Geschichten der WM: US-Shootingstar Naomi Girma und die Mission für "something bigger than soccer"

Naomi Girma gehört zu einer neuen Generation, die bei der WM in die Startelf der USA drängt
Naomi Girma gehört zu einer neuen Generation, die bei der WM in die Startelf der USA drängt / Robin Alam/USSF/GettyImages
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"Aller guten Dinge sind drei", das ist das Motto der USA bei dieser WM. Nach 2015 und 2019 wollen die Stars and Stripes zum dritten Mal in Folge das Turnier gewinnen. Dabei steht eine neue Generation im Rampenlicht: Die Stars der letzten Turniere wie Megan Rapinoe oder Alex Morgan machen neuen Gesichtern Platz. Darunter Naomi Girma, die ihre Plattform bei der WM nutzt, um Aufmerksamkeit auf das Thema mentale Gesundheit zu lenken.

Eine neue Generation übernimmt Verantwortung

Alex Morgans designierte Nachfolgerin ist Sophia Smith, die bei ihrem WM-Debüt bereits ein Doppelpack schnüren konnte. Smith ist mit 22 bereits eine der besten Stürmerinnen der Welt, wurde in der letzten NWSL-Saison zum MVP gekürt und hatte erheblichen Anteil an der Meisterschaft der Portland Thorns.

Außergewöhnliche Leistungen, vor allem in den USA, wo man noch mit 25 als junges Talent gilt und oft erst dann die erste Einladung in das Nationalteam erhält. Ihre Dribblings, ihre Ballmitnahmen und ihr Tempo machen Smith zu einer elektrischen Spielerin, die oft im Alleingang Lücken in der gegnerischen Defensive reißt und das Spiel entscheidet.

Sophia Smith
Sophia Smith gilt als nächster US-Superstar / Brad Smith/USSF/GettyImages

Auch die Innenverteidigung hat sich komplett geändert. 2019 sorgten die erfahrenen Becky Sauerbrunn und Abby Dahlkemper für die Stabilität in der Defensive. Beide sind nun verletzt, und in ihrer Abwesenheit bereitet Trainer Vlatko Andonovski eine 23-Jährige darauf vor, die nächste Abwehrchefin zu werden.

Naomi Girma gab vor einem Jahr ihr Debüt und wurde prompt zur Stammspielerin. Nicht nur Andonovski konnte sie ohne viel Anlaufzeit überzeugen: In ihrer ersten Saison, 2022, wurde sie direkt zur besten Verteidigerin der Liga gewählt. Ihre Zweikampfstärke und ihre Antizipation bereiteten den NWSL-Spielerinnen ordentlich Kopfzerbrechen. Noch vor anderthalb Jahre hatte Girma wohl fast niemand auf dem Zettel, dann wurde sie an Stelle 1 des Drafts von San Diego Wave ausgewählt. Eine amerikanische Karriere wie aus dem Lehrbuch.

Der Kampf um die größere Sache - fest in der USA-DNA verwurzelt

Im Fokus stehen Smith und Girma aber nicht nur wegen ihrer herausragenden sportlichen Leistungen. Und das wollen sie auch. Für die beiden soll es nicht nur um einen Titel gehen, sondern um eine größere Sache, das betonen sie in Interviews und Artikeln. Beide haben sich auch schon oft zu der Black-Lives-Matter-Bewegung geäußert und kämpfen gegen Rassismus.

Lange war auch das US-Nationalteam hauptsächlich weiß und spiegelte kaum die Gesellschaft als Ganzes wieder. Girma, deren Eltern aus Äthopien in die USA kamen, steht zusammen mit anderen wie Catarina Macario dafür, dass es inzwischen nicht nur weiße Mädchen aus wohlhabenden Familien in das Nationalteam schaffen können. American Dream eben. Smith und Girma wollen bei dieser WM ihre Plattform nutzen, um Aufmerksamkeit auf ein anderes Tabuthema zu legen.

Diese Ambition ist typisch amerikanisch. "More than soccer" ist schon lange das inoffizielle Motto des amerikanischen Nationalteams. Die Stars and Stripes wollen nicht nur Athletinnen sein, sondern Kämpferinnen für Gerechtigkeit und Botschafterinnen für sozialen Wandel. Für ihre politischen Stellungsnahmen werden die Spielerinnen durchaus kritisiert. Aber diese Haltung hat sie erst zu Stars und den bestbezahlten Spielerinnen des Planeten gemacht.

Exemplarisch dafür steht Megan Rapinoe, die sich in ihrer langen Karriere nicht auf ein Thema beschränkt hat. Rassismus, Equal Pay, LGBTQ-Rechte, Rapinoe scheute sich nie, ihre Stimme zu erheben und ihre Prominenz zu nutzen. In ihrer Autobiographie "One Life" schreibt sie über die Motivation des Teams bei der WM 2019:

Megan Rapinoe
Sie ist nicht nur Fußballerin, sondern auch Aktivistin - Megan Rapinoe / Brad Smith/USSF/GettyImages

"Wir spielten für Diversität, Demokratie und Inklusion. Wir spielten für das Recht, anders zu sein und trotzdem respektiert zu werden. Wir spielten für Gleichberechtigung, gleiche Bezahlung und für den Glanz des Frauenfußballs. Wir spielten, um klarzumachen, dass Gewinnen nicht bedeutet, auf anderen Menschen herumzutrampeln, sondern sie bestmöglich zu unterstützen."

Megan Rapinoe

Girma und Smith trauern um ihre Freundin Katie Meyer

Rapinoe tritt nach dieser WM ab, aber der Gedanke, den Fußball für Größeres zu nutzen, bleibt tief verwurzelt im Team. So ist es kein Wunder, dass auch Sophia Smith und Naomi Girma sich entschlossen haben, mit ihren WM-Leistungen auf ein Thema aufmerksam zu machen, das noch viel zu oft vernachlässigt wird.

Smith und Girma kennen sich aus Stanford, einer der besten College-Adressen für Fußballerinnen. Mit Stanford spielten sie 2019 um den College Cup. Im Finale trafen sie auf das Team der Universität von North Carolina, in der Nachspielzeit rettete Girma rettete ihr Team in höchster Not - gegen eine gewisse Alessia Russo, auf die sie im Finale mit England wieder treffen könnte. Nach torlosen 120 Minuten ging es ins Elfmeterschießen. Bereits den ersten Elfmeter hielt Stanfords Torhüterin Katie Meyer, und wurde so zur Heldin im Finale.

Meyer war Girmas beste Freundin, wie sie in einem emotionalen Text auf The Players Tribune schreibt. Sie beschreibt Meyer so:

"Die wahrhaftigste Freundin, die ich je hatte. Die unverblümteste, positivste, fürsorglichste Person der Welt. Die erste Person, die offen ist und über ihre Gefühle spricht. Die erste Person, an die man sich wendet, wenn man über seine Gefühle sprechen möchte. Und die letzte Person, von der man denken würde, dass sie sich das Leben nehmen würde."

Naomi Girma über Katie Meyer
Katie Meyer
Katie Meyer, Girmas beste Freundin / John Todd/ISI Photos/GettyImages

Girma schreibt auch über ihre Trauer nach dem Suizid ihrer Freundin im März 2022, über ihre Erinnerungen an sie. An Katie Meyer, die immer sagte, dass sie eines Tages für die USA in einer WM auflaufen würde. Katie Meyer, die die Welt verändern wollte. "We're going to make sure that your light never goes out", schreibt sie.

Initiative für mentale Gesundheit - Girma will die WM-Aufmerksamkeit nutzen

Girma hat sich dem Ziel verschrieben, das Licht durch die Aufmerksamkeit, die die WM bringt, weiterzutragen. Ihre Stimme zu nutzen, so wie es zahlreiche USA-Spielerinnen vor ihr getan haben. Zusammen mit Sophia Smith, mit der beide zu ihrer Stanford-Zeit eng befreundet waren, hat sie daher eine Initiative gegründet, um das Thema mentale Gesundheit zu destigmatisieren.

Fox Sports, der Sender, der auch die WM-Spiele zeigt, wird 1% der Sendezeit darauf verwenden, mentale Gesundheit zu thematisieren. Aber bei Aufmerksamkeit soll es nicht enden: Girma und Smith wissen selbst, wie viel Druck im professionellen Sport aufgebaut wird, und wie sehr der gerade Jugendlichen schaden kann. Nach der WM werden sie Trainings über mentale Gesundheit in verschiedenen Organisationen veranstalten, damit die Spieler*innen und Trainer*innen erkennen können, wenn es jemandem nicht gut geht.

Auch das ist ein Teil der Mission, die Girma als "something bigger than soccer" bezeichnet. Denn Depressionen können auch die Menschen haben, die am meisten lächeln und die anderen am meisten zum Lächeln bringen. Menschen wie Katie Meyer. "This World Cup is for you, my friend", schreibt Girma.