Kommunikations- und Taktikprobleme bei Nagelsmann: Hat Bayern den Anti-Flick geholt?

Nichts wars mit dem Pokal-Sieg zum Abschluss: Kritiker feuern gegen Nagelsmann.
Nichts wars mit dem Pokal-Sieg zum Abschluss: Kritiker feuern gegen Nagelsmann. / Martin Rose/Getty Images
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Mehr als 20 Millionen Euro haben die Bayern in Julian Nagelsmann investiert. Eine Ablöse, die ein Klub nur dann zahlt, wenn er vollstes Vertrauen darin hat, das Richtige zu tun. Nagelsmanns Arbeit wird jedoch in letzter Zeit hinterfragt. Mit seiner Mannschaftsführung und seinen höchstkomplexen Taktiken eckte er sowohl in Hoffenheim als auch in Leipzig an.


Nach dem Pokal-Finale gegen Dortmund wird der junge Coach scharf kritisiert, langfristige Probleme werden nun ebenfalls plötzlich beleuchtet. RB-Leipzig-Insider Guido Schäfer enthüllte diesbezüglich im Podcast "Die Rückfallzieher" überraschende Details.

"Mir wurde gesagt, dass er einen sehr sehr ausbaufähigen bzw. nicht vorhandenen Kontakt zur Mannschaft hat und er mit mehreren Spielern über Monate hinweg überhaupt nicht redet", sagte der Journalist der Leipziger Volkszeitung.

Schäfers Ansicht nach weist Nagelsmann auch taktische Defizite auf: "Das Ganze mündet dann noch in der Tatsache, dass er seine Super-Taktik immer wieder anbringen will. Ich weiß nicht, was er gegen Dortmund vorhatte. Das erinnerte mich an das Halbfinale gegen Paris Saint-Germain. Da musste er gegen diese Super-Männer schön aus der Abwehr spielen und schön kombinieren, wissend, dass man gar nicht die Spieler hat, die das können."

Auf das Pokal-Finale bezogen bemängelte Schäfer, dass Nagelsmann mit Hee-chan Hwang und Alexander Sørloth zwei Stürmer auflaufen ließ, die "die ganze Saison keine Rolle spielten" und er mit Klostermann, Upamecano und Halstenbarg eine "schwindelige Dreierkette " aufbot.

Kritik an Nagelsmann nicht neu: Schon in Hoffenheim sorgten seine speziellen Taktiken für Verstimmung

Andrej Kramaric
Kramaric fühlte sich von Nagelsmann überfordert. / Christian Kaspar-Bartke/Getty Images


Bereits zu Hoffenheimer Zeiten wurde der junge Trainer dafür kritisiert, dass er das Team mit seinen zahlreichen Taktiken und Ideen überfordert.

"Wir wechseln zu oft das System während des Spiels. Wir sind nicht bereit dafür. Wir sind keine Roboter, sondern Menschen. Das sind viele Fehler von draußen", so die Kritik von Andrej Kramaric vor zwei Jahren im Bild-Gespräch.

"Ich liebe Julian, aber in manchen Momenten ändern wir die Systeme und brauchen drei Minuten, weil es nicht jeder Spieler versteht oder er es wegen der 50.000 Zuschauer nicht hören kann. In diesem Moment verlieren wir unseren Vorteil. Das Spiel beginnt sich zu ändern," führt der Kroate fort.

Selbst ein hochkarätiger Spieler wie Kramaric scheint mit dem Stil von Nagelsmann also Schwierigkeiten zu haben. "In so vielen Spielen weiß ich in dem Moment nicht, auf welcher Position ich überhaupt bin. Es ist schwer, darüber zu sprechen. Ich bin wirklich enttäuscht", erklärter er abschließend.

Hat Bayern in Nagelsmann den Anti-Flick verpflichtet?

Den Aussagen von Guido Schäfer und Andrej Kramaric zufolge wirkt Nagelsmann wie das komplette Gegenteil von Hansi Flick. Der Bayern-Coach ist nämlich ein Freund der Kommunikation und wurde diesbezüglich von den Spielern mit Lob überschüttet.

Zudem ist der 56-Jährige das Paradebeispiel eines Coaches, der es eigentlich mit recht simplen Mitteln geschafft hat, erfolgreich zu sein. Die Bayern sind nicht durch zig verschiedene und besonders ausgetüftelte Taktiken Champions-League-Sieger geworden. Der Coach vertraute immer auf die gleiche Spielweise, egal ob der Gegner Barcelona oder Augsburg hieß.

Hans-Dieter Flick
Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Hansi Flick verfolgte bei den Bayern einen klaren Plan. / Alexander Hassenstein/Getty Images



Die Erfolgsformel lautete hoch stehen, aggressiv pressen und schnelle Ballgewinne einfahren, damit der Weg zum gegnerischen Tor möglichst kurz ist. Selbst wenn die Defensive dadurch vernachlässigt wurde, spricht der Erfolg für sich. Dieser kam dadurch zustande, dass jeder Spieler das System verinnerlicht hat und voll hinter dem Plan stand. Fußball ist eben doch manchmal einfacher als man denkt.

Je komplizierter, desto besser? Eine Formel, die im Fußball nicht greift

Einige Trainer haben dagegen das Problem, vor großen Spielen immer etwas Besonderes und Überraschendes machen zu müssen. Allerdings trifft der Überraschungsmoment nicht selten das eigene Team mehr als den Gegner. Letztlich ist das Abweichen vom "normalen Plan" auch ein Zeichen von fehlender Selbstsicherheit.

Genau in diesem Punkt ist in den letzten Jahren auch Pep Guardiola so häufig in entscheidenden Spielen gescheitert. Anstelle der eigenen Stärke zu vertrauen, änderte der Katalane Dinge in der Aufstellung und Taktik und zog somit überraschend den Kürzeren. Nagelsmann und Guardiola sind sich diesbezüglich durchaus ähnlich. Kein Wunder, zumal der Manchester-City-Coach das klare Vorbild des 33-Jährigen ist.

Nagelsmann, Guardiola
Zwei Taktik-Füchse unter sich: Julian Nagelsmann und Pep Guardiola / PAUL ELLIS/Getty Images



Beide gehören zweifelsohne zu den begnadetsten Taktikern und besitzen einen Fußball-IQ, von dem die meisten Kollegen nur träumen können. Genau das wurde ihnen jedoch oft zum Verhängnis. Die tollsten Ideen und ausgefallensten Taktiken helfen schließlich nicht, wenn das Team gar nicht versteht, was damit gemeint ist.

Auffällig: Nagelsmann-Elf oft erst in Halbzeit zwei top

Betrachtet man die letzten Jahre, so fiel bei Leipzig und Nagelsmann auf, dass sie sich gerade in ersten Halbzeiten häufig schwer gegen die Spitzenteams taten. Nicht selten war in der Halbzeit-Analyse zu hören, dass der 33-Jährige taktisch ausgecoacht wurde.

Zwar schaffte es der Coach recht häufig, dass seine Elf mit einem ganz anderen Gesicht aus der Kabine kam, jedoch war die Messe häufig schon gelesen. Wie zum Beispiel zuletzt beim Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund. Dies lässt den Schluss nahe, dass Nagelsmann Fehler zwar gut korrigieren kann, aber Probleme dabei hat, von Minute eins an die richtige Taktik zu fahren.

Passt Nagelsmann zu den Bayern? Es bleiben offene Fragen

In Summe lässt sich durchaus sagen, dass der Fünfjahresvertrag der Bayern für Nagelsmann sehr mutig war. Es ist noch unklar, wie der Coach mit den Bayern-Stars zurechtkommen wird.

Ein Vorteil ist sicherlich, dass er in München sehr spielintelligente Akteure wie Joshua Kimmich, Thomas Müller oder Robert Lewandowski vorfinden wird. Die drei Bayern-Stars haben auch in der Vergangenheit bewiesen, dass sie unterschiedliche Spielweisen und Philosophien umsetzen können.

Allerdings sei bei aller Kritik auch gesagt, dass Nagelsmann mit Hoffenheim und Leipzig auch ohne Titel viel erreicht und bewegt hat. Ein Großteil der Leipzig-Profis war zudem enttäuscht darüber, dass Nagelsmann den Verein verlässt. So schlecht kann sein Verhältnis zu den Spielern also auch nicht sein.

Zudem gibt es keinen großen Trainer, der nicht irgendwelche Schwächen aufweist. Ein Jürgen Klopp galt zum Beispiel lange Zeit als Final-Verlierer, Guardiola als K.o.-Spiel-Versager und Thomas Tuchel als menschlich schwieriger Typ. Alle haben es ihren Kritikern jedoch früher oder später gezeigt. Ein Trainer kann sich eben auch weiterentwickeln und ein 33-jähriger Nagelsmann wird dies sowieso tun.