DFB-Team: 6 Erkenntnisse zum Nations-League-Tiefschlag
Von Dominik Hager

Das Final Four der Nations League wurde für das DFB-Team zur kompletten Enttäuschung. Beim Heim-Turnier gab es zwei verdiente Niederlagen gegen Portugal (1:2) und Frankreich (0:2). Dabei wurden einige eklatante Defizite deutlich, jedoch gibt es auch Dinge, die Hoffnung machen.
Wir werfen einen Blick auf sechs Erkenntnisse nach dem "Stimmungskiller" vor eigenem Publikum.
1. Goretzka in dieser Form untragbar - Mittelfeld droht zur Problemzone zu werden
Im direkten Vergleich zu den anderen Nations-League-Nationen war nicht zu übersehen, dass das deutsche Mittelfeld technische und spielerische Defizite offenbart. Allen voran ist hier Leon Goretzka zu nennen. Der Bayern-Star darf nicht die Lösung im deutschen Mittelfeld sein. Goretzka lässt im Mittelfeld jegliche Präsenz vermissen, steht fast nie als Anspielstation zur Verfügung und bringt keinerlei Spielwitz mit. Gegen Portugal hatten von den Startelfspielern lediglich Nick Woltemade und Leroy Sané weniger Ballkontakte, gegen Frankreich traf dies erneut nur auf Woltemade und Niclas Füllkrug zu. Hinzu kommt, dass Goretzka gegen Portugal lediglich einen Zweikampf bestritten hat. Gegen Frankreich waren es dann vier, wovon der Münchner aber drei verloren hat. Gelingt es Goretzka dann auch nicht, gefährlich in die Box vorzustoßen, bringt er schlichtweg keinen Mehrwert mit.
Wirklich überzeugen konnten allerdings auch die anderen zentralen Mittelfeldspieler wie Aleksandar Pavlovic und Pascal Groß nicht. Die Lösung im Zentrum scheint Angelo Stiller zu sein, der sich prächtig entwickelt hat. Stellt sich nur die Frage, wer an seiner Seite spielen soll. Pavlovic bringt das größte Potenzial mit, kann dieses aber schon länger nicht mehr so ganz abrufen und ist auch als Spielertyp Stiller zu ähnlich.
Neben Stiller bräuchte es einen athletischen Spielertyp - also praktisch einen Goretzka, der auch wirklich gute Leistungen bringt. Felix Nmecha wäre eine stimmige Ergänzung, jedoch war der Dortmunder in der Vergangenheit zu oft verletzt und zu unbeständig unterwegs. Tom Bischof könnte zur Option werden, eine große Rolle bei der WM '26 könnte für den Bayern-Neuzugang aber noch zu früh kommen.
Folgerichtig muss auch der Name Joshua Kimmich in der Verlosung auftauchen. Auch Lothar Matthäus hatte diese Diskussion nun erneut aufgeworfen. Der Münchner wäre zwar auch nicht ganz der passende Spielertyp neben Stiller, jedoch würden beide zumindest spielerisch mit den Top-Nationen mithalten können. Allerdings ist kein Spieler in Sicht, der rechts hinten für Kimmich einspringen könnte.
2. Kaderbreite im internationalen Vergleich erschreckend schwach
Gewiss haben den Deutschen zahlreiche wichtige Spieler gefehlt, jedoch ist es erschreckend, wie viel Qualität damit verloren gegangen ist. Einige Startelfspieler verkörpern eher internationale Mittelklasse und hätten bei den anderen Teams kaum eine Chance auf Spielzeit. Dies gilt erst recht für die Joker. Die Dreifach-Hereinnahme von Robin Gosens, Serge Gnabry und Niclas Füllkrug gegen Portugal steht dafür sinnbildlich.
Gosens und Füllkrug mögen zwar charakterlich super Typen sein, fußballerisch wird es auf dem Niveau allerdings enorm schwierig - zumal gerade Füllkrug auch eine gebrauchte Saison hinter sich hat. Ein augenscheinlich ziemlich unfitter Gnabry ist ebenfalls weit davon entfernt, eine Bereicherung zu sein.
Wenn dann bei Portugal Spieler wie Vitinha und Rafael Leao sowie bei Frankreich Michael Olise und Desiré Doué von der Bank kommen können, grenzt das schon fast an Wettbewerbsverzerrung. Ganz zu schweigen von Spanien, die eigentlich fast ohne Qualitätsverlust auch das B-Team aufstellen könnten.
3. Rüdiger und Schlotterbeck müssen Abwehr-Duo bilden
Egal ob Dreierkette oder Viererkette, die Abwehr konnte in beiden Spielen nicht überzeugen und kann froh sein, nicht noch mehr Gegentreffer kassiert zu haben. Es wurde absolut deutlich, dass Waldemar Anton und Robin Koch zwar ordentliche Spieler sind, auf Top-Ebene dann aber doch an ihre Grenzen kommen.
Erschreckenderweise war das bei Jonathan Tah noch deutlicher der Fall. Der Neu-Münchner sah gegen Portugal häufiger die Rücklichter als ein Morgenmuffel, der jeden Tag zu spät zum Bus kommt. Der 29-Jährige konnte schon in der Vergangenheit im DFB-Team nicht so glänzen wie unter Alonso in Leverkusen. Ohne Antonio Rüdiger als Nebenmann scheint Tah noch größere Probleme zu haben. Tah fehlt es an Wendigkeit und der Fähigkeit, große Räume oder Eins-gegen-Eins-Duelle am Boden zu verteidigen.
Folgerichtig erscheint der logische Schluss, dass Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck künftig gemeinsam die Innenverteidigung bilden sollten. Rüdiger ist sportlich ohnehin unverzichtbar und Schlotterbeck bringt einfach nochmal ein wenig mehr Spritzigkeit und Eins-gegen-Eins-Stärke mit als Tah und Co. Auch in Sachen Spielaufbau kann der Dortmunder eine Bereicherung sein, wenngleich Tah zumindest gegen Frankreich mit seinen Pässen zu gefallen wusste.
4. Rückkehr von ter Stegen unfassbar wichtig
20 bis 25 Minuten gegen Portugal hat Marc-André ter Stegen benötigt, bis er sich wieder eingegroovt hat. Von da an wurde der Barca-Keeper stärker und stärker und rettete in beiden Spielen einige Male spektakulär. Gerade gegen Frankreich hätten es ohne ter Stegen auch gut und gerne vier oder fünf Gegentore sein können. Für Deutschland ist es wichtig, einen absoluten Weltklasse-Keeper zu haben.
Zwar sind Alexander Nübel, Oliver Baumann und Co. keine schlechten Torhüter, jedoch ist ein fitter ter Stegen einfach nochmal mindestens eine Klasse stärker. Umso positiver ist das famose Comeback zu bewerten.
5. Nagelsmann muss sich Gedanken über Spielstil machen
Man kann sich ja darüber freuen, dass Julian Nagelsmann bemüht ist, offensiven und attraktiven Fußball spielen zu lassen. Ob dies allerdings auch ergebnisorientiert ist, sei mal dahingestellt. Dafür hatte das DFB-Team zumindest in den letzten beiden Spielen mit zu vielen Defiziten zu kämpfen. Einige Akteure sind spielerisch zu schwach und zu unkreativ, um als Ballbesitzteam gut stehende Abwehrreihen zu knacken. Ein Wirtz alleine ist - wie man gesehen hat - auch keine Lösung.
Noch weniger funktioniert dieser Stil, wenn es der Defensive an Geschwindigkeit fehlt. Im DFB-Team standen kein Alphonso Davis oder Dayot Upamecano auf dem Platz, die entflohene Stürmer mit ihrer Schnelligkeit einholen können. Sowohl innen als auch außen in der Abwehr waren maximal durchschnittlich schnelle Akteure an Bord. Daraufhin muss man auch seinen Spielstil ausrichten. Ein wenig mehr Grundstabilität und das verstärkte Setzen auf Konter wäre wohl eher erfolgsversprechend gewesen.
6. Deutschland sollte man trotz der Pleiten nicht abschreiben
Trotz des enttäuschenden Abschneiden beim Heimturnier sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Kehren Spieler wie Antonio Rüdiger, Nico Schlotterbeck, Angelo Stiller, Jamal Musiala und Kai Havertz zurück, steht wieder deutlich mehr Qualität auf dem Platz. Gerade Rüdiger und Musiala konnten einfach nicht ersetzt werden, was an der fehlenden Kaderbreite auf Top-Niveau liegt.
Sind allerdings alle DFB-Stars fit, läuft eine Mannschaft auf, die auf oberster Ebene mithalten kann und in den USA auch zumindest zu den erweiterten Titelkandidaten gehört. Entscheidend ist aber eben, dass es keine oder kaum verletzungsbedingte Ausfälle gibt. Diese kann Deutschland schlechter kompensieren als andere Top-Nationen.
Zudem wäre es wichtig, dass junge Spieler wie Angelo Stiller, Aleksandar Pavlovic, Karim Adeyemi und Nick Woltemade in der kommenden Saison nochmal einen Schritt nach vorne machen, um bei der WM 2026 eine tragende Rolle einnehmen zu können.
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