Warum der BVB einen Stürmer braucht - aber keinen verpflichtet
Von Florian Bajus
Es ist eine komplizierte Diskussion, die Borussia Dortmund schon länger begleitet. Neben Stammspieler Paco Alcácer, der aktuell wieder einmal verletzt ausfällt, besitzen die Schwarz-Gelben keinen gelernten Mittelstürmer. Die gegenwärtigen Probleme hängen auch mit dieser Lücke innerhalb des Kaders zusammen. Beide Seiten der Medaillen erläutern, warum eigentlich ein Ersatz für Alcácer benötigt wird, man aber dennoch davon absieht.
Ein klassischer Mittelstürmer ist heutzutage kein Spieler mehr, der im technischen Bereich limitiert, im Abschluss aber umso effizienter ist. Auch eher große, stämmige Angreifer sind fußballerisch besser ausgebildet als noch vor einigen Jahren und werden auch taktisch klüger eingesetzt, indem sie beispielsweise ins Mittelfeld fallen und Räume kreieren wie Wout Weghorst vom VfL Wolfsburg, auf die Flügel ausweichen wie Alassane Plea und Marcus Thuram bei Borussia Mönchengladbach oder als Zielspieler für lange Bälle Angriffe einleiten wie Sebastien Haller in der vergangenen Saison bei Eintracht Frankfurt.
Auch Dortmund würde von solch einem Spielertypen profitieren, das wurde allen voran bei der 0:2-Niederlage in der Champions League gegen Inter Mailand deutlich. Die Nerazzurri zogen sich nach dem Führungstor von Lautaro Martinez in der 22. Minute tief in die eigene Hälfte zurück, formierten sich in einer 5-3 Staffelung um den Strafraum herum und stellten den BVB vor massive Probleme.
Julian Brandt spielte an diesem Abend bis zur Einwechslung von Jacob Bruun Larsen in der 74. Minute in der Sturmspitze, wirkte dort aber wie ein Fremdkörper. Der Nationalspieler war kaum am Spiel beteiligt, ließ jegliche Körpersprache vermissen und verlor den Ball all zu rasch. "Klar, wir haben natürlich keinen nominellen Stürmer momentan zur Verfügung", konstatierte Sportdirektor Michael Zorc in der Mixed-Zone (via kicker), "dann haben wir uns schwer getan, Chancen zu erspielen." Es fehlt ein robuster Spieler, der sich gegen die Virgil van Dijks, Sergio Ramos' oder Leonardo Bonuccis dieser Welt behaupten und Bälle festmachen kann.
An Alcácer führt kein Weg vorbei
Das Hauptproblem - im positiven Sinne - ist Paco Alcácer. Der 1,75 Meter große Spanier, nach einem äußerst erfolgreichen Jahr auf Leihbasis für 21 Millionen Euro vom FC Barcelona verpflichtet, besitzt die Effizienz eines typischen Stürmers und ist gleichzeitig auch spielerisch wie technisch ein Hochkaräter. In erst 41 Pflichtspielen für den BVB gelangen Alcácer bereits 26 Tore, seine Leistungswerte aus dem ersten Saisondrittel klingen erneut überzeugend: In sechs Bundesliga-Einsätzen war der 26-Jährige fünfmal zur Stelle und benötigte pro Tor durchschnittlich nur 88 Minuten (transfermarkt.de).
Trotz der körperlichen Defizite von Alcácer kann es sich kein Trainer der Welt bei dieser herausragenden Quote erlauben, einen anderen Spieler vorzuziehen. Gleichwohl benötigt der BVB aufgrund der Verletzungsanfälligkeit seines Torjägers, der aufgrund einer Achillessehnenreizung seit Ende September kein Spiel mehr absolviert hat, einen Ersatz. Denn wenn Alcácer fehlt - das zeigte nicht nur das Spiel in Mailand auf - entstehen Probleme.
Knipser mit großer Verletzungsanfälligkeit: Paco Alcácer fällt regelmäßig aus.
Mario Götze, Marco Reus, Jacob Bruun Larsen und Thorgan Hazard können den dann freien Posten besetzen, abgesehen von Götze gelingt den Alternativen diese Aufgabe aber mehr schlecht als recht. Die Antwort, wieso Götze, der sich vor einem Jahr den Platz in der Spitze noch in Schichtarbeit mit Alcácer teilte, erst 268 Einsatzminuten erhielt, kann allerdings nur Lucien Favre beantworten.
Spätestens ab dieser Saison gilt: Solange Alcácer fit ist, kommt niemand an ihm vorbei. Das ist auch ein wichtiges Argument in der Streitfrage, ob der Klub einen weiteren Mittelstürmer benötigt oder nicht. Dieser wäre nämlich überwiegend Ersatz, würde zumeist wohl nur in der Schlussphase zum Einsatz kommen. Der häufig gehandelte Mario Mandzukic würde sich mit dieser Rolle beispielsweise kaum zufriedengeben, gleiches gilt für durchaus reizvolle Kandidaten wie Wout Weghorst.
Zwei Alternativen für die Zukunft
Deshalb lehnte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke Neuverpflichtungen im Angriff bereits im Mai dieses Jahres ab. Und mit Eigengewächs Youssoufa Moukoko und Alexander Isak, der nach seinem 6,5 Millionen Euro teuren Transfer zu Real Sociedad San Sebastian per Rückkaufklausel nach Dortmund zurückkehren kann, gibt es bereits zwei potenzielle Stürmer für die Zukunft. Beide müssen jedoch reifen, Moukoko wird am 20. November gerade einmal 15 Jahre alt und Isak kommt auch in Spanien nicht über die Rolle des Jokers hinaus.
Borussia Dortmund fehlt für die Zwischenzeit ein Ass im Ärmel. Das haben die Verantwortlichen registriert, unwohl fühlen sie sich damit aber keinesfalls. Im derzeitigen Konstrukt ist kein Platz für einen Mittelstürmer, das Problem wird den Klub auch über die nächsten Jahre begleiten.