Hertha BSC am Scheideweg: Zwischen Löwen und Bullen

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Mit Hilfe von Investorengeldern schlug Hertha BSC in Form von Michael Preetz in der diesjährigen Winter-Transferperiode ordentlich zu. Für rund 50 Millionen Euro ​verpflichtete man Lucas Tousart und ​holte Krzysztof Piatek in die Hauptstadt. Zudem wird sich der Brasilianer ​Matheus Cunha für 15 Millionen Euro der Mannschaft von Trainer Jürgen Klinsmann anschließen. Nachdem zuvor erheblich klingendere Namen auf der Liste der möglichen Zugänge kursierten (u.a. Granit Xhaka und Julian Draxler), zahlt der sich selbst auf dem Weg zum "Big City Club" sehende diesjährige Abstiegskandidat eine enorme Summe für zwei eher unbekannte und einen in Leipzig gescheiterten Spieler. Wie hoch ist das Risiko?

Im letzten Jahrzehnt war fast jede europäische Hauptstadt jährlich mit jeweils mindestens einem Verein in der Champions- oder Europa League vertreten, von Sofia über Rom, von Madrid nach Budapest. Auch Berlin stellte eine Mannschaft in der Europa League, einmal. In der Saison 2017/18 wurde die Hertha nach Abschluss der Vorrunde Tabellenletzter und schied noch vor Jahreswechsel aus dem internationalen Geschäft aus. Dabei wollen die Macher um Michael Preetz doch genau das, jährliches internationales Geschäft, am besten Champions League. 

Nach der ebenso stabilen wie grauen Phase unter Ex-Trainer Pal Dardai, der die Hertha nach der erwähnten Europapokalteilnahme auf Platz 10 und in der folgenden Saison auf Platz 11 führte, scheiterte das Experiment mit Trainerdebütant Ante Covic und man holte zum ganz großen Wurf aus. Der ehemalige Weltklassestürmer, Bundestrainer und Wahlamerikaner Jürgen Klinsmann, kurz nach seiner Berufung in den Aufsichtsrat der Hertha als Nachfolger von Covic vorgestellt, soll nicht nur die sportlich verkorkste Hinrunde korrigieren, sondern auch und vor allem eines: dem Hauptstadtklub zu neuem Glanz verhelfen. 

Hertha BSC: 1860 als Warnung, Leipzig als Vorbild

Sich für die Personalie Klinsmann besonders stark gemacht hat sich Investor Lars Windhorst, der kolportierte 125 Millionen Euro in den Verein steckte und kürzlich seine Anteile an der Hertha mit weiteren 100 Millionen Euro auf 49,9 Prozent erhöhte. Eine prall gefüllte Brieftasche, ein Trainer mit Strahlkraft, sowie eine ausgezeichnete Infrastruktur vor Ort deuten auf einen direkten Weg zur erträumten europäischen Spitze hin. Andererseits erinnert dieses Szenario in vielen Bereichen auch sehr stark an den rasanten Fall des TSV 1860 München. Übertriebene Ambitionen, ein Investor ohne fussballspezifischen Hintergrund mit großen Anteilen am Verein, die Verpflichtung und die Gehälter von überteuerten Spielern, die sportliche Talfahrt, die Stadionproblematik, ein (zumindest momentan) ''angesagterer'' Stadtrivale und ein bei der Basis alles andere als unumstrittenes Management kommen einem da allzu bekannt vor.

Der Absturz der ''Löwen'' in die Niederungen des deutschen Fussballs sollte für Hertha BSC sicherlich ein warnendes Beispiel sein und es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen aus ihren Fehlern wie z.B. des hektischen Austauschs der Einlaufhymne letzte Saison oder der Ernennung Covics gelernt haben. Die Frage ist, ob die großen Investitionen nachhaltig sind oder abermals als Aktionismus enden. Dass Geld auch Tore schießen kann, zeigt der über Jahre stetig verfolgte Weg bei​ RB Leipzig, auch wenn der Berliner Fan sich mit deren Konzept ungern in Verbindung gebracht sieht. Wenn man die Wahl hat, ob man sich lieber wie ''Löwen'' oder wie ''Bullen'' entwickelt, dürfte die Antwort auf der Hand liegen. Ob diese Analogie zu den Leipzigern aber auch im Bezug auf die Transfers von Piatek, Cunha und Tousart greift, erscheint eher zweifelhaft. Ein wichtiger Faktor ist die Zeit, die teuren Einkäufe der Hertha wirken allerdings wie der zwanghafte Versuch der sofortigen Transformation hin zum Europapokalkandidaten. 

Doch eine solche Wandlung lässt sich nicht kurzfristig herbeizaubern, darüber war sich das Umfeld bereits zum Amtsantritt von Michael Preetz im Klaren. Langsam wird es eng für den Manager, der seit seiner Berufung als Nachfolger von Dieter Hoeneß vor einem Jahrzehnt großen Worten wenig Vorzeigbares hat folgen lassen. Die Berliner Basis hat einen guten Riecher für die Bedürfnisse ihrer alten Dame. Nicht wenige erkennen in der Personalie Klinsmann und den Ausgaben dieses Winters eher weitere Motivationspflaster, denn einen kontinuierlich verfolgten Plan. Die weitere Rückrunde der Hertha wird zeigen, ob es sich dabei um den typischen berliner Skeptizismus handelt oder die gerade erst versprühte Hoffnung auf glanzvolle Zeiten tatsächlich in der üblichen Tristesse endet.