Enttäuschende WM-Vorrunde der USA - Leistungen stimmen schon lange nicht

Hängende Köpfe bei den USA: Im Achtelfinale, aber wie?
Hängende Köpfe bei den USA: Im Achtelfinale, aber wie? / Robin Alam/USSF/GettyImages
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Für die USA gelten andere Standards als für die meisten Teams. Das Halbfinale ist kein Erfolg, sondern eine Selbstverständlichkeit, das bare minimum. Bei jeder WM haben die Stars and Stripes bisher eine Medaille gewonnen, alles andere wäre ein Schock. Diese Erwartungshaltung hat sich nicht verändert, auch wenn andere Teams längst aufgeschlossen haben.

Schon bei der WM 2019 wirkte es, als ginge die Zeit der amerikanischen Domination langsam zu Ende. Der Favoritenkreis war so groß wie nie: Frankreich als Heim-Nation, das aufstrebende England, Europameister Niederlande... Schon da spielten die USA nicht immer den schönsten Fußball, aber sie kontrollierten ihre Spiele. Ein frühes Tor, eine solide Defensive, eine Aura der Unbesiegbarkeit, das waren die Zutaten des Erfolgs.

Erst zum zweiten Mal bei einer WM nicht Gruppensieger

Fünf Jahre später ist nochmal mehr Teams der große Wurf zuzutrauen. Und die USA sind nach dem dritten Gruppenspiel gegen Portugal in einer kleinen Krise. Nur der Pfosten verhinderte, dass Portugal in der Nachspielzeit das 1:0 erzielte. Damit wären die USA nach einer ideenlosen und trägen Vorstellung ausgeschieden, das Undenkbare wäre Realität geworden.

Die Verteidigung mit Naomi Girma, der wohl besten Spielerin der Gruppenphase, machte es zwar gut. Aber vorne ging viel zu wenig, Alex Morgan und Sophia Smith waren fast abgemeldet. Durch das Mittelfeld konnten sie sich kaum kombinieren. Portugal spielte den besseren Fußball, auch wenn der Selecao das Quinas vorne die Präzision fehlte.

Durch das torlose Unentschieden sind die USA Gruppenzweiter - und in Gruppenzweiter steckt zwar das Wort "weiter", aber vor allem "zwei". Nur die Nummer zwei, hinter den Niederlanden, die im Parallelspiel gegen Vietnam ein 7:0 auf den Rasen zauberten, inklusive Traumtoren von einem jungen Shootingstar (Esmee Brugts) und Chancen en masse - genau das, was von den USA erwartet worden war. Nur die Nummer zwei, das waren die USA in der Gruppenphase erst bei einer WM: 2011 landeten sie hinter Schweden.

In den letzten Jahren schwache Leistungen, aber starke Resultate

Schweden wird sehr wahrscheinlich auch der Gegner im Achtelfinale. Ein Duell mit Tradition: Schweden hat den USA einige der empfindlichsten Niederlagen in der jüngeren Geschichte beigebracht. Bei Olympia 2016 zogen die Amerikanerinnen im Viertelfinale den Kürzeren und mussten zum ersten Mal ohne Medaille heimfliegen. Eine Wachablösung? Wie so oft wurde das Ende der amerikanischen Domination heraufbeschworen, aber drei Jahre später gewannen sie doch die WM.

Daher sollten die USA auch jetzt nicht abgeschrieben werden, auch nach einer enttäuschenden Vorrunde nicht. Nicht nur das Spiel gegen Portugal war schwach, sondern auch die erste Hälfte gegen die Niederlande. Selbst gegen Vietnam übten die USA bei dem glanzlosen 3:0-Sieg nicht die erwartete Dominanz aus. Die Haltung vieler US-Fans ("2019 hätten wir die noch mit 13:0 weggehauen!") zeugt von einer gewissen Überheblichkeit, da es in den letzten Jahren einen echten Quantensprung in der Qualität gab.

Aber ein Fünkchen Wahrheit ist doch dran. Wirklich überzeugt haben die USA unter Vlatko Andonovski noch nicht, der 2019 nach dem WM-Sieg übernahm. Eine undankbare Aufgabe vielleicht, denn anders als die Ergebnisse es suggerieren, hatten die USA schon damals einige spielerische Probleme. Aber am Ende standen eben Siege, und das wurde auch weiter von Andonovski erwartet.

Auch einen Umbruch musste der 46-Jährige moderieren, Stars wie Alex Morgan und Megan Rapinoe sind über ihren Zenit heraus. Ein Teil der Kritik an ihm war daher hart, denn gleichzeitig ständig Siege liefern und ausprobieren, verjüngen und umstrukturieren ist ein Balanceakt. Andonovski kippte nach Meinung vieler Fans und Experten zu sehr in die Richtung "Experimente", probierte mal diese, dann die nächste Formation, konnte sich nicht auf ein Stamm-Mittelfeld festlegen.

Vlatko Andonovski
Skeptischer Blick: Vlatko Andonovski / Buda Mendes/GettyImages

Zunächst ging das noch gut, zumindest nach US-Definition: Keine guten Leistungen, aber Siege. Bei Olympia 2021 erlitten die USA erneut eine schmerzhafte Niederlage gegen Schweden, 0:3 im ersten Gruppenspiel. Die Leistung stimmte nicht, das Resultat auch nicht, Vlatko out! Aber die USA bekamen noch irgendwie die Kurve, schafften es trotz defensiver Schwächen ins Halbfinale. Gegen Kanada, immer die schwächere kleine Schwester gewesen, schieden sie aus. Aber immerhin eine Medaille - glücklich, aber egal.

Durch einen dramatischen Sieg im Spiel um Platz drei war plötzlich viel vergessen. Die USA sind stolz darauf, dass Resultate bei ihnen viel zählen, dass sie es irgendwie fast immer schaffen, zu gewinnen. Aber genau diese "Ende gut, alles gut"-Mentalität wurde spätestens bei Olympia ein Problem. Mit dem Bronze konnte man sich anfreunden, falsche Farbe, aber trotzdem eine Medaille.

Trotz der schlechten Leistungen wurden keine wirklichen Schlüsse aus dem Turnier gezogen, oder vielleicht die falschen. Überraschend schnell wurde vergessen, wie die Resultate zustande gekommen waren, aber auch von den Fans. "Schon lange haben die USA nicht mehr so schlecht bei einem großen Turnier gespielt!", heißt es jetzt oft. Dabei war jenes 0:3 gegen Schweden spielerisch nochmal schwächer. Wenn die USA doch noch einen Elfmeter in der 96. Minute verwandelt hätten, wäre vermutlich der Tenor positiver und von der Siegermentalität die Rede. Mit dieser teleologischen Deutung konnte man lange die Leistungen schönreden.

Vielleicht wäre es auf lange Sicht besser gewesen, 2021 desaströs zu scheitern, um dann neu zu starten. Auch nach Olympia stimmten die Leistungen nicht, und die Ergebnisse auch nicht mehr. Plötzlich hagelte es zuhause Niederlagen, gegen ein dezimiertes Spanien und Deutschland. Die gleichen Probleme, immer wieder: Viel zu wenig Präsenz im Mittelfeld, eine improvisierte Verteidigung, kaum Durchschlagskraft und Punch nach vorne.

Andonovski in der Kritik - plötzlich stimmen selbst die Resultate nicht

Zu ihrer Turnier-Form haben die USA auch jetzt nicht gefunden, und sind nur Zentimeter an der größten Enttäuschung der Geschichte vorbeigeschossen. Andonovski steht nun stark in der Kritik. Dabei hat er viel von dem umgesetzt, was nach dem Niederlande-Spiel gefordert wurde: Lynn Williams in die Startelf zu beordern, zum Beispiel.

Trotzdem blieb er, wie auch schon im zweiten Gruppenspiel, stur bei seinem Plan und wechselte wenig. Auf der Achse Experimente/Resultate neigt Andonovski jetzt genau in die andere Richtung als zuvor: Schluss mit der Rotation, jetzt müssen Siege her. Blöd nur, dass auch das gegen Portugal nicht funktionierte. Alles auf den Trainer zu schieben, ist aber auch nicht fair.

Von einer Sophia Smith oder Lindsay Horan könnte mehr erwartet werden, und die Gefahr ist, wieder zu sehr von den Resultaten geblendet zu werden - bei schlechten Resultaten dann in die andere Richtung. Jill Ellis, mit der die USA die letzten beiden WMs gewinnen konnten, war nicht das Taktik-Genie schlechthin und traf ebenfalls schlechte Entscheidungen. Und genauso ist Andonovski nicht plötzlich vom Taktikfuchs, als der er bei seiner Zeit als Reign-Trainer bekannt war, zum Noob geworden. Für das Achtelfinale gegen Schweden muss aber eine Steigerung her, ansonsten wird es die dritte schmerzliche Niederlage gegen die Skandinavierinnen geben.

Es ist den USA durchaus zuzutrauen, sich noch einmal aufzurappeln, wieder gute Resultate einzufahren, doch noch weiter zu kommen, als es aktuell erwartet wird. Es wäre nicht das erste und nicht das letzte Mal. Langfristig aber müssen sie von der Idee, dass gute Resultate auch gleich tolle Leistungen bedeuten und umgekehrt, wegkommen, um erfolgreich zu bleiben.


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