Ein ganzer Verein auf dem Prüfstand - Quo vadis, BVB?

Top- oder Krisenklub? Beim BVB gehen die Meinungen dazu fast wöchentlich neu auseinander.
BVB-Coach Niko Kovac
BVB-Coach Niko Kovac / INA FASSBENDER/GettyImages
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Eine vollends aussagekräftige Einschätzung zu Borussia Dortmund am Ende des Jahres 2025 fällt ehrlich gesagt schwer. Der Grund dafür hauptsächlich ist ein Wechselbad der Gefühle, wenn man das Jahr Revue passieren lässt und neben den offensichtlichen Hochs und Tiefs auch auf die Nuancen zwischen den eindeutigen Stimmungsausschlägen achtet. Ist der BVB wirklich schon wieder eine Top-Mannschaft oder steht das Dortmunder Konstrukt auf wackeligen Beinen?

Nach dem Sahin-Aus ging es erstmal steil bergauf

Im Vergleich zum Jahresende 2024 ist die Grundstimmung in Dortmund aus sportlicher Sicht aktuell vermutlich etwas freundlicher – wenn auch möglicherweise trügerisch.

Zwar überwinterten die Borussen damals noch unter Cheftrainer Nuri Sahin auf dem 6. Tabellenplatz der Bundesliga, doch vollends überzeugend spielte der BVB bei weitem nicht. Ganz im Gegenteil. Der Unmut der Fans nahm zu und letztlich blieben bis hin zur vermutlich unumgänglichen Entlassung von Sahin auch die sportlichen Ergebnisse aus.

Nach einer enttäuschenden Pleitenserie endete die Amtszeit von Nuri Sahin als Cheftrainer des BVB vorzeitig
Nach einer enttäuschenden Pleitenserie endete die Amtszeit von Nuri Sahin als Cheftrainer des BVB vorzeitig / DeFodi Images/GettyImages

Die ersten vier Pflichtspiele der Dortmunder im Jahr 2025 waren zugleich die letzten vier von Sahin als Cheftrainer für seinen Herzensklub. Nach vier Niederlagen in Folge wurde der ehemalige Mittelfeldstar entlassen. Wenig später folgte Niko Kovac und sorgte für ein mehr oder weniger lang anhaltendes Zwischenhoch, das über viele Baustellen hinwegtäuschte.

Kovac-Aufschwung nur Kosmetik?

Unter dem gebürtigen Berliner war der BVB von Mitte April dieses Jahres bis zum 18. Oktober und der Pleite gegen den FC Bayern in 16 Pflichtspielen (die Klub-WM ausgeklammert) unbesiegt und holte in diesem Zeitraum 16 Siege, darunter auch gegen den FC Barcelona in der Champions-League-Saison 2024/25. Der BVB liegt unter Kovac und vor dem 15. Spieltag der Spielzeit 2025/26 auf einem guten 3. Tabellenplatz und nur aufgrund des derzeit um ein Tor schlechteren Torverhältnisses befinden sich die Borussen hinter dem Zweitplatzierten RB Leipzig - teilen sich also sozusagen die Rolle des Bayern-Jägers Nummer eins im Land.

Aus ergebnistechnischer Sicht also alles in Butter beim BVB, oder? Wie bereits erwähnt, liegt die Wahrheit aber womöglich in den schwarzgelben Zwischentönen und Nebengeräuschen.

Unabhängig von den Ergebnissen muss man sich um den BVB aber vermutlich schon etwas Sorgen machen. Das führt letztlich auch dazu, dass auch Niko Kovac jetzt in den Fokus rückt.

In Dortmund gibt es zu viel Theater

Nach nur drei Siegen in den letzten neun Pflichtspielen und teils fahrlässig verschenkten Punkten wird der Wind rund um den Signal Iduna Park zunehmend rauer – auch für den Dortmunder Trainer. Die Häufung von sportlichen Ausrutschern ruft wie fast jedes Jahr die große Mentalitätsfrage auf. Doch ist damit bereits genug infrage gestellt oder muss man sogar die Charakter- und Qualitätsfrage in den Raum werfen?

Streitereien innerhalb der Mannschaft wurden beispielsweise im September gegen Juventus Turin mitten auf dem Platz ausgetragen, als sich Guirassy und Bensebaini uneins darüber waren, wer von beiden den Elfmeter schießen dürfe, obwohl zuvor eine klare Rangfolge ausgegeben wurde.

Zuletzt gab es auch noch scharfe und alarmierende Worte der Kritik von Abwehrboss Nico Schlotterbeck, der gewissermaßen die komplette Dortmunder Bank rasierte. Hinzu kommen Vertragsquerelen und Unsicherheiten bezüglich der Zukunft teils abwanderungswilliger Starspieler, teuer eingemottete Bankdrücker die ihrem Mega-Gehalt in keinster Weise gerecht werden können sowie vermeintliche Leistungsverweigerer und Spielern auf sportlicher Durchreise.

Unnötige Querelen stören den BVB-Frieden
Unnötige Querelen stören den BVB-Frieden / Sebastian El-Saqqa - firo sportphoto/GettyImages

Als wäre das nicht schon genug gesellen sich auch noch aufsehenerregende Unnötigkeiten wie zur Schau gestellte Handschlagverweigerungen, eigentlich vielversprechende Youngster, die kaum eine Rolle spielen, gepaart mit Lust- und Disziplinlosigkeiten, die zu leeren Kaderplätzen führten, obwohl Personalbedarf vorhanden wäre – und zu guter Letzt auch noch die Zweifel an der eigenen Führungsspitze um Lars Ricken und Sebastian Kehl in diese illustre Runde von Störgeräuschen. Ja, lecko Mio – beim BVB ist schon ganz schön was geboten!

Wer hat beim BVB die Hosen an?

Die Fragen, die einem dabei in den Kopf kommen, sind unter anderem die bereits genannten Mentalitäts- und Charakterfragen, aber auch, ob man ein solch vielschichtiges Theater nicht längst hätte vermeiden oder zumindest an irgendeinem Punkt unterbinden können bzw. müssen. Gerade in der Personalie Serhou Guirassy hat Niko Kovac in der Öffentlichkeit mehr als einmal ein Auge zugedrückt und bei seinem vermeintlichen Star-Stürmer den Kuschelkurs gefahren. Dass dies ein Spiel mit dem Feuer ist, war absehbar. Damit wurde der Spielraum für eigenwillige Ausschweifer für alle Spieler immer größer und es scheint beinahe so als mache nun einfach jeder was er wolle.

Während ein großer Teil der BVB-Spieler damit beschäftigt zu sein scheint, dem Namen auf dem Rücken mehr Bedeutung zu verleihen, haben viele anscheinend vergessen, dass es in erster Linie um das runde Logo auf der Brust gehen sollte. Nach Monaten der ungestraft anmutenden Spielereien wirkt die schlechte Stimmung in Dortmund nun hausgemacht. Aber wer und wie soll man das nun wieder auslöffeln? Und vor allem: Wo ist der starke Mann im Verein, der diesem wilden Treiben Leitplanken und Schlusspunkte setzt? Warum gibt es hier nicht viel häufiger klare Machtwörter, oder hat in Dortmund niemand mehr die Hosen an?

Wie will man in Dortmund Herr der Lage werden?

Es stellt sich die Frage, ob der BVB, wenn er sich weiterhin in diese Entwicklung begibt, erneut einen Coach verbrennt, dann einen neuen Mann auf dem Trainerstuhl benötigt, um den zum Teil als Sauhaufen verschrienen Kader wieder für gewisse zeit in den Griff zu bekommen, oder ob man eben doch auch mal bei denen ansetzen muss, die den Kader zu verantworten haben.

Die Frage, ob dieser Kader im Sinne des Vereins besetzt wurde und aus Spielern besteht, die ihr letztes Hemd für den Ballsportverein Borussia Dortmund lassen würden, schwebt schließlich im Raum - in erster Linie wohl bei den Fans.

Damit stehen jedoch nicht nur die Führungsetage und die sportliche Entwicklung in den Händen des Trainerteams, sondern in erster Linie auch jeder einzelne Spieler auf dem Prüfstand. Zu allem Übel macht es der verhasste Nachbar aus Gelsenkirchen aktuell auch noch mustergültig vor, was man mit mannschaftlicher Geschlossenheit und großer Identifikation für den Klub, der einem das tägliche Brot finanziert, erreichen und innerhalb der eigenen Fangemeinde entfachen kann.

Der BVB muss auf den Prüfstand

Alle, die an der Kaderzusammenstellung beteiligt waren, müssen hinterfragt werden. Sie müssen sich aber auch selbst fragen, ob dieser Kader im Sinne des Vereins und an einer Leitschnur essenzieller Werte des Klubs aufgestellt wurde. Wurden neben den sportlichen Attributen auch die Charakterzüge durchleuchtet, von denen man glaubt, dass sie das verkörpern, wofür der Verein stehen möchte? War die Analyse, welche Gesichter den BVB nach Außen tragen sollen, tief genug?

Ebenso muss sich der Trainer fragen, ob er bei all der Nächstenliebe für Starspieler nicht doch irgendwo auf dem bisherigen Weg die Zügel aus der Hand gegeben hat und nun nicht weiß, wie er sie nun wieder in die Hand bekommt. Und: Warum musste es soweit kommen? Nun kommt auch noch die unterschwellige Kritik aus dem Inneren des Klubs nach und nach durch.

Und schließlich sind da noch die Spieler, die sich womöglich fragen müssen, ob sie wirklich verstanden haben, für welchen Verein sie da auflaufen und in welche prekäre Lage sie diesen mit unüberlegten oder egoistischen Spielereien bringen können.

Quo vadis, BVB?
Quo vadis, BVB? / Hendrik Deckers/GettyImages

Es gibt viele Vereine mit weniger bedeutender Tradition und dementsprechend weniger großen Verpflichtungen, zu denen man wechseln kann. Doch bei manchen Vereinen ist es eben ganz offensichtlich, dass niemand größer ist als der Verein und seine Geschichte. Dazu gehört auch der BVB. Wer das nicht versteht oder nicht verstehen will, dem sollte man keinen Stein in den Weg legen.

Der BVB ist zwar noch immer groß, präsentiert sich aber nicht wie ein Top-Verein

Bis der BVB wieder ein sattelfester und wirklich ernstzunehmender Top-Verein ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Darüber können auch sportliche Hochphasen wie im Jahr 2025 nicht mehr hinwegtäuschen.

Momentan wirkt die Lage teils beinahe so brenzlig, dass man befürchten muss, der BVB könnte im Gegensatz zur Vorsaison nun hinten raus alles verspielen und auf lange Sicht nicht zur Ruhe kommen. Wenn man endlich wieder den Glanz alter Tage erreichen möchte, reicht es eben einfach nicht mehr, immer wieder nur frischen Putz auf morsche Balken zu streichen. Dafür ist Fußball auf diesem Niveau letzten Endes einfach zu gnadenlos ehrlich.

Also: Quo vadis, BVB? Wohin gehst du?


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