Favoritensterben bei der Frauen-WM 2023: Nicht nur Deutschland enttäuscht

  • Titelverteidiger USA verabschiedet sich im Elfmeterschießen
  • Marta ohne Erfolg bei letzter WM-Teilnahme
  • Zu hoch gesteckte Ziele für Deutschland?
Das favorisierte US-Team um Alex Morgan blieb bei dieser WM weit hinter den Erwartungen zurück
Das favorisierte US-Team um Alex Morgan blieb bei dieser WM weit hinter den Erwartungen zurück / Visionhaus/GettyImages
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Mit den USA verabschiedete sich im Achtelfinale der Titelverteidiger und größte Favorit auf den WM-Titel. Deutschland, Brasilien und Kanada waren zuvor bereits in der Gruppenphase gescheitert. Beinahe traf es auch Europameister England am Montag. Doch warum verzweifelten so viele Top-Teams schon früh im Turnier?

USA: Titelverteidiger verabschiedet sich früh

Es sollte eigentlich der historische dritte WM-Titel in Folge für das USWNT werden, doch stattdessen wurde es historisch in der Hinsicht, dass die Mannschaft von Vlatko Andonovski es als erste nicht mindestens bis ins Halbfinale geschafft hat. Bereits im Achtelfinale war Schluss für Team USA. Dementsprechend groß war die Enttäuschung bei Spielerinnen und Fans. Allerdings hätte es die US-Amerikanerinnen beinahe schon in der Gruppenphase erwischt, als man sich nur mit einem knappen Unentschieden gegen Portugal auf den zweiten Platz in Gruppe E gerettet hatte.

Die WM in diesem Jahr stand für die USA symbolisch für einen Umbruch für die Frauen-Nationalmannschaft. Denn viele Spielerinnen, die bei den vergangenen zwei Erfolgen mitgewirkt hatten, waren nun nicht mehr dabei - allen voran die ehemalige Kapitänin Carli Lloyd. Mit von der Partie waren unter anderem noch Alex Morgan und Megan Rapinoe, die das Team mit ihrer Erfahrung leiten sollten. Daneben rückten viele neue und jüngere Spielerinnen in die Mannschaft. Gerade von Portland-Thorns-Star Sophia Smith, welche die neue Generation verkörpert, erhoffte man sich Großes.

Megan Rapinoe
Für sie besiegelte die Niederlage gegen Schweden ihre letzte Turnier-Teilnahme für die USA - zweifache Weltmeisterin Megan Rapinoe / Robert Cianflone/GettyImages

Zwar startete das USWNT mit einem 3:0-Sieg über Vietnam in das Turnier, doch bereits hier offenbarten sich die ersten Schwächen. Die wurden anschließend im Spiel gegen die Niederlande umso deutlicher. Die Mannschaft harmonierte insgesamt nicht gut zusammen, Morgan schien nicht ideal in das von Andonovski gewählte System zu passen und der so typische Siegeswille, für den die US-Amerikanerinnen normalerweise bekannt sind, wurde oftmals vermisst.

Nachdem die USA gerade so die Qualifikation für das Achtelfinale klargemacht hatten, stolperte das Team schließlich an Schweden. Wie schon bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio konnten die Skandinavierinnen die US-Amerikanerinnen im Elfmeterschießen bezwingen. Für das Team gilt es nun, den Umbruch voranzutreiben, um bestmöglich für das nächste große Turnier vorbereitet zu sein.

Brasilien: Der letzte Auftritt einer Legende

Sie galt über viele Jahre hinweg als die beste Fußballerin der Welt - womöglich auch aller Zeiten: Brasiliens Marta hatte bereits früh klar gemacht, dass es sich bei dieser WM um ihre letzte handeln würde. Ähnlich wie bei Lionel Messi bei der argentinischen Männer-Nationalmannschaft wollte die Mannschaft die Stürmerin von Orlando Pride gebührend verabschieden - bestenfalls mit dem Titel. Dieser Traum zerplatzte bereits in der Gruppenphase.

Zunächst war die Seleção vielversprechend gegen Panama in das Turnier gestartet. Mit Spielzügen wie aus dem Lehrbuch und kreativem Fußball war die Hoffnung nach dem ersten Gruppenspiel weiter groß. Dies sollte sich allerdings in der darauf folgenden Partie ändern, als sich die Brasilianerinnen Frankreich knapp mit 1:2 geschlagen geben mussten. Demnach hätte das Team von Pia Sundhage gegen Jamaika einen Sieg benötigt, um das Weiterkommen zu sichern. Der Großteil des Spiels ereignete sich schließlich auch in der gegnerischen Hälfte, trotzdem verzweifelte die Seleção vergeblich an der jamaikanischen Abwehr.

Marta
Starspielerin Marta blieb ein erfolgreicher Abschluss mit Brasilien verwehrt - schon nach der Gruppenphase war für sie Schluss / Zhizhao Wu/GettyImages

Für Marta war es der letzte Auftritt auf der ganz großen Bühne, doch sie hinterlässt ihrem Team und all denjenigen, die in der brasilianischen Nationalmannschaft folgen werden, ein wichtiges Vermächtnis. "Es ist erst der Anfang", verkündete Marta nach dem Spiel. Für ihre Mitspielerinnen gebe es nun eine neue Möglichkeit, wieder vorne mit anzugreifen.

Kanada: Olympiasieger ohne Glanz

So hatte sich das der Olympiasieger von 2021 überhaupt nicht vorgestellt. Auch Kanada musste den WM-Traum schon nach der Gruppenphase aufgeben und schaffte es nicht zu überzeugen. Ein Sieg und eine Niederlage reichten nicht für ein Weiterkommen, verdient wäre es auch nicht gewesen.

Stellt man mit Christine Sinclair eine 40-Jährige im entscheidenden Spiel gegen Gastgeber Australien von Beginn an auf, muss bei der Personalentscheidung auch ein Quäntchen Verzweiflung mit im Spiel gewesen sein. Denn auch wenn es sich mit Sinclair um die weltweit führende internationale Torschützin handelt und sie immer noch große Qualitäten besitzt, wäre eine dynamischere Variante gegen die starke Abwehr der Matildas die bessere Option gewesen. Doch nicht nur dieser Aspekt besiegelte das frühe Turnier-Aus für Kanada, die Probleme zogen sich durch die ganze Mannschaft.

Christine Sinclair
Mit Christine Sinclair verabschiedet sich die weltweit führende internationale Top-Torschützin von der internationalen Bühne / Eurasia Sport Images/GettyImages

Mit einer der Gründe für die enttäuschende Leistung ist mit Sicherheit auch der Streit mit dem kanadischen Verband, der erst vor kurzem einen Höhepunkt erreicht hatte. Es werde zu wenig Geld in die Nationalmannschaft gesteckt, auch die Finanzierung der Jugendmannschaften sei ein ernst zu nehmendes Problem. Zudem haben die Mittel gefehlt, um ausreichend Lehrgänge abzuhalten, damit sich die Teammitglieder einspielen und zusammen weiterentwickeln können. Will Kanada wieder die internationale Spitze ansteuern, müssen erst die Grundgegebenheiten stimmen.

Deutschland: Hilflos mit zu hohen Ansprüchen

Schon lange vor dem Start der Weltmeisterschaft hatte die deutsche Mannschaft um Martina Voss-Tecklenburg klargemacht, dass das klare Ziel der Titel und somit der dritte Stern auf dem Trikot ist. Waren diese Erwartungen im Nachhinein etwas zu hoch gesteckt? Vermutlich ja, denn im Vergleich zur Europameisterschaft im letzten Jahr lastete dieses Mal deutlich mehr Druck auf den deutschen Spielerinnen. Dies spiegelte sich folglich in deren Spielweise wider.

Doch nicht nur der Druck spielte beim Ausscheiden des DFB-Teams eine tragende Rolle. Hinzu kam eine Reihe an verletzten Spielerinnen, auf deren Fehlen man nicht rechtzeitig eine passende Antwort finden konnte. Besonders auf den Außenverteidiger-Positionen gab es Probleme bei der Besetzung, denn beide hier eingesetzten Spielerinnen sind normal im Mittelfeld unterwegs. Nicht nur in der Abwehr kam es zu Schwierigkeiten, auch in der Offensive gab es Defizite: mangelnde Kreativität, zu viele hohe Bälle in den Strafraum und vor allem die Abhängigkeit von Alexandra Popp.

Alexandra Popp
Konnte Deutschland nicht im Alleingang in das Achtelfinale schießen - Kapitänin Alexandra Popp / Eurasia Sport Images/GettyImages

Nach dem erfolgreichen Start mit sechs Toren gegen Marokko fiel die deutsche Mannschaft in sich zusammen. Zuerst kassierte man in der Nachspielzeit des zweiten Gruppenspiels gegen Kolumbien den spielentscheidenden Gegentreffer, dann fand die Mannschaft keine Mittel, um die Defensive von Südkorea zu knacken.

Mittlerweile scheint sicher, dass Bundestrainerin Voss-Tecklenburg weiter für das Team verantwortlich sein wird. Um wieder gegen die stärksten Mannschaften der Welt wettbewerbsfähig zu sein, müssen allerdings viele Fehler aufgearbeitet werden und die ein oder andere Taktik- sowie Personaländerung in Betracht gezogen werden.


Wer ist nun Favorit?

Mit dem Ausscheiden vieler Favoriten stellt sich nun natürlich die Frage, welche Mannschaft diesen Platz ab sofort einnehmen wird. Europameister England konnte bisher im Turnier noch nicht auf ganzer Linie überzeugen. Im Achtelfinale setzten sich die Lionesses gegen Nigeria nur knapp im Elfmeterschießen durch.

Bisher hat sich nur Japan in jeder Partie von der besten Seite zeigen können. Die Nadeshiko Japan konnten bisher alle vier Turnierspiele gewinnen und mussten dabei nur ein einziges Gegentor hinnehmen. Mit einer spielerisch wie taktisch starken Herangehensweise kann Japan mittlerweile als einer der Top-Favoriten gehandelt werden.

Blickt man jedoch auf die aktuelle FIFA Weltrangliste, so müsste man die drittplatzierten Schwedinnen als vielversprechende Kandidatinenn auf den Titel sehen. Unter dem Strich kann man festhalten, dass durch das Ausscheiden vieler Favoriten das Feld neu gemischt ist und Fans somit umso mehr Spannung im restlichen Turnierverlauf erwarten können.