Der Bessermacher: Was passiert, wenn Alphonso Davies zurückkommt?
Von Oliver Helbig

Die Rollen in der Bundesliga sind derzeit mehr als deutlich verteilt. Es regiert der FC Bayern München, dann folgt der Rest der Liga. Zumindest ließ der Rekordmeister bislang nicht den Eindruck aufkommen, dass irgendeine Mannschaft aus dem deutschen Oberhaus imstande wäre, der fußballerischen Übermacht des Landes auf Dauer auch nur annähernd das Wasser reichen zu können.
Bedenkt man, dass die Münchner derzeit auch noch namhafte Ausfälle wie den von Jamal Musiala zu beklagen haben, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass am Ende der Saison ein anderer Klub anstelle der Bayern von der Tabellenspitze grüßt. Weiteren Aufschwung zur aktuellen Topform dürften die Münchner zudem erhalten, wenn neben Musiala auch Alphonso Davies wieder mit an Bord ist und Kompanys Repertoire erheblich erweitert.
Doch was würde die Rückkehr von Davies für die Bayern eigentlich bedeuten?
Verletzungsschock im März
Während der Länderspielreise mit Kanada verletzte sich Alphonso Davies im März dieses Jahres schwer und riss sich das Kreuzband. Besonders bitter ist, dass der Linksverteidiger damals wohl gegen seinen Willen im Spiel gegen die USA eingesetzt wurde und sich daraufhin folgenschwer verletzte. Dies führte zu einem Streit zwischen dem FC Bayern und dem kanadischen Verband und zu einer Entschädigungszahlung an die Münchner.
Davies fehlt den Münchnern allerdings seither und hat eine klaffende Lücke auf der linken Außenbahn hinterlassen. Immer wieder muss Trainer Vincent Kompany hier Vertretungslösungen aus dem Hut zaubern, die es zwar ordentlich machen, aber dennoch kein gleichwertiger Ersatz für den 24-Jährigen sind. In den bisherigen fünf Ligaspielen der aktuellen Saison spielten hinten links dreimal Josip Stanisic und zweimal Konrad Laimer. Eigentlich sind das zwei angestammte Rechtsverteidiger und werden auch dort gut gebraucht.
Geduld haben: Davies wird erstmal Zeit brauchen
Wie schon bei Jamal Musiala ließ Max Eberl zuletzt durchklingen, dass man in München guter Dinge ist, die verletzten Stars noch in diesem Jahr wieder auf dem Rasen zu sehen. Im Falle von Davies würde das das taktische Gesamtbild sowie die offensive Durchschlagskraft der Bayern nochmals deutlich erhöhen.
Natürlich wird der Kanadier nicht sofort wieder von null auf hundert starten können. Vermutlich wird Davies nach seiner Verletzung zunächst sogar auch eher Probleme haben, seine alte Spitzigkeit zurückzugewinnen und leichtfüßig aufzuspielen. Ganz abgesehen davon muss er zu Beginn seiner Comeback-Phase auch erst wieder Vertrauen in den eigenen Körper und ein Gefühl für die enormen Belastungen entwickeln.
Dennoch bringt die Rückkehr des Linksfußes weiteres gewinnbringendes Werkzeug in Kompanys taktischen Werkzeugkasten, erhöht die Möglichkeiten des Belgiers in Sachen taktischer Flexibilität und Herangehensweise und dürfte dazu führen, dass die Münchner noch torgefährlicher werden als sie es jetzt schon sind.
Davies wird die linke Bayern-Seite und Luis Díaz noch besser machen
Zwar erfüllten Josip Stanisic und Konrad Laimer ihre Aufgaben als stellvertretende Linksverteidiger meist mehr als ordentlich und sorgten auch für defensive Stabilität, doch mit dem temporeichen Offensivdrang und der Dynamik eines Alphonso Davies können beide nicht mithalten. Wenn man sich vorstellt, dass das Münchner Offensivspiel um diese Komponente erweitert wird, dann können einem die gegnerischen Defensivreihen wirklich leidtun. Vor allem einem Offensivstar des Rekordmeisters könnte das zusätzlichen Schub verleihen.
Mit einem Davies auf der linken Außenbahn, der sich ganz sicher in eine Vielzahl von Angriffen einreihen wird, dürfte Luis Díaz nach dem Comeback des Kanadiers vermehrt auf die Halbspur ziehen und den linken Seitenstreifen der Münchner dem überlaufenden Davies zur Verfügung stellen.
Damit hätten die Münchner regelmäßig eine noch größere offensive Übermacht mit Harry Kane, Michael Olise, Luis Díaz und dann bald auch Jamal Musiala und Alphonso Davies in der höchsten Angriffslinie, die die gegnerische Abwehrreihe beschäftigen würde. Fünf Hochkaräter in vorderster Front - beängstigend! Ein Alptraum für jeden Bundesligatrainer, ganz zu schweigen von den Verteidigern, die sich diesem torgefährlichen Ungetüm und Tempo stellen müssen.
Mit einem schussgewaltigen Luis Díaz - übrigens Rechtsfuß - weiter im Zentrum, einem Davies, der weit außen die Tiefe sucht, und einem im Zentrum lauernden Kane als Abstauber vor dem Tor dürfte die linke Seite der Bayern neben dem Top-Scorer der Vorsaison von der rechten Angriffsseite, Michael Olise, kaum noch zu stoppen sein. Was sie ja jetzt schon kaum ist.
Die Fans des FC Bayern dürfen sich schon jetzt auf viele weitere Torspektakel freuen. Es ist wohl zudem nicht weit hergeholt, sich vorzustellen, dass ein fitter Davies auch die Chancen des Rekordmeisters in der Champions League erhöht, ein ernsthaftes Wörtchen mitzureden.
Mit Davies kann Kompany auch Kane neu in Szene setzen
Ein Davies-Comeback dürfte auch Top-Torjäger Harry Kane freuen, der ebenfalls von einer Rückkehr dribbelstarken Tempoflitzers profitieren würde, denn mit dem Kanadier käme auf der linken Außenbahn endlich auch wieder ein Linksfuß zum Einsatz, der die Zeit für gegnerische Abwehrspieler reduziert, auf Angriffe reagieren zu können. Bislang wurden dort nach seinem Ausfall beinahe ausschließlich Rechtsfußspieler eingesetzt, die sich den Ball häufig erst auf den stärkeren Fuß legen mussten, ehe sie eine präzise Flanke auf Kane schlagen konnten. Das bot oft die Gelegenheit, sich mit Blick auf den Ball auf diese Hereingaben einstellen zu können und Kane Mann gegen Mann zu verteidigen.
Mit Davies dürften die Umschaltmomente und Durchläufe auf der linken Außenbahn jedoch weiteren Schwung ins Offensivspiel bringen und Kane mit schnellen und genauen Flanken bereits aus Tempoläufen und ohne Zeitverlust heraus füttern. Das würde es den Gegnern erheblich erschweren, sich gegen einen einlaufenden Kane zu positionieren, während dieser sich mit Blick zum Tor im Rücken der Verteidiger davonschleichen kann. Der Fall des Lewandowski-Rekords rückt somit noch näher.
Nicht zu vergessen, dass der bereits erwähnte Luis Díaz dann ebenfalls als Abnehmer im oder am Strafraum wartet. Bisher ist er eher derjenige, der auf die Grundlinie durchläuft - mit Davies auf dem Feld werden die torgefährlichen kolumbianischen Beine in Zukunft dann noch häufiger als Abnehmer in guter Schussposition wiederfinden, während die Läufe des Kanadiers die Blicke der Verteidiger auf sich ziehen.
Offensivdominanz und Konterabsicherung
Wenn sich mehr Bayern-Spieler im und um den gegnerischen Sechzehner befinden, erhöht sich nicht nur die Chance auf mehr Abschlüsse, sondern es werden auch Kontersituationen des Gegners minimiert, da die Wege gegen den Ball kürzer werden und großflächiger abgedeckt werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer geklärten Hereingabe trotzdem ein Bayern-Star an den Ball kommt, steigt somit, was auch die Torgefahr auf einer untergeordneten Ebene erhöht und Gegenkonter vermehrt. Und selbst wenn doch mal ein Gegner durchrutscht, hat Davies in vielen Fällen noch immer genug Tempo, um diesen wieder einzuholen und abzufangen, was den Raum für offensives Risiko anhebt. Das dürfte auch Kompany gefallen, der ohnehin oft mit einer hohen Kette in der Nähe der Mittellinie pressen lässt.
Alles in allem wird Alphonso Davies, ebenso wie Jamal Musiala, nach seinem dann lange ersehnten Comeback der Mann sein, der das Offensivspiel des FC Bayern München zusätzlich verbessert und die ohnehin schon übermächtige Angriffspower um eine weitere Komponente verstärkt. Die Sanduhr bis zur Rückkehr des Kanadiers läuft und damit steigt auch die Münchner Vorfreude.
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