Frauen-WM 2023 - Marina Hegering: Die Abwehrchefin, der Verletzungsfluch und das letzte große Turnier

Marina Vietnam im DFB-Trikot
Marina Vietnam im DFB-Trikot / Boris Streubel/GettyImages
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Marina Hegering ist verletzt, mal wieder. Leider ist das keine überraschende Neuigkeit, denn Verletzungen - mehr oder weniger schwer - ziehen sich durch die Karriere der Innenverteidigerin. Auch bei der EM, wo sie zu den besten Verteidigerinnen gehörte, gab sie erst im letzten Spiel vor dem Turnier ihr Comeback.

Martina Voss-Tecklenburg ging eine riskante Wette ein, als sie auf die 33-Jährige setzte - und Hegering zahlte das Vertrauen voll zurück. Bei Hegerings letztem großen Turnier spielen die Verletzungen, ihr Endgegner, wieder eine Rolle und wie viele Spiele sie bestreiten kann, bleibt unklar.

Marina Hegerings Rolle für das Team - in der Innenverteidigung unersetzlich

Hegering hat eine besonders lange Leidenszeit hinter sich - fast sechs Jahre konnte sie zwischenzeitig nicht regelmäßig Fußball spielen. Ein erneutes Comeback wäre immens wichtig für das DFB-Team und käme genau zum richtigen Zeitpunkt: Hegering ist mit ihrem Zweikampfverhalten, ihrer Physis und auch ihrem starken Spielaufbau eine Weltklasse-Innenverteidigerin. Sie würde sehr viel Ruhe und Stabilität in das Spiel der DFB-Elf bringen. 

Auch, weil die Innenverteidigung nicht gerade eine Position ist, auf der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ein Luxusproblem hat. In Hegerings Abwesenheit sind Sjoeke Nüsken und Kathrin Hendrich als Duo in der Innenverteidigung gesetzt. Nüsken kann im Spielaufbau glänzen, hat aber als Innenverteidigerin noch wenig Erfahrung und leistet sich den ein oder anderen Patzer. Sie selbst sieht sich eher als Mittelspielerin, wo die Konkurrenz im DFB-Team aber groß ist.

Hendrich dagegen war bei der letzten EM an Hegerings Seite sehr solide, in den letzten Wochen aber im Formtief. Hegerings Teamkollegin bei Wolfsburg profitiert davon, eine zweikampfstarke Verteidigerin wie Hegering oder Dominique Janssen an ihrer Seite zu haben.

Karriere: Erst vielversprechendes Talent, dann Verletzungspech

Marina Hegerings Karriere liest sich zunächst wie eine Laufbahn aus dem Lehrbuch. Mit 16 Jahren wechselte sie zum damaligen Topteam FCR Duisburg 2001, wo sie zusammen mit der ein Jahr jüngeren Alexandra Popp sowie mit Inka Grings unter Voss-Tecklenburg spielte. 2009 dann ein vorläufiger Karriere-Höhepunkt: Mit Duisburg gewann sie UEFA-Cup und DFB-Pokal, wurde zudem mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet. Ein Jahr später folgte der Weltmeister-Titel mit der U20, es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch ihr Debüt im A-Nationalteam geben würde.

Aber in der nächsten Saison zogen die ersten dunklen Wolken auf. Wegen einer Fersen-Verletzung konnte Hegering keine Spiele bestreiten, wechselte dann zu Bayer Leverkusen. Die Ferse bereitete ihr in den nächsten Jahren so viele Probleme, dass an ein reguläres Training nicht zu denken war. Hegering setzte den Fokus mehr auf ihr Studium und berufliches Leben (Kauffrau bei einer Baufirma), hatte mit der Möglichkeit, mit der DFB-Elf bei einem großen Turnier anzutreten, bereits abgeschlossen. Sie kam zu einigen Spielen für Leverkusen, und ab 2017 für die SGS Essen, aber mit einem spektakulären Comeback war nicht zu rechnen.

Und doch: Gegen alle Wahrscheinlichkeiten stand Marina Hegering im Kader für die WM 2019. Sie stand bei jeder Partie die ganzen 90 Minuten auf dem Platz und hatte sich den für nicht mehr möglich gehaltenen Traum doch noch erfüllt. Noch immer war der Fußball für Hegering nur ein "bezahltes Hobby", wie sie in einem Interview bei der WM sagte.

Marina Hegering
Hegering bei der WM 2019 / Quality Sport Images/GettyImages

Das änderte sich 2020: Mit ihrem Wechsel zum FC Bayern wurde sie erstmals Profifußballerin, konnte sich voll und ganz auf den Leistungssport konzentrieren. Die Verletzungssorgen blieben aber an ihrer Seite, ob in München oder Wolfsburg, wo sie 2022 hinwechselte. Selten blieb Hegering mehrere Monate am Stück komplett fit. Sie geht in ihre letzte Saison als Spielerin: Ab 2024 wird Hegering sich dem Trainerteam des VfL anschließen.

Spielstil

Bei so einer Karriere ist natürlich die Frage: Wie schafft man es, von solch einer langen Auszeit zurückzukommen, und dann auch noch auf Topniveau? In Hegerings Fall mit einer Mischung aus Physis und mutigem Spiel, wie sie selbst sagt: "Ich bin doch sehr robust und mache nicht immer nur Dinge, die typische Innenverteidigerinnen machen", erklärte sie in dem bereits erwähnten Interview. Diese beiden Stärken machen ihr Spiel aus und sorgen dafür, dass sie eine Innenverteidigerin ist, die nicht nur defensiv abräumt, sondern sich auch vorne mit einschaltet.

Hegerings Abwehrpartnerin bei der EM, Kathrin Hendrich, ist beim Spielaufbau eher etwas konservativer als sie. Während Hegering auch mal mit dem Ball ins Mittelfeld geht oder sich traut, Pässe in die Schnittstelle zu spielen, bleibt Hendrich eher einen Tacken weiter hinten und sichert ab. Dadurch ergänzen sich die beiden gut.

Hegering ist eine moderne Verteidigerin, die sich nicht als Abwehr-Haudegen versteht und gerne selbst Angriffe einleitet. Ihrem Spiel ist anzumerken, dass sie früher oft als Mittelfeldspielerin eingesetzt wurde und daher im Kombinationsspiel nach vorne geübt ist. Auf das Tor schießt Hegering naturgemäß nicht oft, aber wenn doch, dann knallt es. Mit wuchtigen Kopfbällen und mit Distanzschüssen hat sie sich einen Namen als torgefährliche Verteidigerin gemacht.

Aber auch defensiv ist Hegering auf der Höhe. Wegen ihrer Robustheit von Nationalteam-Kollegin Sara Doorsoun einst "Maschina" getauft, weiß sie ihren Körper in Zweikämpfen sehr geschickt einzusetzen. Auch Kopfballduelle sind eine Stärke von ihr, was auch offensiv von Vorteil sein kann. Hegering ist außerdem eine sehr vorausschauende Verteidigerin, die weniger im letzten Moment mit einem Tackle dazwischengeht und mehr den Ball vorher durch gute Positionierung abfängt.

Zwei kleine Schwächen hat die Abwehrchefin dennoch: Zum einen ist sie nicht immer ganz souverän im Einschätzen von langen Bällen und kam daher in ein paar Spielen zu spät. Außerdem ist sie nicht die Beweglichste, was sich gegen schnelle und wendige Stürmerinnen rächen kann. Mit ihren anderen Qualitäten macht sie diese Mankos aber mehr als nur wett und ist in Topform die beste Verteidigerin in Voss-Tecklenburgs Aufgebot. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Verletzungen ihr nicht auch das letzte große Turnier der Karriere nehmen.


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