90min diskutiert: Kann Schalke den Klassenerhalt noch schaffen?

LEON KUEGELER/Getty Images
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29: Das ist die große Zahl, die die Krise, den sportlichen Absturz und das Bangen um den Klassenerhalt verkörpert. 29 Spiele hintereinander hat der FC Schalke 04 in der Bundesliga keinen seelenbefreienden Sieg eingefahren. Den Jahreswechsel wird der Traditionsklub aus Gelsenkirchen auf dem 18. Tabellenplatz verbringen - und das völlig zu Recht.

Dieses Zwischenfazit, das nun in der Mini-Winterpause gezogen wird, heißt aber auch, dass nun erst einmal der 13. Spieltag gespielt wurde. Der Klassenerhalt - das ausgerufene Ziel - rückt zwar immer weiter in die Ferne, rechnerisch ist das Ziel aber selbstverständlich noch erreichbar. Geplant ist es, zum nächsten Liga-Spiel einen erneuten Trainerwechsel vorzunehmen. Nach David Wagner, Manuel Baum und Interimstrainer Huub Stevens wird es schon der vierte Coach in der laufenden Saison sein.

Zwischen den sich ständig wiederholenden enttäuschenden Auftritten stellt sich bei den S04-Fans die folgende Frage: Kann Schalke den Klassenerhalt überhaupt noch erreichen?


Das Prinzip Hoffnung: Schalke kann den Liga-Verbleib noch schaffen

"Ab und zu ein wenig Fortüne - und Schalke kann sich potenziell noch retten."

Yannik Möller, 90min-Autor

Ja, die Ausgangslage ist ebenso klar wie düster: Vier Punkte nach 13 Spieltagen sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Die 36 Gegentreffer bei lediglich acht erzielten Toren ebenso. Schalke steckt in einer einzigartigen Krise, weitet einen (fast) noch nie da gewesenen Negativ-Lauf Woche für Woche aus - es ist eine absolute Ausnahmesituation, in der sich der Klub befindet. Dennoch darf und sollte man das Ziel des Klassenerhalts nicht für unerreichbar erklären. Und das nicht nur aus dem Grund, weil er rein rechnerisch noch nicht feststeht.

Königsblau hat einen fragwürdig zusammengestellten Kader, ja, aber auch einen, in dem an so manchen Stellen Qualität besteht, die normalerweise niemals etwas mit dem Abstiegskampf zu tun haben dürfte. Spieler wie Mark Uth, Salif Sané, Ozan Kabak oder Suat Serdar, Frederik Rönnow, Matija Nastasic, Omar Mascarell oder Benito Raman. Für den Verein sehr wichtige Spieler, die unter normalen Umständen eine wichtige Achse sein können und die normalerweise überdurchschnittliches Bundesliga-Niveau haben. Dass ihre Form leidet, ihr Selbstvertrauen, dass häufiger Pässe zum Gegner gehen als gewohnt, dass Abschlüsse zu ungefährlich sind und die allermeisten Abläufe wie hoch komplexe Vorgaben erscheinen, ist angesichts dieser im modernen Fußball beispiellosen Serie nicht verwunderlich.

So platt es sich auch anhören mag: Es braucht ein Erfolgserlebnis in der Liga, und das ganz, ganz dringend. Diese Mannschaft kann Spiele gewinnen, wenn auch vorerst nur gegen Teams, die ebenfalls im unteren Drittel der Tabelle stehen. Mit ein bisschen weniger Schiedsrichter-Pech gegen Mainz 05 hätte man drei enorm bedeutsame Punkte aus einem Schlüsselduell holen können. Gewinnt einer der fünf Spieler einen Zweikampf vor dem bitteren 2:2-Ausgleichstreffer gegen den FC Augsburg, befindet man sich schon ganz nah am Relegationsplatz.

Trotz enttäuschender Auftritte - Die Mannschaft hat sich noch nicht aufgegeben

Was auf der einen Seite in die Kategorie "hätte, wenn und aber" fällt, ist andererseits allerdings auch ein Zeichen, dass dieser Kampf noch längst nicht beendet ist. Nach den sehr enttäuschenden Auftritte gegen den SC Freiburg oder gegen Arminia Bielefeld darf man nicht vergessen, dass das Team schon häufiger wieder aufgestanden ist, um einen weiteren Anlauf auf die drei Punkte zu wagen. Es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein, Trainerwechsel, Vorstandskrise und leere Stadien hin oder her.

Auf die Gefahr hin, das Phrasenschwein vors Gesicht gehalten zu bekommen: Ganze 21 Spieltage sind noch offen, darunter einige Duelle gegen Mannschaften, die derzeit ebenfalls alles andere als spielerisch oder punktemäßig überzeugen. Das sind die Duelle, auf die man sich fokussieren muss. Dass Konkurrenten wie Mainz, Bielefeld, oder auch der 1. FC Köln - auch wenn sie eine aktuell bessere Ausgangslage haben - ebenso wenig optimistisch in die Zukunft der Saison gucken können, ist dabei nicht zu unterschätzen. So wie das eine Team eine kleine Serie starten kann, kann ein anderes Team plötzlich stark zurückfallen. Abstiegskampf halt.

Außerdem: Über die letzten drei, vier Jahre waren durchschnittlich immer weniger Punkte notwendig, um zumindest den Relegationsplatz zu erreichen. Der VfB Stuttgart rettete sich 2019 mit nur 28 Zählern ins Duell gegen Union Berlin, Werder Bremen zuletzt mit nur 31 Punkten. Vielleicht reichen sechs Erfolge gegen direkte Konkurrenten und das ein oder andere Remis aus - ein Schalker darf die Hoffnung jedenfalls noch nicht aufgeben.


Der Realitätssinn: Schalke muss mit dem Abstieg rechnen

"Für mich sieht es jedoch bei den 'Knappen' derzeit noch schlimmer aus als damals beim HSV. "

Tal Lior, 90min-Redaktion

Das derzeitige Schalke entspricht wirklich haargenau der Schulbuch-Definition einer Krisen-Mannschaft. Unruheherde, schlafende Abwehrspieler, desaströse Verletzungen, ständige Trainerwechsel und ein bunt zusammengewürfelter Haufen Millionäre, den man als "Mannschaft" bezeichnen muss, gehören alle zum derzeitigen Zustand des großen Traditionsvereins aus Gelsenkirchen.

Schalke weiß, wie man die eigene Lächerlichkeit von Woche zu Woche überbieten kann. Neutrale Fußball-Fans staunen mittlerweile seit Monaten, wie authentisch dieser Klub den HSV imitiert.

Einige Fans glauben, dass man zugleich auch die zahlreichen Last-Minute-Rettungsaktionen der Rothosen nachahmen kann. Für mich sieht es jedoch bei den 'Knappen' derzeit noch schlimmer aus als damals beim HSV. 

Die Hamburger verabschiedeten sich vor drei Jahren von der Bundesliga mit einem mutig offensiven und leidenschaftlichen Fußball, der von loyalen zahlreichen Fans und einem Trainer mit guten Ideen vorangetrieben wurde. Und wie sieht es bei S04 aus?

Die Corona-Pandemie verhindert jegliche Verbesserungen

Mit Fans kann man in dieser Saison wohl nicht mehr rechnen, eine fußballerische Revolution erwarte ich ebenfalls nicht mehr. Dies sind leider die Umstände, die die derzeitige Pandemie hergibt. Es gibt keine Pausen, um eingehend all das einzustudieren, was David Wagner der Mannschaft nicht mitgeben konnte. Und es gibt keine vollen Stadien, die dein zermürbtes Selbstbewusstsein wieder reanimieren können. Diese Truppe, die einem nur noch leid tun kann, hastet einfach von Woche zu Woche der nächsten Niederlage nach, wodurch sich der ohnehin geplagten Seele neue Abgründe offenbaren. 

Wir alle kennen die konkreten Probleme in dieser Mannschaft, damit möchte ich euch nicht erneut peinigen. Wir sehen es von Woche zu Woche zu unserem Leidwesen auf dem Platz. Wer kann mir aber ernsthaft erklären, wie das zur Verfügung stehende Material nach etwas mehr als einem Drittel einer Saison, die sich eher wie fünf ganze Spielzeiten anfühlt, zu einer radikalen Änderung befähigt ist? Sechs Punkte Abstand auf den Relegationsrang sind schon zu solch einem Zeitpunkt sehr unangenehm, wenn man noch bedenkt, dass Konkurrenten wie Bielefeld, Mainz und Köln in den letzten Wochen deutliche Verbesserungen aufweisen konnten und im direkten Vergleich mit Schalke erschreckend klar besser sind. 

Ich will nur noch, dass das alles schnell vorbei geht und wir mit neuem Mut und einem klar strukturierten Kader in der zweiten Liga uns neu aufbauen können. Ich hoffe, dass zumindest ihr Leser meinem Verhalten nicht folgt und all den Widrigkeiten trotzt, um den Glauben an Schalke nicht zu verlieren.