Kommentar zu den DFB-Frauen: Zu Olympia mit einer Doppelspitze der anderen Art?

Die DFB-Frauen haben sich für die Olympischen Spiele in Paris qualifiziert. Im letzten halben Jahr unter Horst Hrubesch gilt es nun, den Umbruch vorzubereiten. Dafür sollte Hrubesch eng mit dem Nachfolger oder der Nachfolgerin zusammenarbeiten - ein Kommentar.
Jubel und Erleichterung bei der DFB-Elf nach der Olympia-Qualifikation - jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht.
Jubel und Erleichterung bei der DFB-Elf nach der Olympia-Qualifikation - jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht. / BSR Agency/GettyImages
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Heerenveen gilt nicht als Party-Hauptstadt der Niederlande. Das kleine Städtchen in Friesland zählt nur knapp über 50.000 Einwohner und ist mehr für den örtlichen Fußballklub und den Eisschnelllauf bekannt als für große Discos. Als Örtlichkeit für Feiern taugte Heerenveen am Mittwoch trotzdem, schließlich hatten die DFB-Frauen mit dem 2:0-Sieg gegen die Niederlande gerade die Olympia-Qualifikation geschafft und damit ordentlich etwas zu feiern. Das Getränk der Wahl waren Heineken-Biere, wenn den Instagram-Storys zu trauen ist.

Noch besser als in Heerenveen lässt es sich in der französischen Hauptstadt Paris feiern. Im Sommer, so Interimstrainer Horst Hrubesch - der womöglich Rekorde für die längste Zeit als Interimstrainer knacken will -, soll es wieder Party geben, und zwar nach dem Gewinn einer Medaille. Der 72-Jährige gab nach der Qualifikation prompt das Endspiel als Ziel aus.

Hrubesch erfüllt sich Olympia-Traum - und will jetzt eine Medaille

Angesichts der zuletzt - schmeichelhaft formuliert - schwankenden Leistungen war das eine durchaus sportliche Ansage. Schließlich hatten die DFB-Frauen weder in der Gruppenphase, mit drei verschiedenen Trainerinnen und Trainern, noch im Halbfinale gegen Frankreich, überzeugen können. Der 2:0-Erfolg gegen die dezimierten Niederlande, die ohne drei wichtige Offensivkräfte angetreten waren, war vor allem eine Leistung des Willens.

Bei Olympia hat Deutschland vielleicht tatsächlich Chancen, was aber mehr daran liegt, dass weitere große Namen wie die USA, Kanada oder Brasilien ebenfalls schwächeln. Alle drei kamen ebenso wenig wie Deutschland bei der WM ins Viertelfinale oder weiter. Europameister England dagegen hat sich nicht für Olympia qualifizieren können. Trotz der glücklichen Qualifikation ist ein erfolgreicher Sommer also nicht ausgeschlossen.

Hrubesch hat oft betont, wie emotional eine Olympia-Qualifikation für ihn persönlich wäre, für den Feuerwehrmann des DFB, der bereits die Männer-Auswahl 2016 zur Silbermedaille führte. Seinen Abschluss will er in Frankreich jetzt vergolden - wobei Hrubesch sich über Silber sicher auch nicht beschweren würde. Sein Olympiatraum war auch für die Spielerinnen eine zusätzliche Motivation, wie Klara Bühl sagte: "Wir wussten, wenn es uns heute nicht gelingt, ist das vermutlich sein letztes Spiel gewesen. Da waren sicher ein paar Prozente mehr für ihn dabei."

Olympia-Erfolg sollte der langfristigen Entwicklung untergeordnet werden

Die Olympischen Spiele - eine einmalige Möglichkeit für das ersehnte Erfolgserlebnis und der perfekte Abschied von Hrubesch? Eine schöne Fußballgeschichte wäre das. Für das nächste halbe Jahr sollte aber, all dem zum Trotz, nicht das Abschneiden bei den Olympischen Spielen im Vordergrund stehen.

Denn Hrubesch ist immer noch nur Interimstrainer, wenn auch ein sehr langfristiger. Es geht darum, das Team auf den nächsten Coach vorzubereiten, langfristig zu planen. Bei dem Chaos um Martina Voss-Tecklenburg nach der verkorksten WM, dann dem Fokus auf die Olympia-Qualifikation, ist eines etwas untergegangen: Eigentlich sollte es ja eine Neuorientierung geben nach der WM, einen Umbruch.

Grundsätzliche Veränderungen gab es bisher wenige. Klarer Fokus war die Qualifikation, Hrubesch führte vor allem die Linie von Voss-Tecklenburg weiter, auch wenn Elisa Senß und Vivien Endemann ihr Debüt feiern durften. Einige zaghafte Knospen des Umbruchs sind bereits zu sehen: Sarai Linder konnte sich als Außenverteidigerin etablieren, Sjoeke Nüsken hat sich im Mittelfeld verdient einen Stammplatz erobert.

Lea Schueller, Sjoeke Nuesken, Alexandra Popp
Starker Auftritt gegen die Niederlande: Sjoeke Nüsken (Nr 20) / Dean Mouhtaropoulos/GettyImages

Dialog mit neuem Bundestrainer/Bundestrainerin wichtig

Vor den Olympischen Spielen gilt es jetzt, diese Entwicklung fortzusetzen. Dem Erfolg im Sommer sollte nicht alles untergeordnet werden, im Gegenteil. Die erfolgreiche Qualifikation sollte als Zäsur gesehen werden, als Beginn der inoffiziellen Amtszeit des neuen Bundestrainers oder der neuen Bundestrainerin. Denn der/die Hrubesch-Nachfolger/in steht wohl schon in den Startlöchern, wie DFB-Sportdirektorin Nia Künzer durchblicken ließ, und hätte im Falle einer Niederlage prompt das Zepter übernehmen können.

Es wäre wünschenswert, wenn diese fünf Monate bis Olympia-Beginn nicht nur als Hrubeschs Abschiedsreise gesehen würden, sondern auch als Neuanfang. Hrubesch und der/die Neue sollten im regen Kontakt stehen, fast schon ein Trainer-Tandem im Schatten bilden. Eine Doppelspitze der etwas anderen Art, mit einem echten Bundestrainer und einem "falschen". Damit soll überhaupt nicht Hrubesch die Kompetenz abgesprochen werden, aber eine solche Übergangsphase würde die Aufgabe nach Olympia deutlich leichter machen.

Schließlich wird es Zeit brauchen, um mit dem neuen Trainer oder der neuen Trainerin eine andere Spielphilosophie zu finden. In der Entwicklung sind auch Dellen zu erwarten. Und ein Jahr nach Olympia steht bereits das nächste Turnier an, wohl noch wichtiger: die EM in der Schweiz. Um Zeit zu gewinnen, wäre es also wichtig, bereits jetzt mit dem Neuaufbau zu beginnen.

Die Olympischen Spiele sind wichtig, aber weniger wichtig als die langfristige Entwicklung. Außerdem sind sie das dritte große Turnier in Folge für die Deutschen - eine Pause täte einigen vielleicht gut. Warum nicht einfach ein Team, nach Vorstellungen vom neuen DFB-Coach zusammengestellt, mitnehmen?

Im schlechtesten Fall hätte der neue Bundestrainer oder die neue Bundestrainerin schon vor dem offiziellen Amtsantritt einige Lektionen gelernt. Und im besten Fall würde sich auch Hrubeschs zweiter Traum, der von einer Medaille, erfüllen - Party an der Seine inklusive, natürlich. Passenderweise aber lieber mit Champagner als mit Heineken.