Der "Lodda" macht die 60 voll!

Der "Lodda" wird 60 - und Deutschland feiert mit!
Der "Lodda" wird 60 - und Deutschland feiert mit! / Alexander Hassenstein/Getty Images
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Als ich zum ersten Mal so richtig mit dem Namen Lothar Matthäus in Kontakt kam, war dieser gerade von den Gladbacher Fans zum Judas erklärt worden. Grund war sein von großen Emotionen begleiteter Wechsel von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern (damals übrigens noch nicht der deutsche Rekordmeister!) im Sommer 1984.


Ungünstigerweise spielten beide Klubs nur wenige Wochen vor dem Vollzug des Transfers noch ein extrem wichtiges Spiel gegeneinander: das DFB-Pokalendspiel im Frankfurter Waldstadion.

An dieser Stelle erspare ich den Lesern einen Exkurs zu den vorangegangenen Halbfinal-Spielen (Mönchengladbach - Werder Bremen und Schalke 04 - Bayern München), da über jedes der beiden Semis ein ganzes Buch geschrieben werden könnte.

1984: Matthäus' Fehlschuss im DFB-Pokalfinale

Das Finale in Frankfurt war auch so schon Drama genug. Vor allem für Lothar Matthäus. Nicht nur, dass die Bayern erst spät (in der 82. Minute) die Führung seiner Mannschaft (durch Ringels in der 32.) ausglichen. Im sich der torlosen Verlängerung anschließenden Elfmeterschießen, dem ersten in der deutschen Pokalfinal-Geschichte, verschoss Gladbach dann auch gleich den ersten Elfmeter.

Und wer war der Schütze? Ja, genau: Lothar Matthäus (oder Lotoma Thäus, wie Julian Nagelsmann ihn nach eigenen Angaben während seiner Kindheit nannte). Das Wort "ausgerechnet", das bis heute nichts von seiner Attraktivität im Sportreporter-Sprech verloren hat, fiel damals, gefühlt, eine Million mal.

Denn der Wechsel des damals 23-Jährigen vom Bökelberg ins Olympiastadion war schon seit Wochen bekannt. Das ganze Pokal-Finale stand unter seiner Überschrift. Und nun dieser Fehlschuss, der seinem künftigen Manager zur Ehre gereicht hätte.

Dass auch Klaus Augenthaler, als vierter Bayern-Schütze, verschoss und der Shoot-out somit wieder offen war, ging in der späteren Berichterstattung Stück für Stück unter und schließlich in Vergessenheit.

Zu schön war die Story über den unglücklichen Fehlschützen, der seinem neuen Arbeitgeber wider Willen einen Titel "verschaffte". Dass Matthäus' Teamkollege Norbert Ringels mit seinem Fehlschuss mindestens genau so viel Anteil an der Finalniederlage der Fohlen hatte - geschenkt.

Statt sich am nächsten Baum zu erhängen, wie es sein "Namensvetter" Ischariot gut 1950 Jahre zuvor getan hatte, machte Matthäus in München da weiter, wo er am Niederrhein aufgehört hatte: er riss eine ganze Mannschaft mit.

Freilich zunächst nur auf nationaler Ebene, wo den Bayern spätestens ab der Saison 1984/85 kaum ein Rivale das Wasser reichen konnte. Werder Bremen war 1986 (wir erinnern uns an den Kutzop-Elfmeter!) noch am dichtesten dran.

Doch die Bayern liefen schon damals den großen Erfolgen im Europapokal hinterher. Seit 1976 hatten sie den Henkelpott nicht mehr nach München geholt. 1982, im Rotterdamer Kuip, standen sie letztmals im Finale - unterlagen dort aber dem Außenseiter Aston Villa.

Matthäus und die wichtigen Spiele

Mit Matthäus sollte nun alles besser werden. Und tatsächlich: im Mai 1987 bot sich den Münchenern erneut die Chance auf den vierten Titel im Landesmeister-Cup. Doch der FC Porto machte Trainer Lattek und seinem Team einen dicken Strich durch die Rechnung.

Damals einer Sensation gleichkommend, glichen die Portugiesen die frühe Bayern-Führung nicht nur aus - durch eines der berühmtesten Tore dieses Wettbewerbs -, sondern spielten in der Folge weiter unbeirrt auf Sieg. Den sie mit einem Tor von Juary, nur wenige Minuten nach Madjers Hackentrick, dann auch final eintüteten.

Udo Lattek zürnte hinterher wie selten zuvor - und kommentierte nur bitter, froh zu sein, fortan keine Verantwortung mehr für Spieler übernehmen zu müssen, die "nicht das bringen, was sie aufgrund ihres Leistungsvermögens bringen können".

Ohne seinen Namen zu nennen, wussten alle, wen Lattek damit meinte: Lothar Matthäus. Dem Trauma von Wien (auf Klub-Ebene) folgte ein gutes Jahr später die Enttäuschung bei der Heim-EM 1988. Im Halbfinale von Hamburg unterlag Deutschland den Niederlanden, trotz Matthäus-Elfmeter zur zwischenzeitlichen 1:0-Führung, mit 1:2.

Auch hier waren die Schuldigen schnell gefunden: das Hamburger Publikum, das das Team angeblich nicht ausreichend unterstützt hätte - und natürlich Lothar Matthäus, der wieder einmal in einem großen Spiel nicht zu sehen war.

Flucht ins Mailänder Exil

Von soviel aufgebürdeter Verantwortung zermürbt, "floh" Matthäus schließlich im Sommer desselben Jahres nach Mailand, wo Inter ihn mit offenen Armen empfing. Im Gepäck hatte er seinen Linksverteidiger-Kollegen Andi Brehme - ein Jahr später sollte auch noch Jürgen Klinsmann zum "Inter Teutonico" hinzustoßen.

Inter war für Matthäus wohl das Beste, was ihm damals passieren konnte. Die leidenschaftliche Liebe der Fans (zumindest solange der Erfolg sich einstellte), das Klima, das Essen, Land und Leute verzauberten den aus einfachen Verhältnissen stammenden Herzogenauracher.

1990 - das Jahr des Lothar Matthäus

In Mailand wurde Matthäus zur großen Marke im Weltfußball - und ohne Mailand hätte es den deutschen WM-Triumph 1990 wohl nie gegeben. Und das in einem doppelten Sinn. Denn beim Endturnier im Bel Paese absolvierte Deutschland nicht nur alle drei Gruppenspiele im San Siro, sondern auch das Achtelfinale (gegen Holland) und das Viertelfinale (gegen die CSFR).

Nur im Halbfinale gegen England (in Turin) und im Endspiel gegen Argentinien (in Rom) mussten die tedeschi sich an ein anderes Stadion gewöhnen.

Es wurde DIE WM des Lothar Matthäus. Schon beim Auftaktmatch gegen Jugoslawien spielt der Mittelfeldantreiber wie aufgedreht, erzielte zwei blitzsaubere Tore zum 4:1-Endstand. Jugoslawien galt vor dem Turnier als Geheimfavorit auf den Titel.

Nach vier berauschenden Wochen jenseits der Alpen proklamierte sich Deutschland am 8. Juli 1990 zum dritten Mal zum Fußball-Weltmeister. Lothar Matthäus hatte seinen Kampf mit dem Schicksal, mit den Kritikern und vielleicht auch mit sich selber endlich gewonnen.

Lothar Matthaeus, Pierre Littbarski
Lothar Matthäus und Pierre Littbarski mit dem WM-Pokal / STAFF/Getty Images

1990 markiert somit den Höhepunkt in Matthäus' Karriere. In diesem Jahr wurde er nicht nur Weltmeister, sondern auch individuell mit Preisen überhäuft: Europas Fußballer des Jahres, IFFHS-Weltfußballer, Europas Sportler des Jahres - alles in diesem Jahr.

Und weil man aufhören soll, wenn es am schönsten ist, ersparen wir uns einfach die folgenden Jahre. Die Jahre mit der Rückkehr zum FC Bayern, mit einem kuriosen Gastspiel in den USA, mit von nur bescheidenem Erfolg beschiedenen Ausflügen ins Trainer-Amt, mit mal mehr und mal weniger glücklichen Aussagen im großen medialen Fußball-Zirkus und mit periodisch aufpoppenden Gerüchten über ihn als Bundestrainer.

Am Sonntag, den 21.03.2021 wird "Lodda" nun stolze 60 Jahre alt. Und wir sagen: Herzlichen Glückwunsch.