Champions-League-Finale 2021: Tuchels Taktik sticht Guardiolas Experimentierfreudigkeit aus

Tuchel mit dem Henkelpott
Tuchel mit dem Henkelpott / Marc Atkins/Getty Images
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Im rein englischen Finale in der Champions League hat der FC Chelsea gegen Manchester City triumphiert. Das Team von Trainer Thomas Tuchel setzte sich verdient mit 1:0 durch. Auch im taktischen Duell musste Manchesters Trainer Pep Guardiola dem Deutschen den Vortritt lassen.


Seitdem Thomas Tuchel den FC Chelsea im Januar 2021 übernommen hat, konnte Manchester City nicht mehr gegen Chelsea gewinnen. Das Spiel am 17. April im FA Cup ging mit 1:0 an die Blues, in der Premier League am 8. Mai gelang Chelsea ein 2:1-Erfolg – die dritte Pleite der Citizens folgte beim Champions-League-Finale am Samstag in Porto und war die mit Abstand bitterste.

Chelsea blieb bei seiner 5-3-2-Grundordnung, mit der man die ganze Rückrunde Erfolg gehabt hatte. Lassen sich die Außenstürmer fallen, kann ein äußerst kompaktes 5-4-1 entstehen. Manchester City setzte auf ein 4-3-3 respektive 4-1-4-1, wobei die beiden Achterpositionen von Phil Foden und Bernardo Silva besetzt wurden. Zwei Spieler, die sich ein Stück weit offensiver wohler fühlen.

Weder Rodri noch Fernandinho

Überraschenderweise bot Guardiola im defensiven Mittelfeld weder Rodri noch Fernandinho auf. Beides starke Defensivsechser, Abräumer, die den Vorderleuten den Rücken freihalten und Stabilität geben. Rodri ist ein besserer Passgeber als der Brasilianer, aber im Grunde ähneln sich die beiden Profis. Guardiola sah allerdings diesmal keine Veranlassung, einen der beiden aufzustellen. In 53 Pflichtspielen der abgelaufenen Saison erhielt Rodri Einsatzzeit und in 46 davon durfte der Spanier von Beginn an ran. Fernandinho spielte weniger, stand allerdings im Champions-League-Halbfinalrückspiel gegen Paris Saint-Germain 90 Minuten auf dem Platz.

Stattdessen setzte der Spanier auf Ilkay Gündogan, der freilich mit der Position im defensiven Mittelfeld vertraut ist, aber in der abgelaufenen Saison in offensiverer Rolle geglänzt und 17 Pflichtspieltore erzielt hatte. Die andere Überraschung: Guardiola ließ die gelernten Stürmer Gabriel Jesus und Sergio Agüero auf der Bank, nominell war der offensive Mittelfeldspieler Kevin De Bruyne einzige Spitze. Ihn unterstützten auf der rechten Außenbahn Riyad Mahrez und auf der linken Raheem Sterling.

Chelsea schaffte es von Beginn an, das Pressing der Cityzens über ihre Außenverteidiger Ben Chilwell und Reece James zu überspielen. Chilwell und James standen sehr breit, insbesondere der im Vergleich zu James noch etwas offensiver agierende Chilwell war oft ungedeckt. Chelsea war sich nicht zu schade, den langen Ball auf Chilwell, James oder den offensiv halblinks positionierten Mason Mount zu spielen und kam insbesondere in der ersten Hälfte zu exzellenten Torchancen. Klappte der Diagonalball meist aus dem Defensivzentrum, schaltete Chelsea einen Gang hoch und spielte von außen kommend vertikal nach vorne. Timo Werner kam so bereits in der Anfangsviertelstunde zu drei hochkarätigen Tormöglichkeiten. Wenn Chelsea Tempo aufnahm, fehlte den Cityzens ein zweikampfstarker Akteur, der Spielzüge entschärft und notfalls ein taktische Foul begeht.

Das 1:0 in der 42. Minute fiel nach einem langen Ball von Torhüter Édouard Mendy auf Chilwell, der umgehend auf Mount weiterleitete. Werner zog mit seinem Laufweg seinen Gegenspieler Rúben Dias mit auf die linke Seite und öffnete so im Zentrum Raum für Kai Havertz. Mount bediente den in die Tiefe startenden Havertz mit einem tollen Pass in den Lauf. Der 21-Jährige legte den Ball am herauseilenden Ederson vorbei und vollendete ins leere Tor.

Chelseas erstklassige Raumaufteilung

Defensiv schaffte Chelsea das Kunststück, Kompaktheit im Zentrum herzustellen und trotzdem breit zu stehen. Der pfeilschnelle Timo Werner schaffte mit seiner Schnelligkeit Tiefe, was für die eigenen Offensivbemühungen Chelseas elementar war. Wieder einmal stellte Laufwunder N’Golo Kanté seine Klasse als Balleroberer unter Beweis. Thomas Tuchel hat nicht ohne Grund einmal gesagt, dass man mit Kanté "einen halben Mann mehr" auf dem Platz habe. Auch der deutsche Nationalspieler Antonio Rüdiger ließ defensiv nichts anbrennen.

Ohne gelernten Stürmer fehlte es den Cityzens an Präsenz und Kopfballstärke im Angriffszentrum. Manchesters Offensivspieler liefen sich immer wieder fest, eine klarere Rollenverteilung hätte ihnen an diesem Abend gutgetan. Erst nach einer Stunde brachte Guardiola Gabriel Jesus und kurze Zeit später Fernandinho, nach 75 Minuten wurde Agüero eingewechselt. Zwar fand City nun das ein oder andere Mal die Schnittstellen zwischen zwei Innenverteidigern oder einem Innenverteidiger und Außenverteidiger, allerdings konnten sie nicht genügend Durchschlagskraft entwickeln. Chelseas Torwart Mendy musste im ganzen Spiel nur einen Ball parieren. Der gebrauchte Tag von John Stones, die Ideenlosigkeit im Aufbauspiel sowie die verletzungsbedingte Auswechslung von Kevin De Bruyne steigerten ebenfalls nicht gerade das kollektive Selbstbewusstsein der Citizens.

Guardiolas Drang nach Veränderungen

Am Ende musste sich Pep Guardiola erneut kritische Fragen gefallen lassen. Überfordert der brillante Denker des Weltfußballs seine Spieler mit taktischen Experimenten, die sie unvorbereitet treffen? Warum rückte er mit seiner Aufstellung von Altbewährtem ab? Guardiola ist jedenfalls nicht nur das Resultat eines Fußballspiels wichtig, sondern eben auch die Art und Weise. Das Spiel seines Teams muss stilistisch hochwertig sein. Aber auch in ästhetischer Hinsicht konnte sich Manchester am Samstag von Chelsea nicht positiv abheben. Gleichwohl war Manchester City gegen Chelsea nicht chancenlos, speziell in den letzten 25 Minuten waren die Skyblues druckvoller. Sie hätten sich auch nicht beschweren können, wenn Chelsea zwei oder drei Tore erzielt hätte.

Mit Bayern München ist Guardiola in drei Jahren dreimal Meister geworden, in der hervorragend besetzten Premier League dreimal innerhalb von fünf Jahren. In den K.o.-Spielen der Champions League stößt Guardiola andererseits immer wieder an Grenzen. Es macht den Eindruck, in den entscheidenden Momenten komme ihm ein sich wiederholender Impuls, etwas um jeden Preis verändern zu müssen, um den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen. 2020 beim 1:3 gegen Olympique Lyon im Champions-League-Viertelfinale setzte Guardiola auf eine ungewohnte Dreierkette, ein Jahr zuvor scheiterte Manchester an Tottenham Hotspur ebenfalls im Viertelfinale. Guardiolas Entscheidung, Kevin De Bruyne im Hinspiel auf der Bank zu lassen, war damals merkwürdig und nicht von Erfolg gekrönt.

Motivator Tuchel

Tuchel dagegen hatte seiner Mannschaft einen cleveren und ziemlich widerstandsfähigen Plan mitgegeben, der auch nicht durcheinander gebracht wurde, als Abwehrchef Thiago Silva nach 39 Minuten verletzt ausgewechselt und durch Andreas Christensen ersetzt werden musste. Tuchel schien an diesem Abend sein Team allerdings nicht nur taktisch bestens vorbereitet zu haben, auch seine Motivationskünste wurden gewürdigt. "Tuchel hat in nur sechs Monaten alles verändert. Es ist unglaublich, was er mit der Mentalität der Mannschaft angestellt hat", schwärmte nach der Partie eben jener Thiago Silva, der Ende der ersten Halbzeit niedergeschlagen den Platz verließ und am Ende doch noch jubeln konnte.

Als Tuchel mit der Arbeit an der Stamford Bridge begann, lag Chelsea in der heimischen Liga noch auf Platz neun. Ein starker Schlussspurt bescherte den Blues Rang vier, in der Champions League schaltete man die iberischen Top-Teams Atletico Madrid, FC Porto und Real Madrid aus. Im vergangenen Jahr scheiterte der 47-Jährige noch mit Paris im Finale der Königsklasse am FC Bayern München. Im Dezember 2020 wurde Tuchel kurioserweise beim französischen Hauptstadtklub entlassen. Wie man wohl in Paris darüber denkt, dass Tuchel in kürzester Zeit seinen neuen Verein in die Erfolgsspur gebracht hat und nun den Titel gewonnen hat, auf den PSG seit Jahrzehnten wartet?


Ein Text von Nikolas Pfannenmüller.