Du spielst wie ein Mädchen - Ein Kommentar
Von Oliver Helbig

Am heutigen Mittwoch, dem 2. Juli 2025, startet in der Schweiz die Fußball-Europameisterschaft der Frauen. Das Turnier beginnt mit der Auftakt-Partie zwischen Island und Finnland. Die DFB-Auswahl um Trainer Christian Wück trifft in der Vorrundengruppe C auf Polen, Dänemark sowie Schweden und natürlich zählen die deutschen Frauen auch bei diesem Turnier zum engeren Kreis der großen Favoriten. All diese Informationen sind neu für dich? Damit bist du nicht allein – zumindest, wenn du den Frauenfußball nicht genauer verfolgst.
In der öffentlichen Wahrnehmung spielt dieses Sportereignis nämlich leider eine eher untergeordnete Rolle und erhält kaum große Aufmerksamkeit. Zumindest nicht in gleichem Maße wie vergleichsweise bei einer Europameisterschaft der Herren oder der U21-Nationalmannschaft. Der Grund hierfür ist vermutlich schnell erzählt: Die Kuh Frauenfußball lässt sich eben nicht so gut melken wie die beim Fußball der Herren.
Macht das dieses Event aber weniger reizvoll? Nicht wirklich. Sollte man den Frauen- mit dem Männerfußball vergleichen? Auf keinen Fall! Erhalten die Frauenfußballerinnen angemessene Wertschätzung? Um Gottes Willen, natürlich nicht! Doch nicht nur, dass der Frauenfußball an sich nicht die Aufmerksamkeit erhält, die er eigentlich verdient. Nein, die große Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, entsteht häufig noch immer dadurch, dass man sich fälschlicherweise über ihn lustig macht oder ihn mit ungerechten Maßstäben misst.
Ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen
In seiner Physis, seinem Tempo und seiner Intensität ist der Frauenfußball sicherlich keineswegs mit dem Männerfußball zu vergleichen. Das bedeutet jedoch nicht, dass er weniger physisch, schnell oder intensiv ist. Er verdient, lediglich einem anderen Bewertungsschema zu folgen. Es ist der berühmte Vergleich zwischen Äpfel und Birnen.
In meiner eigenen Trainerlaufbahn habe ich selbst zwei Frauenmannschaften trainiert und Mädchen in meinen männlichen Juniorenteams gehabt. Bei der Suche nach Talenten für ein Junioren-NLZ habe ich auch Mädchen entdeckt, die ich zum Probetraining eingeladen habe, weil sie einfach besser waren als die gescouteten Jungs, die ich entdeckt hatte. Ich habe bei verschiedenen Individualtrainingseinheiten unfassbare Leistungen gesehen und weibliche Trainerkollegen kennengelernt, die mir eine ganz andere Perspektive auf den Fußball eröffnet haben. Natürlich habe auch ich die Unterschiede erkannt, jedoch habe ich auch diese in gleichem Maße lieben gelernt. Der Frauenfußball ist anders, aber eben auch anders schön.
Was den Frauenfußball für mich so besonders macht, ist die große Aufopferungsbereitschaft, der unglaubliche Teamgeist, die große Leidensfähigkeit und der stets volle Einsatz. Ich hatte Spielerinnen, die sich mit gebrochenen Rippen fit spritzen ließen, um das Team bei Punktspielen nicht hängen zu lassen – und das im Amateurbereich! Zwar im ambitionierten, aber trotzdem. Ich habe unzählige Spielerinnen gesehen, die mit Verletzungen weit über ihre Schmerzgrenzen gegangen sind, sich trotzdem in Zweikämpfe gestürzt haben und auf dem Rasen ihr letztes Hemd gelassen haben. Was den Frauenfußball im Vergleich zum Männerfußball für mich aber auszeichnet, ist seine große Ehrlichkeit. Da gibt es kein großes Schauspiel. Wenn es wehtut, dann tut es richtig weh. Wenn es noch geht, stehen die Mädels auch immer wieder auf und machen weiter.
"Ich bin nicht aus Zucker!"
Ein weiteres Beispiel aus einem bayerischen NLZ, in dem ich tätig war: Eine wahnsinnig talentierte Spielerin, die damals im Nachwuchs eines reinen Frauenfußballvereins und sogar in der Bayernauswahl kickte, nahm nach meiner Einladung und einigen Überzeugungsgesprächen mit Eltern und Trainern an einem Probetraining im jungen Großfeldbereich teil. Sie brannte von Anfang an voller Vorfreude auf diese Chance. Meine Jungs haben Luisa anfangs natürlich nicht ernst genommen – bis zur ersten Zweikampfsituation, in der sie einen meiner damaligen Spieler komplett weggemäht hat.
Man konnte erahnen, dass die Szene für beide ziemlich schmerzhaft gewesen sein musste, doch sie stand auf, als wäre nichts gewesen, und warf beim Weglaufen einen coolen Blick über die Schulter zu meinem am Boden liegenden Spieler und gab ihm noch eine kleine Anmerkung mit: "Zieh nicht zurück, ich bin nicht aus Zucker!” Offene Münder und große Augen auf dem Trainingsplatz - aber Stille. Von da an nahm sie jeder ernst. Nach dem Training versuchte beinahe das gesamte Team, sie zu einem Wechsel zu überreden. Wären da nicht die Verletzungsprobleme gewesen, wäre Luisa heute mit Sicherheit in einer der beiden Bundesligen vertreten. Aktuell spielt die mittlerweile 19-Jährige in der Landesliga.
Vor allem in den talentfreien Bereichen stechen Mädchen häufig heraus
Eine andere Spielerin, die sogar Stammspielerin in einer meiner NLZ-Mannschaften war, war einfach unfassbar. Anni hatte vielleicht in der Spitze nicht das Tempo der Jungs, aber in puncto Genauigkeit bei Technikübungen, Einsatzbereitschaft bei Laufeinheiten und in Kraft- und Stabilisationseinheiten konnte ihr keiner das Wasser reichen. Sie verkörperte als Basis bereits all die talentfreien Werte, die es im Fußball braucht, in Perfektion, und verfügte zusätzlich auch noch über ganz großes Fußballtalent und feine Technik. Vor allem aber in Bereichen, in denen es eben kein Talent erforderte, um gut zu sein, war sie die Beste. Ihr war bewusst, dass sie sich anders beweisen und durchsetzen musste. Genau das machte sie letztlich zu einer der Besten und Wichtigsten im Team. Mittlerweile spielt Anni erfolgreich College-Fußball in den USA.
Warum ich diese Beispiele erwähne? Weil ähnliche Geschichten überall im Land bei unzähligen Vereinen passieren. Gestern, heute und morgen. Mit großer Sicherheit haben auch einige Nationalspielerinnen aus dem DFB-Team ähnliche Wege beschritten und Hürden überwunden, um sich durch den Dreck ans große Fußballlicht zu wühlen. Auch die Mädels, die den Durchbruch auf die große Fußballbühne bereits geschafft haben, und diejenigen, die es noch schaffen werden, haben unzählige Stunden harter Arbeit, großen Aufwands, Verzicht und Disziplin investiert. Keine bekommt da etwas geschenkt - im Gegenteil!
"Du spielst wie ein Mädchen" ist keine Beleidigung
Der Frauenfußball verdient mehr Anerkennung und Wertschätzung, weil Mädchen sich in unfassbar großer Zahl in Deutschland und weltweit über physisch wie psychische Grenzen hinaus aufopfern, um einem veralteten Klischee die Stirn zu bieten. Er verdient mehr Anerkennung und Wertschätzung, weil Frauen sportliche Höchstleistungen vollbringen und im Gegensatz zu den männlichen Profis nebenbei größtenteils noch arbeiten oder studieren müssen, um sich einen Lebensstandard zu ermöglichen, der noch Platz für die Liebe zum Fußball lässt – und das bei teils kaum vergleichbaren oder angemessenen Trainingsbedingungen. Und weil es leider noch immer unglaublich viel Halbwissen da draußen gibt, dessen Vertreter bei ihren Stammtischparolen eines Besseren belehrt werden müssten.
Lohnt sich aber die Kraft für diese Nebenbaustellen aufzubringen? Nein. Lasst die Unbelehrbaren unbelehrbar sterben. Die Energie, die im Frauenfußball steckt, sollte lieber dafür aufgewendet werden, in der noch viel zu kleinen Nische weiterzuwachsen, bis er den Rahmen bekommt, den er verdient. Was er braucht, sind keine gleichen, aber faire Bedingungen. Es geht nicht um Gleichheit, sondern um Gerechtigkeit. Es geht nicht darum, möglichst viele Vergleichspunkte zwischen den beiden Fußballarten zu finden, sondern endlich zu erkennen, dass es die Liebe zum Spiel ist, die uns alle eint.
Der Frauenfußball sollte sich nicht mit dem Vergleichs-Kampf gegen den Männerfußball beschäftigen müssen, sondern auf all das stolz sein, das ihn so besonders macht. "Du spielst wie ein Mädchen” ist schon lange keine Beleidigung mehr.
Viel Erfolg bei der Europameisterschaft, Mädels!
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