Das deutsche Lied der Bundestrainer-Kritik: Ist Jogi Löw schuld?

Die Kritik am deutschen Bundestrainer ist seit 2021 ein ständig wiederkehrendes Thema in den Fußballmedien des Landes, aber auch unter den Fans. Doch woran liegt es, dass in dieser Hinsicht einfach keine Ruhe einkehren will? Liegt es an den Nachfolgern von Jogi Löw – oder womöglich sogar an Löw selbst?
Die Bundestrainer in ständiger Kritik
Die Bundestrainer in ständiger Kritik / 90min-Edit/IMAGO
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Julian Nagelsmann geht am Freitagabend in sein bereits 28. Länderspiel als Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft. Gegen den vermeintlichen Fußball-Zwerg aus Luxemburg sind drei Punkte fest eingeplant.

Der 38-Jährige steht allerdings immer wieder teils scharf in der Kritik, sei es wegen ausbleibender Erfolge, wie bei der Niederlagenserie von drei Pleiten in Folge von Juni bis September diesen Jahres, oder wegen so mancher nicht gänzlich nachvollziehbaren Kadernominierung. Immer wieder muss sich der Bundestrainer für Entscheidungen oder mangelhafte Auftritte erklären und sich regelmäßig starkem Gegenwind stellen – zu Recht?

Um das zu vergleichen, betrachten wir die ersten 25 Länderspiele von Nagelsmann, Vorgänger Flick und Weltmeister-Coach Joachim Löw. Grund für diese Eingrenzung ist, dass Flick insgesamt nur 25 Spiele mit dem Bundesadler auf der Brust coachen durfte.

Erfolgscoach? Die Fußballnation ist bei Nagelsmann noch gespalten

Die Bilanz von Julian Nagelsmann in seinen ersten 25 Länderspielen war nüchtern betrachtet für viele wohl eher durchwachsen. Neben 13 Siegen gab es auch sechs Unentschieden und sechs Niederlagen – also insgesamt zwölf von 25 Spielen, die der ehemalige Bundesliga-Coach von Hoffenheim, Leipzig und Bayern München nicht gewinnen konnte. Damit gewann der aktuelle Bundestrainer 52 Prozent seiner ersten 25 Spiele mit der DFB-Auswahl. (Erweitert man diese Bilanz nun um die zwei Partien die danach folgten, liegt Nagelsmann mittlerweile bei 60 Prozent Siegquote.)

Sein Vorgänger wurde allerdings bereits nach 25 Länderspielen mit einer ähnlichen Quote wie Nagelsmann vor die Tür gesetzt. Ist Nagelsmann in diesem Fall also glücklich, noch im Amt sein zu dürfen?

Seit Oktober 2023 im Amt: Bundestrainer Julian Nagelsmann
Seit Oktober 2023 im Amt: Bundestrainer Julian Nagelsmann / Stuart Franklin/GettyImages

Flick konnte die Bundesherzen nie komplett für sich gewinnen

Hansi Flick gewann zwölf seiner 25 Länderspiele als Bundestrainer, sieben Mal gab es ein Unentschieden und sechsmal verlor die Flick-Elf in dieser Zeit. Der heutige Coach des FC Barcelona konnte somit eine Siegquote von 48 Prozent vorweisen und war damit nur geringfügig weniger erfolgreich als Julian Nagelsmann in seinen ersten 25 Partien als Bundestrainer.

Hansi Flick durchlebte eine eher schwierige Zeit als Bundestrainer
Hansi Flick durchlebte eine eher schwierige Zeit als Bundestrainer / RONNY HARTMANN/GettyImages

Der 60-Jährige musste damals gehen, weil die Ergebnisse und die Entwicklung nicht stimmten – Julian Nagelsmann schritt trotz ähnlicher Bilanz an diesem Kelch vorüber. Dem heutigen Bundestrainer spricht wohl auch zu Gute, dass er eine mehr als ordentliche Heim-EM spielte und damit zumindest im Vergleich zu Flick schon einmal ein großes Turnier mit Euphorie füllen konnte. Das könnte für ein gewisses Polster gesorgt haben.

Löw einst mit beeindruckender Startbilanz

Die beiden jüngsten Kandidaten in der jüngeren Geschichte der Bundestrainer kommen allerdings nicht an den Start von Weltmeistertrainer Joachim Löw heran. Der "Bundes-Jogi” konnte von seinen ersten 25 Spielen als Bundestrainer starke 18 gewinnen, spielte viermal unentschieden und verlor nur drei. Interessanterweise könnte man fast behaupten, dass er derjenige der drei aufgeführten war, der in Sachen Spielerauswahl und Kaderbreite wohl am eingeschränktesten und qualitativ am benachteiligtsten war.

Jogi Löw mit Lukas Podolski und dem Weltmeisterpokal 2014
Jogi Löw mit Lukas Podolski und dem Weltmeisterpokal 2014 / Pool/GettyImages

Der direkte Vergleich ist eindeutig

erste 25 Spiele

Nagelsmann

Flick

Löw

Siege

13

12

18

Unentschieden

6

7

4

Niederlagen

6

6

3

Siegquote

52%

48%

72%

Torverhältnis

51:29

60:30

63:16

Ein Blick auf die Tabelle zeigt: Im direkten Vergleich zwischen Nagelsmann und Flick hatte Flick zwar die bessere Offensive und Nagelsmann im Vergleich zu Flick die um einen Gegentreffer bessere Defensive, doch insgesamt kamen beide keineswegs an Jogi Löw heran. Der Weltmeister-Coach von 2014 ist in allen aufgeführten Belangen weit vorne. Sei es bei Siegen, erzielten oder kassierten Toren.

Grundsätzlich bedeutet das also demnach, dass Löws Team damals torgefährlicher, defensiv stabiler und erfolgreicher war. Ist das Erbe von Löw also wirklich so groß und ist die Kritik an Flick und Nagelsmann womöglich dem geschuldet, dass der 65-jährige Ex-Bundestrainer einen derart guten Anfang als Bundestrainer hatte, dass es die öffentlichen Erwartungshaltung beeinflusst?

Löws Fußstapfen zu groß? Die Nationalmannschaft sucht sich noch

Blickt man auf den Start von Jogi Löw als Bundestrainer im Sommer 2006 nach der Heim-WM, dann kann man wohl sagen, dass der deutsche Fußball damals noch nicht das war, was er unter Jogi Löw wurde. In seiner bis 2021 anhaltenden Amtszeit entwickelte sich die DFB-Auswahl zu einem regelmäßigen Titelaspiranten bei großen Turnieren, doch irgendwann begann auch diese Geschichte zu bröckeln.

Unter den Nachfolgern Hansi Flick und bisher auch unter Julian Nagelsmann konnte in dieser Hinsicht jedoch keine derart große Vorwärtsentwicklung in die Wege geleitet werden – im Gegenteil.

Wo steht die DFB-Auswahl mit Julian Nagelsmann wirklich?
Wo steht die DFB-Auswahl mit Julian Nagelsmann wirklich? / Stefan Matzke - sampics/GettyImages

Die Nationalmannschaft bleibt den großen Erwartungen noch viel zu oft in puncto Leistung und Konstanz schuldig. Auch Julian Nagelsmann scheint noch immer in einer Experimentierphase zu stecken, in der unklar ist, wie der Kern der deutschen Auswahl mit Blick auf die WM 2026 letztlich aussehen soll. Unter dem aktuellen Nationaltrainer hat man nicht den Eindruck, dass die DFB-Auswahl wirklich zum engeren Kreis der Favoriten zählt. Von der großen Euphorie nach der Heim-EM 2024 ist heute kaum noch etwas übrig im ballbegeisterten Volk.

Ist die DFB-Auswahl im kommenden Sommer titelreif oder muss man nach dem Endturnier womöglich erneut ganz genau die Lupe ansetzen?

Die Wahrheit liegt auf dem Platz und Nagelsmann hat es in der Hand

Die Frage bleibt, ob der einstige 25-Spiele-Start von Jogi Löw damals so extrem gut war, dass seine beiden Nachfolger zu Unrecht viel Kritik einstecken mussten, oder ob die Entwicklung der deutschen Nationalmannschaft unter dem späteren Weltmeistertrainer einfach wirklich von Beginn an einen deutlich konstruktiveren und geradlinigeren Verlauf nahm als unter seinen Erben.

Im Vergleich zu Hansi Flick hat Julian Nagelsmann zumindest etwas länger Zeit, um allen Kritikern mit Zählbarem etwas entgegenzusetzen und sie mundtot zu machen. Die große Löw-Schablone lastet aber auch auf dem aktuellen Bundestrainer und erleichtert den Job nicht gerade.


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