Der Mythos Vize-kusen: Ein Rückblick auf die bittersten Stunden der Leverkusener Geschichte

Am vergangenen Sonntagabend war es mal wieder so weit: Nach 2.284 Tagen übernahm Bayer 04 Leverkusen wieder die Tabellenspitze der Bundesliga. Mit einem 4:1-Sieg gegen die TSG Hoffenheim setzte sich die Werkself vor dem FC Bayern an die Spitze des Tableaus. Die Frage, wie lange die Führung hält, steht schon in der Englischen Woche auf dem Prüfstand. Spätestens aber, wenn es am kommenden Samstag im Topspiel gegen den FC Bayern geht.

Kann das Team von Trainer Peter Bosz ein ernsthafter Meister-Anwärter sein? Oder geht es in den entscheidenen Spielen - Bayer-typisch - wieder in die Binsen? Der Mythos Vize-kusen kommt nicht von ungefähr. Wir begeben uns auf Spurensuche und blicken auf die legendärsten und bittersten Vize-kusen-Momente zurück.

Insert: Leverkusen war nicht immer Vize-kusen. Zwei Titel gab es in der Vereinsgeschichte zu feiern (Zweitliga-Meisterschaft nicht mit inbegriffen). 1988 schlug die Werkself im UEFA-Cup-Finale Espanyol Barcelona im Rückspiel mit 6:2 nach Elfmeterschießen und schaffte damit den größten Erfolg der Klubhistorie. Fünf Jahre später folgte der Gewinn des DFB-Pokals. Gegen die Hertha Amateure reichte ein knapper 1:0-Erfolg.

Die bittersten Bayer-Pleiten: Der Mythos Vize-kusen

8. 1993: Supercup gegen Werder Bremen

Zugegeben, ganz so wichtig ist der Supercup nicht. Von daher dürften die meisten - selbst im Bayer-Lager - die Pleite vom Supercup gegen Werder Bremen längst vergessen haben. Das 8:9 nach Elfmeterschießen zum Start der Saison 1993/94 ist auch schon eine ganze Ecke her...

7. Saison 1998/99: Vize-Meister hinter dem FC Bayern

Lang ist auch diese Vize-Meisterschaft schon her. Wirklich knapp wurde das Titelrennen aber nicht. Der FCB holte sich die Schale mit satten 15 Punkten Vorsprung.

6. Saison 2010/11: Vize-Meister hinter dem BVB

Etwas enger ging es 2010/11 her. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche "Vize-Titel" eingefahren. Trainer war Jupp Heynckes, Platz zwei eher als großer Erfolg zu sehen. Borussia Dortmund schnappte sich damals die erste Schale mit Kloppo - und das mit sieben Zählern Vorsprung.

5. Saison 2019/20: Vize-Pokalsieger (Titel: FC Bayern)

Nochmals ein kleiner Sprung. Dieses Mal in die Vorsaison. Da zog Bayer ins DFB-Pokalfinale ein und lieferte sich eine packende Partie mit dem FC Bayern. U.a. ein schwerer Hradecky-Patzer sorgte aber am Ende für eine weitere Finalpleite: 4:2 für den FCB!

4. Saison 2008/09: Vize-Pokalsieger (Titel: Werder Bremen)

Nochmal Berlin, nochmal DFB-Pokalfinale. Elf Jahre zuvor verlor die Werkself gegen Werder Bremen. Mesut Özil sorgte in Grün-Weiß für den goldenen Treffer. Und Bayer musste erneut ohne Pokal die Heimreise antreten.

3. Saison 1996/97: Vize-Meister hinter dem FC Bayern

Sozusagen der Startpunkt des Mythos' Vize-kusen. Es war gleichzeitig der Beginn der Ära Christoph Daum in Leverkusen. Zwei mickrige Zähler fehlten am Ende auf den Rekordmeister. Bayer verspielte den Titel nicht am letzten Spieltag (2:0-Sieg gegen Bochum), sondern in der Woche zuvor, als es ausgerechnet beim 1. FC Köln eine ganz ganz bittere 0:4-Pleite setzte.

2. Saison 1999/2000: Vize-Meister hinter dem FC Bayern

Noch knapper war es drei Jahre später. Fünf Monate nach der Jahrtausendwende sorgte der überragende Michael Ballack für die Wende - gegen Leverkusen im Meisterrennen. Die Werkself pflügte mit Daum an der Seitenlinie und Ballack als Spiritus rector auf dem Feld durch die Liga. Am letzten Spieltag sollte sich das Meister-Rennen aber in und um München entscheiden: Denn Leverkusen war in Unterhaching zu Gast. Ein Punkt hätte zur ersten Schale genügt.

Es folgte das bis heute legendäre und extrem bittere Eigentor von Ballack, der die nervöse Bayer-Truppe noch weiter hemmte und so für einen 2:0-Sieg des Underdogs sorgte. Unweit im Münchener Olympiastadion nutzte der FCB die Vorlage, um Bayer den Titel auf der Zielgeraden wegzuschnappen. Sieben Tore trennten die Teams in der Abschlusstabelle!

1. Saison 2001/2002: Triple-Vize

Wenn du denkst, es kann nicht mehr schlimmer kommen...

Die Daum-Ära war vorbei, Klaus Toppmöller war 01/02 Bayers Mann an der Seitenlinie. Und das mit durchschlagendem Erfolg! Im DFB-Pokal marschierte Bayer bis ins Finale, in der Champions League konnte die Werkself ganz Europa begeistern und in der Bundesliga lag die Toppmöller-Truppe bis Spieltag 30 aber sowas von auf Meisterkurs.

Es folgte ein Remis beim HSV, eine Pleite gegen Werder und eine Pleite in Nürnberg - da half auch der abschließende Sieg gegen die Hertha nichts mehr: Wieder mal wurde ein Vorsprung verspielt, Sammers BVB freute sich über die zweite Schale in Folge - mit einem Punkt Vorsprung (und einem um zehn Tore schlechteren Torverhältnis).

Doch wer dachte, es kann nicht mehr schlimmer kommen, hatte sich getäuscht. Schließlich standen noch die Finals im DFB-Pokal und der Königsklasse an. Kurz gefasst: Leverkusen verlor beide.

Etwas länger erzählt: In Berlin musste man sich Schalke 04 mit 4:2 geschlagen geben. Die Führung von Dimitar Berbatov wurde von S04 gedreht. Der nächste Nackenschlag.

Keine Chance also im Champions-League-Endspiel, würde man meinen. Zumal es gegen Real Madrid ging, u.a. mit dem legendären Zinedine Zidane. Doch Leverkusen spielte im Hampden Park zu Glasgow groß auf. Lucio egalisierte die frühe Real-Führung durch Raul. Fast mit dem Halbzeitpfiff sorgte ein Volley-Geniestreich von Zidane aber für die erneute Führung der Blancos. In Hälfte zwei rannte Bayer an, hatte zahlreiche Chancen und war die überlegene Mannschaft. Doch ein gewisser Iker Casillas (in der 68. Minute für den verletzten Cesar Sanchez eingewechselt) vereitelte in der Schlussphase auch die besten Einschussgelegenheiten.

Der schier unfassbare Triple-Titel war "vollbracht" - was für eine Tragödie und der vorläufige Höhepunkt des Mythos Vize-kusen.