Die Nationalmannschaft und Borussia Dortmund: Die Parallelen sind deutlich

Bundestrainer Joachim Löw steht mehr denn je in der Kritik
Bundestrainer Joachim Löw steht mehr denn je in der Kritik / Quality Sport Images/Getty Images
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Die 0:6-Niederlage gegen Spanien hat noch einmal deutlich aufgezeigt, wie tief die deutsche Nationalmannschaft im Schlamassel steckt. Es werden einige Parallelen zur vergangenen Saison von Borussia Dortmund deutlich. Wie beim BVB dürfte auch beim DFB erst nach entscheidenden Veränderungen Besserung eintreten.

"Heute sind wir absolut zurückgeworfen worden", konstatierte Bundestrainer Joachim Löw am Dienstagabend in Sevilla (zitiert via kicker). "Es war ein rabenschwarzer Tag, an dem gar nichts funktioniert hat", so der 60-Jährige, der Zeuge einer historischen Pleite der deutschen Nationalmannschaft wurde.

0:6 - so hoch verlor Deutschland letztmals am 24. Mai 1931 gegen Österreich. Mehr Gegentore kassierte sie lediglich beim 3:8 gegen Ungarn, dem berüchtigten zweiten Gruppenspiel bei der Weltmeisterschaft 1954, und am 13. März 1909, als England mit 9:0 gewann.

Von einem historischen Debakel zu sprechen, ist daher keine Übertreibung. Vielmehr verdeutlichte die Niederlage gegen Spanien, wie groß die Krise ist, in der der DFB steckt. So, wie es Brasilien nach der 1:7-Niederlage im WM-Halbfinale 2014 erging, so dürfte es dieser Tage auch der deutschen Nationalmannschaft ergehen. Diese Niederlage muss allen Beteiligten einen Denkanstoß liefern.

In einer ähnlichen Situation befand sich Borussia Dortmund vor fast genau einem Jahr. Nach einem durchschnittlichen Start in die Saison 2019/20 und einigen fahrigen Auftritten, wie beispielsweise beim 0:2 gegen Inter Mailand in der Champions League, musste sich BVB-Coach Lucien Favre eingestehen, dass ein einfaches "Weiter so" nicht ausreicht, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen. Die folgende Liste beinhaltet drei Parallelen zwischen dem DFB und dem BVB, die verdeutlichen, dass es Veränderungen braucht, wenn die Europameisterschaft 2021 kein weiteres Debakel werden soll.


1. Von dem vielen Potenzial ist wenig zu sehen

Die Nationalmannschaft ruft ihr Potenzial zu selten ab
Die Nationalmannschaft ruft ihr Potenzial zu selten ab / Maja Hitij/Getty Images

Personell ist die deutsche Nationalmannschaft auch im Jahr 2020 erstklassig besetzt. Manuel Neuer, Niklas Süle, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry haben erst im August das Triple mit dem FC Bayern gewonnen, Leroy Sané steht seit dieser Saison auch beim Rekordmeister unter Vertrag und hat sein Können bereits in vier Jahren bei Manchester City angedeutet.

Die Innenverteidigung um Süle, Matthias Ginter, Antonio Rüdiger, Robin Koch, Lukas Klostermann, Marcel Halstenberg oder Jonathan Tah verfügt über viel Qualität, auf der Außenverteidigung können Klostermann und Halstenberg indes ebenso aushelfen wie die neuen Linksverteidiger Philipp Max und Robin Gosens, die für viel Offensivgefahr stehen.

Im Mittelfeld stehen neben Kimmich und Goretzka noch Toni Kroos, Julian Brandt, Kai Havertz, Ilkay Gündogan oder Neu-Nationalspieler Florian Neuhaus zur Verfügung, während Gnabry und Timo Werner die Aufgabe in der Sturmspitze übernehmen oder mit Sané auf den Außenbahnen spielen können.

Die Mannschaft verfügt über Spieler mit Tempo und Torgefahr, über Spieler mit Spielwitz, Übersicht und Genialität im Passspiel, über an den modernen Fußball angepasste Außenverteidiger und international erfahrene Innenverteidiger sowie zwei Torhüter, die sich auf allerhöchstem Niveau bewegen. Personell braucht es keinen riesigen Umbruch, um die Krise abzuwenden - vielmehr braucht es eine Spielidee, die zum vorhandenen Kader passt, die die Stärken der Mannschaft bestmöglich ausspielt.

Genauso braucht es aber auch die Leistungsbereitschaft und Leidenschaft, für die Nationalmannschaft zu spielen. Davon war in Sevilla nichts zu sehen. Körpersprache und Kommunikation waren nicht vorhanden, taktische Vorgaben wurden ungenügend umgesetzt. So blutleer spielte auch der BVB im Herbst 2019, bis zur Umstellung auf das 3-4-2-1 wieder aktiver und aggressiver Fußball gespielt wurde.


2. Schwaches Defensivverhalten

Die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft war nicht erst gegen Spanien mangelhaft
Die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft war nicht erst gegen Spanien mangelhaft / Soccrates Images/Getty Images

In sechs Nations-League-Spielen hat Deutschland 13 Gegentore kassiert. Ohne Manuel Neuer hätte diese Zahl noch höher ausfallen können, denn insbesondere das Spiel gegen den Ball lässt deutlich zu wünschen übrig.

Das träge Umschaltverhalten nach Ballverlusten führt zu zahlreichen Kontergelegenheiten für die Gegner, die kinderleicht ins letzte Drittel respektive den Strafraum vorstoßen können. Organisation und Balance stimmen bei Löw und den Seinen nicht überein. Es braucht ein gesundes Maß an offensives Risiko und gleichzeitig eine sehr gute defensive Absicherung.

Dieses Manko wurde bereits vor der Weltmeisterschaft 2018 ausgemacht - bis heute hat Löw kein probates Mittel gefunden. Egal ob Dreier- oder Viererkette, Deutschland ist gegen den Ball extrem anfällig - so, wie es der BVB im Herbst 2019 war, bevor Favre sich vom 4-2-3-1 verabschiedete. Erst im 3-4-2-1 gelang es auch dank des formstarken Dan-Axel Zagadou, die Gefahr vor dem Tor von Roman Bürki zu verbannen.

Allerdings ist es bei der Nationalmannschaft keine Frage der Formation, vielmehr stehen spieltaktische Aspekte im Vordergrund. Löw muss es gelingen, der Abwehr wieder mehr Struktur zu verleihen, es braucht klare Abläufe und eine ordentliche Organisation. Das beginnt bereits im Angriff.


3. Ein Trainer, der stur an seiner Idee festhält

Joachim Löw bleibt von seinen Ideen überzeugt. Aber er wird sie kritischer denn je hinterfragen müssen.
Joachim Löw bleibt von seinen Ideen überzeugt. Aber er wird sie kritischer denn je hinterfragen müssen. / Quality Sport Images/Getty Images

Seit Monaten wird kritisch über den Status Quo der deutschen Nationalmannschaft diskutiert. Dass einige Experten taktische oder personelle Veränderungen fordern, ist in solch einem Diskurs normal. Löw will davon allerdings nichts wissen und hält an seinen Ideen fest.

Gewiss ist es als Trainer wichtig, mutig zu sein und an die eigenen Stärken und Ideen zu glauben. Negativ wirkt es sich allerdings dann aus, wenn die Probleme offensichtlich sind und man - vielleicht wegen des steigenden Drucks erst recht - stur seinen eigenen Weg weitergeht.

Auch Favre war lange darum bemüht, die Probleme ohne taktische Umstellungen zu lösen. Seine Mannschaft brauche mehr Ruhe und Geduld im Ballbesitz, sie müsse lernen, den Gegner laufen zu lassen - Sätze, die immer wieder vom Schweizer zu hören waren, wenn nach einem Spiel wieder nur ein ernüchterndes Ergebnis auf der Anzeigetafel stand.

Löw hat sich nach der WM 2018 radikal vom Ballbesitzfußball verabschiedet und sich auf hohe Balleroberungen und schnelle Gegenstöße fixiert. Er wollte unbedingt eine Dreierkette einführen und hält trotz schwacher Auftritte an dieser Umstellung fest, genauso erwägt er es trotz guter Leistungen auf Vereinsebene weiterhin nicht, Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller wieder in die Nationalmannschaft einzubinden. Es soll keine erneute Diskussion über das Für und Wider der Ausbootung des Weltmeister-Trios begonnen werden, vielmehr soll dieses Beispiel - wie die zuvor genannten auch - aufzeigen, wie groß Löws Glaube daran ist, dass der Weg, den er nach dem WM-Debakel eingeschlagen hat, der richtige ist.

Allerdings muss sich der Bundestrainer spätestens jetzt hinterfragen - und zwar kritischer denn je. Welchen Fußball will er spielen lassen? Wie soll die spieltaktische Herangehensweise in Zukunft aussehen? Welche Spieler will er mit auf diesen Weg nehmen? Lässt er wieder das Leistungsprinzip gelten oder bevorzugt er die Spieler, denen er vertraut und die auf seine Idee zugeschnitten sind?

Favre hat sich auf einige Veränderungen eingelassen und hatte damit Erfolg. Jetzt ist Löw gefragt: Gelingt es ihm, den Bock umzustoßen, auch wenn er einige seiner Ideen dafür über Bord werfen muss?