Dortmunds Umgang mit Guirassy: Ein Ritt auf der Rasierklinge
Von Oliver Helbig

Borussia Dortmund hat sich am Dienstagabend in der Champions League einen packenden Fight gegen Juventus Turin geliefert. Beim Acht-Tore-Spektakel gegen den italienischen Rekordmeister hätte der BVB durchaus gute Karten gehabt, einen eindrucksvollen Sieg einzufahren, verlor am Ende aber unglücklich zwei Punkte und musste sich mit einem 4:4-Unentschieden zufriedengeben.
Eigentlich wäre dieses Spiel ein Anlass, überschwänglich über viele tolle Fußballmomente zu sprechen, doch leider verleiht der Elfmeter-Streit zwischen Serhou Guirassy und Ramy Bensebaini diesem Abend in der Königsklasse auch am Tag danach einen durchaus bitteren und unnötigen Beigeschmack.
Kovac-Vorgabe war klar - Guirassy versuchte, sich darüber hinwegzusetzen
Wie mittlerweile bekannt ist, gab es im Vorfeld der Partie eine klare und eindeutige Anweisung, wer im Falle eines Strafstoßes für den BVB antreten darf. Laut BVB-Coach Niko Kovac war Ramy Bensebaini der festgelegte Strafstoß-Schütze, doch Serhou Guirassy, nach dessen Torschuss es letztendlich Handelfmeter für die Borussen gab, sah das offenbar in der Situation selbst ganz anders. Guirassy schnappte sich die Kugel und wollte selbst schießen.
Nach Diskussionen mit den Mitspielern Julian Brandt und Karim Adeyemi sowie dem eigentlich vereinbarten Schützen Bensebaini gab der Torjäger aus Guinea nach und überließ seinem Mitspieler den Ball. Dieser verwandelte sicher zum zwischenzeitlichen 4:2 für den BVB. Nach Abpfiff der Begegnung nahmen sowohl Trainer Kovac als auch Sportdirektor Sebastian Kehl den Angreifer in Schutz. Es klang nicht so, als würde die kleine Entgleisung des Torjägers Konsequenzen nach sich ziehen. Genau hier stellt sich die Frage, ob der BVB seinen Starspieler zu sehr mit Samthandschuhen anfässt und damit einen gefährlichen Ritt auf der Rasierklinge betreibt.
Angst vor Abgang? BVB darf Guirassy-Zügel nicht zu locker halten
Grundsätzlich ist es nicht verwerflich, dass Guirassy in einer Situation wie dieser Verantwortung übernehmen will und sich zutraut, einen Strafstoß gegen einen derart großen Gegner in der Königsklasse zu schießen – auch nach zuletzt erfolgten Misserfolgen wie gegen St. Pauli. Fakt bleibt jedoch, dass es in dieser Hinsicht eine zuvor für alle klar kommunizierte Reihenfolge für die Ausführung eines Elfmeters gab, an die sich auch der Torjäger halten muss. Ein Hinwegsetzen über diese Regelung darf vom Verein keinesfalls geduldet oder einfach nur zur Kenntnis genommen werden.
Dass Guirassy ein absoluter Leistungsträger bei den Dortmundern ist, ist unbestritten – das belegen 43 erzielte Treffer in bislang 55 Pflichtspielen im BVB-Trikot. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten bei anderen Klubs, die auf die Idee kommen könnten, Guirassy aus Dortmund loszueisen. Somit werden in Dortmund auch gewissermaßen Verlustängste geschürt, den Knipser verlieren zu können was womöglich dazu führen könnte, gerade bei ihm ein Auge mehr zuzudrücken als vielleicht bei anderen. Das liegt auch daran, dass man natürlich von Guirassys Trefferquote abhängig ist. Trainer Kovac bezeichnet ihn nicht umsonst regelmäßig als Lebensversicherung.
Doch genau hier liegt die große Schwierigkeit im Umgang mit Fehltritten wie dem gestrigen.
Guirassy darf nicht größer als der Klub werden
Guirassy hat einen nicht allzu großen Fehler begangen, und in solchen Situationen kann man durchaus auch mal ein Auge zudrücken. Dennoch war es ein Fehlverhalten und das Brechen einer kommunizierten Regelung. Die Offiziellen des BVB dürfen diesen Vorfall nicht einfach mit einem netten Lächeln oder einem Abwinken abtun.
Das birgt die Gefahr, dass sie, wenn sie versuchen, Guirassy nicht zu vergraulen, stattdessen den Rest der Mannschaft verlieren. Das ist zwar zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich weit hergeholt und die Situation sollte nicht überbewertet werden, dennoch dürfen sich Vorfälle solcher Art nicht häufen und locker abgetan werden.
Niemand ist größer als der Klub – das sollte auch für Guirassy gelten. Somit muss gerade er als Leistungsträger und vermeintliche Führungsperson auf dem Platz ein gutes Beispiel geben. Wenn man ihm auf Dauer zu viel durchgehen lässt, werden sich andere fragen, ob es unterschiedliche Maßstäbe gibt. Diese Blöße darf sich Dortmund nicht geben und sollte von Anfang an klare Linien für alle ziehen. Diese Linien müssen dann vor allem von Leistungsträgern mitgetragen und nicht überschritten werden. Dazu gehört auch ein Serhou Guirassy.
Es ist davon auszugehen, dass auch beim BVB intern klare Worte gefallen sind und dem Torjäger in einem direkten Gespräch aufgezeigt wurde, was er im Spiel gegen Juve unglücklich gemacht hat. Doch auch die Außenkommunikation muss einer klaren Linie folgen, sonst gerät der BVB womöglich bald in die missliche Lage, regelmäßige Entgleisungen kommentieren zu müssen, wobei es stets schwierig sein wird, den richtigen Maßstab zu finden – je nachdem, um welchen Spieler es sich gerade handelt und wie wichtig dieser für den sportlichen Erfolg des Klubs ist.
Das ist ein Drahtseilakt, der auf Dauer nicht gutgehen kann. Daher sind klare Richtlinien für alle – von A bis Z – und ein gleiches Strafmaß für alle erforderlich. Eine etwas deutlichere Ansage der Verantwortlichen, dass ein derartiges Verhalten nach einer abgemachten Anweisung nicht funktioniert, hätte ich für ratsamer gehalten, wenngleich ich auch davon ausgehe, dass Kovac intern andere Worte gefunden hat als medial. Als Außenstehender kann man das natürlich nicht belegen. Genau das lässt Raum für Spekulationen, die der Borussia über die Medien irgendwann um die Ohren fliegen könnten.
Dortmund darf die Details nicht aus dem Auge verlieren
Vielleicht empfinden einige das jetzt als zu kleinkariert, doch im Fußball entscheiden Kleinigkeiten über Erfolg oder Misserfolg. Wenn Dortmund wieder zu den Top-Teams zählen will, sind es gerade diese vermeintlich unbedeutenden Dinge, die am Ende zählen. Beim Besteigen eines Berges scheitert man nie am Berg, sondern immer am Stein im Schuh.
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