Keine Variabilität, zu statisch, schwaches Positionsspiel: Die deutsche Nationalmannschaft unter der Lupe

Joachim Löws 3-2-5-Variante hat gegen die Ukraine nicht funktioniert
Joachim Löws 3-2-5-Variante hat gegen die Ukraine nicht funktioniert / DeFodi Images/Getty Images
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Die deutsche Nationalmannschaft sorgt seit langer Zeit für wenig Begeisterung. Am Samstagabend gewann die Elf von Bundestrainer Joachim Löw zwar ihr erstes Nations-League-Spiel, das 2:1 über eine ersatzgeschwächte Ukraine machte allerdings wenig Hoffnung auf Besserung.

Seit Monaten stellt sich bei der Nationalmannschaft die Systemfrage. Joachim Löw will seit dem Gruppenaus bei der WM 2018 unbedingt mit Dreierkette spielen, die früher so gefürchtete Offensivpower konnte die DFB-Elf seither aber kaum entfalten. Auch in Kiew offenbarte die Mannschaft kein wirkliches Feuerwerk, obwohl die Gastgeber wenige Tage zuvor mit 1:7 gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich untergegangen waren und aufgrund von positiven Corona-Tests 14 Ausfälle zu beklagen hatten (via Sport.de).


Die Aufstellungen beider Mannschaften im Überblick

  • Ukraine: Bushchan - Karavaev, Zabarnyi, Mykolenko, Sobol - Sydorchuk - Yarmolenko, Malinovskyi, Kovalenko, Tsygankov - Yaremchuk
  • Deutschland: Neuer - Ginter, Süle, Rüdiger - Klostermann, Kimmich, Kroos, Halstenberg - Goretzka, Gnabry, Draxler

Torhüter Georgiyi Bushchan (26) und Innenverteidiger Ilyan Zabarnyi (18) absolvierten gerade einmal ihr zweites Länderspiel, hatten in der ersten Halbzeit jedoch kaum etwas zu befürchten. Während die Ukraine in einem tiefen und kompakten 4-1-4-1 agierte, das insbesondere das Spiel durch das Zentrum schwierig gestalten sollte, positionierte sich die deutsche Nationalmannschaft bei Ballbesitz in einem 3-2-5.

Keine ballnahe Unterstützung und einfache Ballverluste

In der Dreierkette ließ sich Matthias Ginter auf die klassische Rechtsverteidiger-Position fallen, um Nähe zum aufgerückten Lukas Klostermann aufzubauen und eine Anspielstation auf der Außenbahn zu haben. Antonio Rüdiger, der als halblinker Innenverteidiger agierte, hatte dagegen lediglich Niklas Süle oder Ginter als Anspielstation. Marcel Halstenberg war auf der linken Außenbahn so weit aufgerückt, dass Rüdiger nur der lange Ball geblieben wäre, um ihn anzuspielen.

Das Positionsspiel erwies sich als extrem ungünstig, da die Doppelsechs um Joshua Kimmich und Toni Kroos keine Anspielstationen in Ballnähe hatte. Im Raum zwischen den gegnerischen Viererketten im Mittelfeld und der Abwehr war einzig der ukrainische Sechser Sergiy Sydorchuk postiert. Der 29-Jährige erlebte in dem engen Zwischenlinienraum einen ruhigen Abend, da sich selten einer der deutschen Offensivspieler fallen ließ.

Joshua Kimmich (Foto) und Toni Kroos hatten kaum Anspielstationen nach vorne
Joshua Kimmich (Foto) und Toni Kroos hatten kaum Anspielstationen nach vorne / DeFodi Images/Getty Images

Die Konsequenz: Immer wieder wurde der Rückpass zu den Innenverteidigern gespielt. Der Aufbau war dann stets gleich: Ginter erhielt den Ball von Süle und leitete das Spielgerät an Klostermann weiter, der dann keine Unterstützung von Goretzka oder Kimmich erhielt und deshalb den Rückpass zu Ginter wählte, der wiederum einen seiner Innenverteidiger-Kollegen bedient hat, ehe Kroos oder Kimmich angespielt wurden und der Ball wieder an einen Innenverteidiger ging.

Die Ukrainer schoben die Ketten in diesen Ballbesitzphasen nach vorne und konnten den Ball so in ungefährlichen Räumen zirkulieren lassen. Aus dem mannorientierten Anlaufverhalten der Mannschaft von Ex-Stürmer Andriy Shevchenko resultierten insbesondere in der ersten Halbzeit zahlreiche Ballverluste der DFB-Elf, da der ballführende Spieler aufgrund fehlender Passstationen meist abdrehen musste; oder aber es wurde ein Risikopass gespielt, der in den Füßen des Gegenspielers landete.

Deutschland spielt zu statisch

Neben dem reinen Positionsspiel war die geringe Bewegung der einzelnen Spieler ein weiteres Problem. Gnabry und Draxler ließen sich zwar hin und wieder fallen um Kroos und Kimmich eine Anspielstation zu bieten, doch dann fehlte ein Mann in der Tiefe, da die daraus entstehenden Lücken nicht besetzt wurden. Darüber hinaus gab es so gut wie keine Positionswechsel, auch Tiefenläufe wurden nur selten angeboten.

Insgesamt wies die deutsche Nationalmannschaft in den ersten 45 Minuten ein starres Positionsspiel auf, wobei die Offensivreihe einen zu großen Abstand zu den übrigen Mannschaftsteilen aufwies. Dadurch fehlten besonders im Mittelfeld ballnahe Anspielstationen, wobei auch die Außenbahnspieler kaum Unterstützung in Ballnähe erhielten und das relativ vertikale Spiel kaum Tempo aufnehmen oder Torgefahr erzeugen konnte. Da die Ukraine diszipliniert gegen den Ball arbeitete und nach eigenen Ballverlusten schnell in ihre 4-1-4-1-Grundordnung überging, waren Ballkontakte der DFB-Elf im gegnerischen Strafraum rar gesät. Dass das 1:0 durch Ginter (20.) nach einem Eckball fiel, war daher keine große Überraschung.

Mangelnde Konsequenz im Abschluss - Deutschland muss zittern

In der zweiten Halbzeit waren einige Veränderungen ersichtlich, die speziell zu Beginn eine positive Wirkung entfaltet haben. So rückte Klostermann im letzten Drittel in den rechten Halbraum ein, während Ginter auf der Außenbahn deutlich höher postiert war. Auf der gegenüberliegenden Seite ließ sich Halstenberg etwas fallen, um Rüdiger eine Anspielstation zu bieten. Auffällig war auch, dass Draxler, der sich gemeinsam mit Goretzka häufiger in die Halbräume fallen ließ, vermehrt ins Dribbling ging und darum bemüht war, die letzte Kette der Ukraine durch Eins-gegen-eins-Situationen auseinanderzuziehen und Räume zu eröffnen.

Julian Draxler war nach dem Seitenwechsel einer der auffälligsten Akteure, jedoch ließ der Angreifer beste Gelegenheiten aus
Julian Draxler war nach dem Seitenwechsel einer der auffälligsten Akteure, jedoch ließ der Angreifer beste Gelegenheiten aus / DeFodi Images/Getty Images

Die Chancenerarbeitung wurde besser, nicht aber die Verwertung. Das 2:0 fiel nach einem individuellen Fehler von Ukraine-Keeper Bushchan (49.), weitere Möglichkeiten wurden leichtfertig vergeben. Die Mannschaft musste daher noch um den ersten Sieg bangen, nachdem Ruslan Malinovskyi einen Elfmeter in der 76. Minute verwandelte. Ein eigentlich sicherer Sieg wurde beinahe unnötigerweise aus den Händen gegeben - gegen einen Gegner wie der Ukraine macht diese Leistung deutlich, dass Deutschland weit von der europäischen Spitze entfernt ist.