Der Fall Marco Rose - Teil 4: Die Fans zwischen berechtigtem Anspruch und latenter Stagnation

Die Gladbacher Fans müssen mit dem Klub reifen
Die Gladbacher Fans müssen mit dem Klub reifen / Christof Koepsel/Getty Images
facebooktwitterreddit

Nachdem sich die Borussia nun offiziell zur Zukunft des Cheftrainers Marco Rose äußerte, kann der in den letzten Tagen ausufernden Diskussion um die Beweggründe Roses und die sportliche Zukunft in Gladbach endlich mit der nötigen Sachlichkeit begegnet werden. Um dem komplexen Thema gerecht zu werden, muss man dabei die einzelnen Akteure ausführlich beleuchten.

Abschließend widmen wir uns den Anhängern der Borussia, die in großen Teilen ihrer nachvollziehbaren Enttäuschung über Roses Abgang freien Lauf ließen, dabei aber auch ihre eigene Einstellung überdenken sollten.

Teil 1: Max Eberl

Teil 2: Gewinnt Gladbach, gewinnt Rose!

Teil 3: Die Auswirkungen auf die Mannschaft

Es gibt ihn nicht, DEN Fan von Borussia Mönchengladbach. Wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft, lassen sich auch die Anhänger der Fohlen nicht unter einer einzelnen pauschalisierenden Beschreibung subsumieren. Was sie alle jedoch abseits der naheliegenden Verbindungen zum Klub, wie beispielsweise die eigene rheinländische Herkunft oder die erfolgreiche Vergangenheit, zu einen scheint, ist das "Lebensgefühl Borussia". Kaum ein anderer Bundesligist verfügt über eine derart große Basis an Fans, die selbst zu schlimmsten Zweitliga-Zeiten das Stadion füllten oder ihre Mannschaft dabei aus der Ferne anfeuerten.

Attribute wie Bodenständigkeit, Rationalität, Treue und Leidensfähigkeit sind jedem ein Begriff, der sich der Raute im Herzen verpflichtet fühlt. Wo andere scheinheilig die Volksnähe zelebrieren, um zeitgleich mit hunderten Millionen um sich zu werfen, steht die Borussia für demütige Kontinuität. Wo Konkurrenten mit Investoren versuchen, ihre Fehlplanungen durch Neu-Reichtum zu korrigieren, arbeitet die Borussia seit vielen Jahren schrittweise am Erfolg. Wo andere Traditionsklubs mittlerweile am Tabellenende oder den Niederungen des deutschen Fußballs angekommen sind, hält sich die Borussia hartnäckig im Rennen um das internationale Geschäft.

Doch der Erfolg des Vereins kommt nicht daher, dass man die Gesetze des Geschäfts ignoriert und sich krampfhaft dagegen wehrt, das Spiel mitzuspielen. Vielmehr hat man einen Weg gefunden, die Lücke zu den ganz Großen der Liga mit harter Arbeit und Weitsicht mehr und mehr zu schließen. Dank dieser vorausschauenden Vorgehensweise erarbeitete sich die Borussia enorme Sympathien und hat laut Erhebungen rund 1,3 Millionen Anhänger.

Mit knapp unter 100.000 Mitgliedern steht man bundesliga-intern diesbezüglich an fünfter Stelle, hinter dem FC Bayern, einem erfolgreichen Klub aus dem Ruhrgebiet, einem weniger erfolgreichen Klub aus dem Ruhrgebiet und einer Nachbarstadt mit vier Buchstaben.

Der stetige Fortschritt der Borussia in der letzten Dekade führte nunmehr dazu, dass man nicht nur dauerhaft um die europäischen Plätze mitspielte, sondern im Sommer 2019 einen Trainer installierte, der den Verein auf ein noch höheres Niveau heben sollte.

Die Geschwindigkeit, mit der Marco Rose aus einem Top-6-Klub einen Achtelfinalisten der Königsklasse machte, kam den Verantwortlichen sehr entgegen. Jedoch führte diese rasante Entwicklung ebenso dazu, dass nicht alle Beteiligten Schritt hielten - unter Umständen gilt dies auch für Teile der Anhänger.

Tradition vs. Erfolg - die Fans sollten im Sinne des Vereins denken

Denn die Borussia ist ein Traditionsverein, der sich im Gegensatz zu vielen anderen Beispielen in der jüngeren Vergangenheit als ernstzunehmender Kandidat für die Spitzenpositionen in der Liga etablierte. Dabei ist es müßig zu diskutieren, ob ein Fehlschuss von Igor de Camargo im Relegationshinspiel gegen den VfL Bochum dafür gesorgt hätte, dass man sich aktuell mit Essen oder Offenbach messen müsste, anstatt gegen Manchester City in ein K.o.-Duell zu gehen.

Vielmehr würden viele Anhänger auch mit der Borussia in der vierten Liga feiern, solange der Verein zu seinen Grundwerten steht und diese nicht verrät. Dem gegenüber stehen Fans, die den Verein nur als Europapokal-Kandidaten kennen, weil sie entweder einer jüngeren Generation entsprangen oder aus anderen Gründen erst im Laufe der letzten Jahre zum VfL fanden.

Beide Gruppen eint jedoch der Tenor, dass Marco Rose eher heute als morgen als Gladbacher Cheftrainer freigestellt werden sollte. Zu viel Porzellan sei zerbrochen worden, um den einstigen Hoffnungsträger weiter ertragen zu können. Aufgrund der Pandemie konnte man seinem schon länger gärenden Unmut jedoch nicht auf dem direkten Weg im Stadion Luft verschaffen, sondern nutzte soziale Netzwerke, um sich in der eigenen Enttäuschungsblase in eine hasserfüllte Untergangsstimmung hineinzusteigern.

Denn Rose entschied sich, entsprechend seiner vereinbarten Klausel, die Elf vom Niederrhein bereits nach zwei Jahren wieder zu verlassen.

Die Beziehung von Marco Rose zu den Gladbacher Anhängern begann verheißungsvoll
Die Beziehung von Marco Rose zu den Gladbacher Anhängern begann verheißungsvoll / UWE KRAFT/Getty Images

Immerhin trat der gebürtige Leipziger die Nachfolge von Dieter Hecking an, der zwar sportlich durchaus erfolgreich arbeitete, jedoch nicht als Projektleiter für den nächsten Schritt der Borussia infrage kam. Rose verbreitete allein mit seiner Reputation bereits eine Aufbruchstimmung, die in einer mehrwöchigen Übernahme der Tabellenspitze münden sollte - in seiner ersten Spielzeit in Gladbach.

Am Ende wurde es nicht die erträumte Meisterschaft, doch wenigstens die Qualifikation für die Königsklasse konnte gefeiert werden. Dort setzte man sich dann, auch mit dem nötigen Glück, in einer absoluten Todesgruppe durch und bestreitet nun das historische erste Achtelfinale dieses Wettbewerbs.

Roses Ankündigung, trotz der bisherigen Meilensteine die Borussia am Saison-Ende zu verlassen, traf alle Fans gleichermaßen. Aus Enttäuschung wurde schnell Wut, man fühlte sich hintergangen und verkauft. Doch wenn die Borussia ihren Weg fortsetzen soll, dann muss man solche Situationen auch als Fan aushalten können, ohne den Menschen Marco Rose zu beleidigen oder aus der Stadt zu jagen, weil dieser sich u.a. nicht auf Lebenszeit zur Borussia bekennt.

Ist es egal, ob die Borussia weiterhin nach größerem sportlichen Erfolg strebt? Dann darf man nicht gleichzeitig die Verpflichtung Roses feiern und ihn dann bei einem vorzeitigen Abschied verteufeln. Zidane, Guardiola oder Klopp werden momentan nicht gerade ausknobeln, wer die nächsten zehn Jahre als Gladbacher Cheftrainer übernehmen darf.

Will man Gladbachs Weg an die Spitze weiter begleiten? Dann muss man sich damit abfinden, dass es sich um ein knallhartes Geschäft handelt. Trainer und Spieler von hoher Qualität werden weiterhin für das Interesse anderer Klubs sorgen, wenn sie bei der Borussia einschlagen.

Die "Testphase" in den höheren Gefilden des Fußball-Zirkus' unter Rose verlief sportlich immens erfolgreich. Anhand der aktuell entstandenen Situation kann man viele zu erwartende Probleme ablesen, die bei einem dauerhaften Mitmischen unter den Top-Teams Europas auf den Verein zukommen. Auch die Fans sollten sich hinterfragen, ob sie die Zeit unter Rose tatsächlich für immer als Enttäuschung abspeichern wollen.

Ausgerechnet Dortmund - der dritte Weg der Borussia

Dabei beruht der Ärger der Anhänger nicht nur auf den von Rose tatsächlich begangenen Fehlern oder der Tatsache, dass die Borussia sich angeblich von ihren Werten entfernt. Vielmehr ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, dass Rose ausgerechnet nach Dortmund wechselt. Selbst ohne Fan-Brille kann man objektiv festhalten, dass der selbsternannte Meisterschaftskandidat in den letzten Jahren vermehrt in Gladbach wilderte, wenn die eigene Scouting-Abteilung wieder einmal das Ansehen der Sportschau als Arbeitsnachweis deklarierte.

Doch sei dabei erwähnt, dass Rose sicherlich schon lange vor seiner Unterschrift in Gladbach den BVB als für sich reizvolles Ziel erkannt hat. Inwiefern ihn das jetzt als Person definiert, sei völlig wertfrei dahingestellt.

Der Profi-Fußball ist ein Geschäft, die Borussia ist ein Teil davon. Dabei geht sie weder den radikalen Weg der Investoren- und Börsenklubs, noch stellt sie sich quer und mimt den Rebellen, der jegliche kapitalistische Attitüde von sich weist. Vielmehr schaffte man es unter Max Eberl aufzuzeigen, dass man mit kontinuierlicher Arbeit und klugen Investitionen auch ohne die Hilfe von Geldgebern oder Schuldenerlässen oben mitspielen kann.

Max Eberl wird weiterhin ein Signal setzen
Max Eberl wird weiterhin ein Signal setzen / Lukas Schulze/Getty Images

Damit dient die Borussia als Vorbild für viele andere Vereine und wird dies auch weiterhin tun. Um den weiteren Weg des Vereins zu ermöglichen, sind auch die Fans nun gefordert. Aktuell kann man sportlich noch viel erreichen und ist darauf angewiesen, dass nach dem großen Aufschrei um Roses Abgang mehr Ruhe einkehrt.

Denn wenn die Mannschaft in den nächsten Wochen schlechte Ergebnisse erzielt, könnte sich das Thema Rose von alleine erledigt haben. Sollte die Mannschaft jedoch überzeugen, wäre es fatal und völlig unsinnig, weiterhin auf ein vorzeitige Freistellung Roses zu pochen und damit die Ziele des Vereins zu gefährden.

Wer Rose nicht mehr sehen möchte, der schalte bitte ab oder um, denn die Borussia ist wichtiger als ihre einzelnen handelnden Personen. Wer als Anhänger nicht hinter der Entscheidung steht, Rose bis zum Saison-Ende zu halten, der sollte aus Liebe zum Verein einfach abwarten, anstatt aktiv die Personalie Rose über die Vereinsinteressen zu stellen.