte, Schüller mitzunehmen? Im Nachhinein schwer zu sagen, aber falsch wäre es wohl nicht gewesen - denn keine einzige der deutschen Stürmerinnen erzielte vor fünf Jahren ein Tor, Innenverteidigerin Babett Peter war mit zwei Treffern beste Torschützin des deutschen Teams. 

Dieses Jahr war Schüller von ihrer WM-Nominierung wohl weniger überrascht. Auch wenn sie hinter Alex Popp die Nummer zwei in der deutschen Sturm-Rangordnung ist, weiß Schüller um ihre Qualitäten als Edeljoker und könnte in den K.o.-Spielen den Unterschied machen. Bereits gegen Kolumbien zeigte sie nach ihrer Einwechslung eine gute Leistung mit vielen vielversprechenden Laufwegen.

Karriere: Der Beginn in Essen

Das Toreschießen lag Lea Schüller schon früh, zunächst schnürte sie beim Krefelder Verein Hülser SV in einer Jungenmannschaft die Schuhe. Den Traum, ihre Leidenschaft auch als Beruf zu haben, hatte sie aber zunächst nicht:

"In meiner Jugend war es nicht so, dass man gesagt hat: Es gibt Frauenfußball. Es wurden auch kaum Spiele im Fernsehen gezeigt. Deshalb war die Idee, tatsächlich Profi zu werden, für mich nie richtig greifbar."

Lea Schüller

Mit ihrem Wechsel 2012 zur SGS Essen, die für ihre außergewöhnliche Talentförderung bekannt ist und auch Spielerinnen wie Lena Oberdorf oder Linda Dallmann zum Durchbruch verhalf, kam ihr die Idee, Profifußballerin zu werden, erst so richtig in den Sinn. Schüller machte dort schnell auf sich aufmerksam und kam im Alter von 16 Jahren zu ihrem Bundesliga-Debüt.

Lea Schüller
Schüller jubelt im Essen-Trikot / Lars Baron/GettyImages

Bei der SGS verbrachte die Mittelstürmerin acht sehr erfolgreiche Jahre, zweimal war sie auch nah dran, einen Titel zu gewinnen. Beim Pokalfinale 2014 wurde Schüller eingewechselt, konnte an der 0:3-Niederlage gegen den 1. FFC Frankfurt aber auch nichts mehr ändern. 2020 war es noch knapper und die SGS musste sich erst im Elfmeterschießen den Seriensiegerinnen aus Wolfsburg geschlagen geben. Schüller erzielte dabei nach nur zwölf Sekunden das schnellste Pokaltor der Geschichte und verwandelte auch ihren Elfmeter. 

Wechsel zu Bayern, trotz Kindheits-Abneigung - genau die richtige Entscheidung

Ein trauriger Abschied aus Essen - denn im folgenden Sommer schloss sich Schüller dem FC Bayern an. Damit hätte sie früher nicht gerechnet, denn Schüller ist Dortmund-Fan gewesen und war fest entschlossen, nie zum FC Bayern München zu gehen. Dann überzeugte sie das Angebot des FCB aber doch.

Die sportliche Leiterin des FCB, Bianca Rech, bezeichnete sie damals als "Vollblutstürmerin, die den richtigen Riecher hat". Dieser Bezeichnung konnte Schüller in ihrer Anfangszeit an der Isar allerdings noch nicht ganz gerecht werden, sie brauchte ein wenig Eingewöhnungszeit und ihr Riecher kam ihr teilweise etwas abhanden.

In den ersten elf Spielen kam sie auf nur zwei Tore, wurde öfters auch nur eingewechselt. Ab Dezember 2020 startete sie bei Bayern dann aber durch, erzielte in den verbleibenden elf Spielen ganze 14 Treffer und etablierte sich als Stammspielerin. 

In der Saison danach wurde Schüller mit 16 Treffern zur besten Torschützin der Liga, in der vergangenen Saison erzielte sie 14 Tore. Damit ist sie eine verlässliche Stürmerin, auch wenn sie noch die ein oder andere Chance mehr hätte nutzen können. Allerdings ist es nicht fair, Schüller nur an der Anzahl ihrer Tore zu messen, denn die 25-Jährige will auch im Spiel eingebunden sein und lässt sich häufig ins Mittelfeld fallen oder weicht auf die Flügel aus. Trotzdem ist Schüller sehr selbstkritisch, sagte nach der Saison 2021/22 trotz der Torjägerkanone:

"Ich habe kontinuierlich nicht so gut gespielt: Mal habe ich von Anfang an gespielt, dann wieder nicht. Wenn ich dann mal ein gutes Spiel gemacht habe, habe ich in der darauffolgenden Partie nicht von Beginn auf dem Platz gestanden. Zudem habe ich in allen wichtigen Spielen entweder nicht von Anfang an oder auf meiner Position gespielt."

Die Weiterentwicklung unter Alexander Straus

Alexander Straus
Alexander Straus: Der neue Trainer half Schüller, sich weiterzuentwickeln / Mark Wieland/GettyImages

Ein wenig klingt in dem Zitat auch leise Kritik an Jens Scheuer durch. Unter dem Ex-Trainer von Bayern spielte Schüller in wichtigen Spielen oft auf dem Flügel statt im Zentrum, was nicht ihren Stärken entspricht. So blieb Schüller meist ein wenig isoliert und war sichtbar weniger in ihrem Element - das im gegnerischen Sechzehner liegt.

Unter Scheuers Nachfolger, dem Norweger Alexander Straus, ist sie im Sturmzentrum wieder gesetzt. Straus sieht großes Potenzial in der 25-Jährigen: "Sie hat das Potenzial, eine der besten Stürmerinnen der Welt zu werden", sagte er diese Saison. Große Worte - aber Straus hat selbst einen großen Anteil an ihrer Weiterentwicklung.

"Seit ich im Sommer gekommen bin, ist Lea eine andere, sehr viel komplettere Spielerin geworden. Sie war schon immer eine Torjägerin, aber jetzt ist sie mehr involviert, sie hat ihrem Spiel mehr Farben hinzugefügt. "

Alexander Straus

Schüller schoss diese Saison für Bayern Tore, aber opferte sich auch defensiv auf, klärte zum Beispiel gegen den FC Arsenal einen Ball von der Linie. Im Pressing läuft Schüller extrem viel, dazu ist sie eine selbstlose Stürmerin, die an ihrer Übersicht gearbeitet hat. Gerade mit Klara Bühl hat sie immer besser harmoniert. Kurz: Es mag in der Statistik nicht so erscheinen, aber Schüller hat nochmal einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Klara Buehl, Lea Schueller
Starkes Duo: Klara Bühl und Lea Schüller / Alex Grimm/GettyImages

Spielstil: Riecher für die Räume, aber keine Ausstrahlung wie Popp

Schüllers Stärken liegen, neben ihren neu erworbenen Fähigkeiten, im Kopfballspiel und im geschickten Nutzen der Lücken, die sich ihr bieten. Schüller ist eine Raumdeuterin - nicht umsonst haben die Bayern-Fans, in Anlehnung an das "Es müllert" für Thomas Müller, bei ihren Toren die Zuschreibung "Es schüllert" etabliert. Sie findet immer wieder intelligente Laufwege und entwischt den Verteidigerinnen schnell.

Ihre Tore erzielt Schüller, genau wie Alexandra Popp, besonders gerne per Kopf und ist damit für Deutschland bei Freistößen und Ecken gefährlich. Diese Qualität ist aber Fluch und Segen zugleich für die 25-Jährige, denn Popp ist in dieser Disziplin nochmal einen Ticken besser, und so hat Schüller aktuell wenig Chancen, an ihr vorbeizukommen.

Für Schüller war es zunächst nicht ganz einfach, die Rolle als Joker anzunehmen, wie sie in der Serie "Born for this" verriet. Schließlich sollte sie eigentlich als Stammspielerin in die EM gehen - das bisherige Karrierehighlight. Doch eine Corona-Erkrankung führte dazu, dass Alex Popp sie ersetzte, und es mit sechs Treffern so gut machte, dass Schüller sich auf der Bank wiederfand.

Alexandra Popp
Popp wurde mit 6 Toren Deutschlands EM-Heldin / Harriet Lander/GettyImages

Das liegt auch daran, dass Bayerns Nummer Neun trotz aller Stärken noch zu inkonstant ist. In manchen Spielen taucht sie fast komplett ab, dann fällt es Schüller schwer, zurück ins Spiel zu finden. Oft hadert sie auch noch mit vergebenen Chancen. Was das Selbstbewusstsein betrifft, ist Alexandra Popp sicher ein anderer Typ, sie haucht allein mit ihrer Präsenz den Gegnerinnen Angst ein. Gegen Popp will niemand verteidigen, das beschrieb etwa Tanja Pawollek im 90min-Interview. Schüller hat diese Ausstrahlung aktuell noch nicht so, ist auch physisch weniger stark.

Trotzdem kann die 25-Jährige von der Bank aus den Unterschied machen, besonders wenn sich Popp, wie gegen Kolumbien, nicht so sehr in Szene setzen kann. Oder auch mit Popp zusammen, als Doppelspitze: Martina Voss-Tecklenburg hat das schon öfters als "Plan B" bezeichnet. Auch Lea Schüller ist für diese Variante offen: "Ich habe das Gefühl, dass, wenn wir beide zusammen trainieren, es auch gut funktioniert."

Schüller könnte gut mit Popp harmonieren und der Wolfsburgerin durch ihre Übersicht auch die Bälle auflegen. Sie könnte damit ein Bindeglied zwischen Mittelfeld und Sturmspitze sein, das bis jetzt gefehlt hat. Bei Chaos im Strafraum ist Schüller oft zur Stelle und befördert den Ball gedankenschnell ins Tor. Eine echte Edeljokerin eben - aber vielleicht auch noch mehr.


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