Harry Kane: Das Ende des Musterprofis

Harry Kane.
Harry Kane. / Laurence Griffiths/Getty Images
facebooktwitterreddit

Harry Kane will sich offenbar seinen Wechsel von Tottenham nach Manchester erstreiken. Dieses Verhalten passt überhaupt nicht zu dem Musterprofi, der der 28-Jährige bisher immer war. Vor allem für die Fans ist es ein Schlag ins Gesicht.


Als Harry Kane am Montag nicht wie erwartet nach seinem EM-Sonderurlaub wieder zum Training bei Tottenham Hotspur auftauchte, war der Aufschrei groß: Will sich der Vize-Kapitän etwa einen Wechsel zu Manchester City erstreiken? Es sieht zumindest ganz danach aus, auch, wenn es nun auch Berichte gibt, wonach Kane nach seinem Bahamas-Urlaub noch in Quarantäne weilt. Aber dann wüssten die Spurs sicherlich Bescheid und müssten nicht "enttäuscht" sein.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe, an dem Harry Kane nicht zum Training auftaucht", sprach der englische Sky-Reporter Kaveh Solhekol in einer Diskussion mit seinem Kollegen Dharmesh Sheth wohl vielen aus der Seele. Es passe überhaupt nicht zu Kanes Charakter. Solhekol hatte auch kein Verständnis für die Aktion des Stürmers: "Niemand hat ihn gezwungen, diesen Vertrag zu unterschreiben. (...) Das ist nicht der richtige Weg."

Solhekols Meinung sind sicher viele, andere wiederum sind dann doch eher bei Sheth, der darauf verwies, dass zum Zeitpunkt von Kanes Unterschrift (2018) ganz andere Bedingungen bei den Spurs herrschten. Mauricio Pochettino war Trainer, man hatte große Ziele und ein Jahr später stand man im Champions-League-Finale. Doch die damals gemachten Versprechungen habe man nicht halten können, seit einiger Zeit gehe es bergab.

Verträge sind im Fußball nicht mehr viel wert

Es ist mal wieder ein Thema, in dem es kein richtig und kein falsch gibt. Natürlich gibt es Fakten, wie einen Vertrag bis 2024, der gewisse Pflichten mitbringt. Aber sind wir mal ehrlich: Wie viel sind Vertragslaufzeiten im Fußball denn heute noch wert? Aus Vereinssicht jedenfalls nichts, wenn man einen Spieler verpflichten oder loswerden möchte. In letzterem Fall sagt man dem Spieler dann, dass man nicht mehr mit ihm plane und versetzt ihn bestenfalls direkt in die zweite Mannschaft.

Die Zeiten, in denen sich Spieler das alles haben gefallen lassen, sind lange vorbei. Spieler, die einen Wechsel erzwangen, gab es zwar auch schon vor einigen Jahren (Heiko Herrlich, anyone?), aber in der jüngeren Vergangenheit haben die Fälle, zumindest öffentlichkeitswirksam, zugenommen. Spieler formulieren offen ihren Wunsch, "den nächsten Schritt" gehen zu wollen und lange Vertragslaufzeiten sollen vor allem dafür sorgen, dass es eine hohe Ablöse gibt. Das ist auch soweit in Ordnung.

Aber man muss auch hier differenzieren. Nehmen wir das Beispiel Ousmane Dembele bei Borussia Dortmund: Der Verein war für den Franzosen von Anfang an eine Durchgangsstation. Als der FC Barcelona rief, wollte er sofort weg. Und der BVB war nicht gänzlich abgeneigt, den Flügelstürmer dahin ziehen zu lassen, es ging letztlich auch hier vor allem um die Höhe der Ablöse.

Harry Kane
Harry Kane ist Mr. Tottenham. / Alex Davidson/Getty Images

Doch bei Harry Kane ist das anders. Der 28-Jährige galt bis gestern stets als Musterprofi, als Vorbild. Kane stammt aus der Jugend der Spurs, er ist quasi Mr. Tottenham. Er ist wirklich der Letzte, von dem man ein solches Verhalten erwartet hätte. "Ich habe mit Harry gearbeitet und ich kenne keinen professionelleren Fußballer", sagte Ex-Profi Gary Neville bei Sky. "Er macht immer alles korrekt, er muss also wirklich genervt sein. Etwas sehr Schlimmes muss passiert sein, das ihn dazu gebracht hat."

Mit wem soll man sich noch identifizieren?

Deshalb ist es auch dermaßen enttäuschend. Es sind Spieler wie Kane, die Fußballfans noch mit ihrem Verein verbinden. Wenn selbst Spieler wie er nun nur noch karriereorientiert denken (Kane will unbedingt Titel gewinnen) und in den Streik treten, um einen Wechsel zu erzwingen, mit wem kann man sich dann denn noch identifizieren? Für die Nord-Londoner, die es mit Tottenham halten, ist dieses Vorgehen ihres Stürmers ein Schlag mitten ins Gesicht.

Der Schaden ist nun auch irreparabel. Selbst wenn sich die Spurs und Präsident Daniel Levy durchsetzen und Kane doch bleibt, wie soll das erste Spiel im Tottenham Hotspur Stadium aussehen? Wie sollen die Fans ihn noch anfeuern? Wie soll er als Führungsspieler in dieser Mannschaft, die er eigentlich verlassen wollte, weil er sie nicht für gut genug für Titelgewinne hält, vorangehen?

Harry Kane hat durch diesen Streik seine eigene Statue mit dem Vorschlaghammer eingerissen, sich selbst seinen Legendenstatus in Tottenham entzogen. Und er hat das Bild von sich in England und in ganz Europa verändert. Es ist das Ende des Musterprofis.