90min diskutiert: Ist Bayer Leverkusen gut genug für die Meisterschale?

Ist Leverkusen stark genug für den Kampf um die Meisterschale?
Ist Leverkusen stark genug für den Kampf um die Meisterschale? /
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Samstag, 19. Dezember 2020: Ein Blick auf die Bundesliga-Tabelle vor dem Jahresende. Der geneigte Fußballkenner reibt sich die Augen. Bayer 04 Leverkusen steht an der Spitze! Vor dem FC Bayern, vor RB Leipzig und auch vor Borussia Dortmund.

Die Werkself ist nach zwölf Spielen noch ungeschlagen, acht Siege und vier Remis hat die Bosz-Truppe auf dem Konto. Mit einem Zähler liegt Bayer vor der Konkurrenz aus München und Leipzig. Bis auf Borussia Mönchengladbach - in den letzten beiden Jahren der Hauptkonkurrent um einen Platz in der Champions League - sind es vor Spieltag 13 schon satte zehn Zähler Vorsprung.

Ist es an der Zeit, größer zu denken? Heißt, in Titel? Eine knifflige Frage, die auch von der Vereinshistorie beeinflusst wird. Schließlich kommt der Name 'Vize-Kusen' nicht von ungefähr. Kann Leverkusen dem eigenen Schicksal entrinnen und diese Saison nicht nur um die Schale mitspielen, sondern sie sogar gewinnen?

"Natürlich nicht", schreien jetzt bestimmt viele. "Vielleicht ja doch", könnten einige entgegnen. Wir diskutieren, wie groß die Chancen sind - noch vor dem Topspiel gegen die Bayern am Samstagabend (18.30 Uhr):


Warum Leverkusen Meister werden kann

"Bayer Leverkusen hat das Zeug in den Titelkampf einzugreifen."

Simon Zimmermann, 90min-Redaktion

Ist Bayer Leverkusen 20/21 ein veritabler Meisterkandidat? Nach zwölf Spieltagen kann man durchaus sagen, ja! Nach einem etwas holprigen Start ist die Bayer-Truppe von Peter Bosz ein Muster an Konstanz. Keine Pleite, 27 eigene Tore und nur zehn Gegentreffer - die nackten Zahlen sprechen für Bayer 04.

Wer hätte das gedacht, nach den Abgängen von Havertz und Volland und der eher mageren Reaktion auf dem Transfermarkt? Ich jedenfalls nicht! Doch es gibt einige Faktoren, die für Bayer als Meisteranwärter sprechen:

Leverkusen agiert viel ausgewogener

Die Mannschaft wirkt deutlich homogener, hat eine bessere Balance zwischen Offensive und Defensive gefunden. Nur zehn Gegentore in zwölf Spielen sind der Ausdruck dafür, dass die gesamte Mannschaft mehr Wert auf das Verteidigen legt, konzentrierter agiert. Und damit macht die talentierte Truppe schonmal einen gewaltigen Qualitätssprung

Die Einzelspieler

Die individuelle Qualität im Kader ist hoch, auch wenn man auf den ersten Blick gegenüber dem Vorjahr eingebüßt hat. Doch ein Edmond Tapsoba gehört zu den größten Abwehr-Talenten Europas und wird immer besser. Julian Baumgartlinger fliegt immer ein wenig unter dem Radar, spielt aber eine formidable Runde und ist der Anker im Bayer-Spiel. Vorne ist Leon Bailey wieder da, Moussa Diaby ist ohnehin eine Rakete und mit Schick und Alario hat man zwei treffsichere Mittelstürmer (Grüße nach Dortmund).

Der Trainer

Auch Peter Bosz wirkt deutlich gereift. Seine ruhige, souveräne Art überträgt sich auf die Mannschaft. Er hat es geschafft, mehr Balance herzustellen. Ein Faktor, der sich am Ende positiv ausgewirkt hat: Der Abgang von Havertz. Bosz betonte selbst, dass er ohne Havertz weniger Chancen kreiert und deshalb mehr Wert auf die Defensive legen muss. Die Auswirkung: Vorne besitzt Bayer weiterhin genug Feuerkraft, hinten ist man stabiler.

Die Konkurrenz

In diesem besonderen Geisterspiel-Jahr unter der extremen Belastung ist auch die schwächelnde Konkurrenz ein Faktor. Selbst der FC Bayern marschiert nicht mehr locker leicht durch die Liga. Und so kann Bayer 04 von dem ein oder anderen Ausrutscher profitieren. Man selbst zeigte sich zuletzt gegen die vermeintlich Kleinen souverän.

Fazit: Leverkusen kann sich dieses Jahr - mal wieder - nur selbst im Weg stehen. Schafft man es konstant gegen die schwächeren Teams zu gewinnen und hält man am deutlich reiferen Spiel fest, kann es bis ganz nach oben gehen. Ob es wirklich für die Schale reicht - derzeit noch kaum zu prognostizieren. Für einen Meisterschaftskampf mit den Bayern und Leipzig reicht es allemal!


Warum Leverkusen kein Meister-Kandidat ist

"Die Werkself ist (noch) nicht bereit für den Titelkampf."

Jan Kupitz, 90min-Redaktion

Zugegeben: Die Werkself spielt bis hierhin eine Saison, für die sie das Prädikat "Spitzenteam" verdient hat. Trotz des engen Terminkalenders gestaltet Bayer 04 die meisten Spiele extrem souverän und hat auch die Europa-League-Gruppenphase bravourös gemeistert. Die Defensive steht, vorne trifft zurzeit immer irgendjemand - was also soll dagegen sprechen, dass die Leverkusener nicht bis zum Schluss um den Titel spielen?

Nun, ein paar Sachen lassen mich daran zweifeln, dass der Bayer den aktuellen Höhenflug so ohne Weiteres fortsetzen kann.

Der Kader ist gut - aber andere sind besser

Trotz der Abgänge von Havertz und Volland haben Rudi Völler und Simon Rolfes einen Kader auf die Beine gestellt, der sich definitiv sehen lassen kann. Auf jeder Position tummeln sich Nationalspieler oder Toptalente, Peter Bosz kann sich über mangelnde Auswahl nicht beschweren. Und trotzdem: Im Vergleich mit Bayern, Leipzig oder Dortmund verfügen die Rheinländer weder in der Spitze noch in der Breite über einen vergleichbaren Kader, so ehrlich muss man sein. Für die Zukunft hat Bayer 04 eine tolle Basis geschaffen, doch ernsthafte Konkurrenz für die großen Drei ist Leverkusen mit diesem Kader noch nicht.

Die young guns zaubern, doch wie lange?

Die Leverkusener haben in dieser Saison einige junge Überflieger, die für Furore sorgen. Flo Wirtz, Nadiem Amiri, Edmond Tapsoba und Moussa Diaby sorgen mit berauschenden Leistungen für den Höhenflug - doch wie das bei jungen Spielern so ist: Früher oder später werden auch sie während einer Saison mal in ein Loch fallen. Wer begeistert dann? Leon Bailey war in der vergangenen Saison das beste Beispiel dafür, wie enttäuschend und hinderlich so eine Formkrise sein kann.

Die schweren Spiele kommen noch

28 Punkte aus zwölf Spielen, dazu noch keine Niederlage - die Bilanz der Werkself ist aller Ehren wert. Doch von diesen zwölf Partien war mit RB Leipzig eben auch erst ein direkter Konkurrent dabei, die schweren Duelle gegen Bayern, Dortmund und Überraschungsteam Union Berlin (und somit drei der Top-6) stehen dagegen noch aus. Und auch gegen die unangenehme Eintracht, die bislang erst zwei Niederlagen auf dem Konto stehen hat, hat Leverkusen noch lange nicht gewonnen.

Leverkusen ist nunmal Leverkusen

Der Name Vizekusen kommt nicht von ungefähr. Immer, wenn es was zu gewinnen gibt, versagen der Werkself die Nerven - wie erst jüngst im Pokalfinale gegen den FC Bayern zu sehen, als man sich trotz einer guten Leistungen und aussichtsreichen Chancen mal wieder selbst ein Bein stellte und die Partie mit 2:4 verlor. Oder als Gladbach im Saisonendspurt noch an ihnen vorbeizog und die Champions League klar machte. Es klingt so abgedroschen und die Bayer-Fans können es vermutlich nicht mehr hören: Aber die Rheinländer sind einfach nicht für die ganz großen Showdowns gemacht.