Die perfide Entwicklung des kommerzialisierten Fußballs - ein Blick nach Australien

Keine Tradition, keine Fans: Macarthur FC wurde des Geldes wegen aus dem Boden gestampft
Keine Tradition, keine Fans: Macarthur FC wurde des Geldes wegen aus dem Boden gestampft / Ashley Feder/Getty Images
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Die Kommerzialisierung zerstört den Fußball - auch in Australien. 90min beschreibt die absurde Profit-Entwicklung der australischen A-League und spricht mit Perth Glory-Fan James über die Zukunft des Fußballs Down Under.


Utopische Summen, massive Spieltagszerstückelungen und eine bevorstehende WM in einem Land ohne jegliche Menschenrechte: Die Kommerzialisierung des Fußballs befindet sich weiter auf dem Vormarsch. Egozentrische Geldgier zerstört die Emotionen und Traditionen eines längst nicht mehr solidarischen Konstrukts namens Fußball.

Eine absurde Entwicklung, die keineswegs nur in Europa ihr Unwesen treibt. Ganz im Gegenteil: Am Persischen Golf, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten oder aber in China und Japan beziehen veraltete Spieler im absoluten Spätherbst ihrer Karriere irrwitzige Gehälter in einem von vorne bis hinten durchvermarkteten System. Selbst in Australien bleiben die Fans von der Kommerzialisierung des Fußballs nicht verschont.

Aber erst einmal auf Anfang: Dass es im Fußball einiges an Geld bedarf, ist klar. Das war schon immer so. Auch 2005, als man die australische A-League erstmals austrug und mit einer millionenschweren Marketingkampagne namens "Football, but not as you know it" ("Fußball, aber nicht wie du ihn kennst") versah.

Melbourne Victory ist der beliebteste Klub der A-League
Melbourne Victory zieht die meisten Australier in den Bann / Jonathan DiMaggio/Getty Images

Das Ziel der Kampagne war es, den Aussies den Fußball ein Stück näher zu bringen und ernsthafte Alternativen zu den beiden Nationalsports Australian Football, welcher als äußerst ruppig gilt, und Cricket zu schaffen. Die Leute waren begeistert, die A-League erfuhr einen Hype. 2008/09 besuchten durchschnittlich 14.610 Zuschauer die Stadien der damals acht teilnehmenden Teams.

Mittlerweile flacht die Kurve ab. Die Atmosphäre in einigen Stadien bleibt kühl - was auch daran liegt, dass zu viel Geld in die Liga gepumpt wird.

Fußball sei das "Ballett der Arbeiterklasse", konstatiert Simon Critchley in seinem Buch "Woran wir denken, wenn wir an Fußball denken". Fußball ist in seinem Ursprung sozialistisch und gemeinschaftlich. Die Australier würden vielleicht sagen "easy-going". Die Kommerzialisierung, die Korruption und der Kapitalismus der Fußballindustrie konterkarieren mit den einstigen Werten der schönsten Nebensache der Welt.

"El Plastico" Down Under

Wir haben uns erneut mit James unterhalten. Er kennt die A-League in- und auswendig und ist großer Fan des Perth Glory FC, dem neuen Klub von Ex-Bundesliga-Profi Sebastian Langkamp an der australischen Westküste.

Down Under wird derzeit die "Final Series" ausgetragen - eine Art Play-off-System für die Kür zum A-League-Meister. Im Halbfinale treffen am kommenden Samstag Sydney FC und Adelaide United sowie Melbourne City und Macarthur FC aufeinander.

Wird Melbourne City australischer Meister?
Melbourne City startet als Erstplatzierter in die Final Series / Quinn Rooney/Getty Images

Vor allem die zweite Paarung ist dabei gespickt mit Geld und in gewisser Weise der "El Plastico" des Landes. Melbourne City etwa gehört zu 80 Prozent der City Football Group um Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan, der auch Klubs wie Manchester City und New York City FC mit Unmengen an Geld versorgt. Macarthur FC auf der anderen Seite wird im Alleingang vom Hauptanteilseigner Lang Walker, einem australischen Milliardär sowie zwei weiteren lokalen Geschäftsmännern geführt.

Die Tradition des Klubs lässt sich dabei an einer Hand abzählen. Erst seit dieser Saison gehört das australische Fußball-Franchise aus Sydney der Liga an. Der Klub wurde entsprechend aus dem Boden gestampft, besitzt keine Jugendarbeit, keine Unmengen an Fans und vor allem keinerlei Tradition. Alle Spieler mussten zuvor verpflichtet werden. Selbiges gilt für Western United FC, dem Pendant aus Melbourne, das erst seit 2019 der Liga angehört.

Das große Geld stößt damit traditionelle Klubs wie etwa Gold Coast United, New Zealand Knights oder auch North Queensland Fury, die allesamt bereits erstklassig spielten, von der Bildfläche. Warum der Australische Fußballverband Teams wie Macarthur und Western United auch ohne Betrachtung des Geldes zuließ, weiß James:

"Melbourne City wurde in die Liga aufgenommen, weil es Leute in Melbourne gab, die eine zweite Mannschaft in Melbourne wollten, die mit Melbourne Victory konkurriert. Dass sie finanziell gut dastehen, ist für die Fairness der Liga nicht immer ideal. Macarthur und Western wurden aus ähnlichen Gründen eingesetzt: mehr Teams hinzufügen, um eine breitere Community zu erreichen. Die traditionellen Klubs vor ihnen (z.B. Cold Coast) hatten zwar Potenzial, aber letztendlich weder die notwendigen Skills noch die Finanzen, um sich von Jahr zu Jahr zu messen."


Kommerzialisierung der A-League - Experteninterview

90min: Welcher Klub trägt am meisten zur Kommerzialisierung der A-League bei?
James: Das ist definitiv Melbourne City. Die Anteilseigner haben einen Klub gekauft, der ins Wanken geriet und dessen Erfolg nun auf deren Finanzen basiert.

90min: Wie viele Fans haben die neuen Klubs Macarthur FC und Western United im Verhältnis zu anderen Vereinen? Woher kommen die Fans der beiden Klubs, wenn sie vor ihrer Einführung in die Liga gar nicht existierten?
James: Um es ganz klar zu sagen, nicht viele. Vor allem bei Western United gab es sehr schlechte Zuschauerzahlen. Gegen Newcastle am 26. April waren es im AAMI Park nur 990 Zuschauer (Kapazität ca. 30.000). Fans kommen zu diesen Klubs, wenn sie das Gefühl haben, dass die aktuellen Vereine in ihrer Nähe sie nicht vertreten oder einfach nur ein neues Team unterstützen möchten. Die meisten, wenn nicht alle Unterstützer von Macarthur und Western United stammen aus den Regionen des Klubs (Sydney und Melbourne).

Western United vs. Newcastle United Jets - A-League Australien
Western United und Newcastle spielten vor nicht einmal tausend Zuschauern / Quinn Rooney/Getty Images

90min: Wie wäre das Stimmungsbild der Liga, wenn Macarthur Meister werden würde?
James: Gar nicht mal so schlecht, um ehrlich zu sein. Natürlich würde es einige Fans ärgern, da sie noch neu sind, aber die große Mehrheit der Fans wünscht sich jeden außer Sydney FC als Meister.

90min: Warum ist das so? Nur weil Sydney als gemeinsamer Rekordmeister mit Melbourne Victory bereits vier Mal den Titel gewann? Kann man Sydney quasi mit Bayern München in Deutschland vergleichen?
James: Im Grunde ja. Viele Menschen in Australien hassen Sydney FC - zum Teil aus Neid auf ihren Erfolg, aber auch weil die Leute sie einfach nicht mögen.

90min: Glaubst du, dass sich auch Klubs wie Perth Glory in Zukunft finanziell besser aufstellen müssen, eventuell sogar mit Investoren, um konkurrenzfähig zu bleiben?
James: Glory steckt in finanziellen Schwierigkeiten, sollte aber in der Lage sein, den Kader für die nächste Saison in etwa zu behalten und hat somit gewiss eine Chance auf die Finals. Aufgrund von COVID und der finanziellen Schwierigkeiten muss der Erfolg aber womöglich ein wenig warten.

90min: Was hältst du von der Kommerzialisierung im Fußball - im Allgemeinen und speziell in der A-League?
James: Kommerzialisierung im Fußball, wo immer sie auch sein mag, passt mir überhaupt nicht. Ich würde die Idee verabscheuen, dass mein lokaler Verein, Perth Glory, oder ein anderer Verein, den ich unterstütze, die Saison mit dem Ziel angeht, ausschließlich den finanziellen Haushalt zu verbessern. Leider ist das in vielen Klubs auf der ganzen Welt der Fall, wobei Manchester United und seine Besitzer, die Familie Glazer, als Paradebeispiel gilt. Sie führen den Verein im Grunde nur aus finanziellen Gründen und nicht aus Erfolg auf dem Fußballplatz.


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