Von Freibeutern, Punks und Desinfektionsmitteln

Soccrates Images/Getty Images
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Fußballvereine aus verschiedenen Ländern zu vergleichen, ist stets eine schwierige Mission. Jeder Klub hat aufgrund der spezifischen Geschichte des Landes, in dem er spielt, entsprechend seine ganz eigene Identität. Und doch finden sich immer wieder Parallelen zwischen Klubs aus verschiedenen Regionen dieser Welt. Und so hat sogar der hierzulande als Exot betrachtete FC St. Pauli ein Pendant im europäischen Ausland.


Denn so wie der Kiez-Klub hierzulande als ein Aushängeschild im Kampf gegen Intoleranz und Diskriminierung ("St.Pauli-Fans gegen rechts!") und für globale Gerechtigkeit ("Viva con Agua") wahrgenommen wird, hat auch der bescheidene Madrider Zweitligist Rayo Vallecano eine ganz besondere Stellung innerhalb der spanischen Vereinslandschaft inne.

Bis zum Beginn der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war Vallecas ein verschlafenes Nest am südostlichen Rand der spanischen Hauptstadt. Noch heute wird man beim Schlendern durch die Straßen des Stadtteils seines dörflichen Charakters gewahr.

Als Vallecas schließlich im Jahr 1950 eingemeindet wurde, war der ansässige Fußballverein Rayo Vallecano ("Vallecanischer Blitz") bereits 26 Jahre alt. Von Beginn seiner Gründung (am 29. Mai 1924) an war Rayo der Verein der kleinen Leute, der Arbeiter, der Geringverdiener.

Freibeuter-Symbolik in Vallecas und auf St. Pauli

Im Zuge der in ganz Europa einsetzenden Politisierung eines Teils der Fußball-Anhänger zum Ende der Achtzigerjahre des Vorjahrhunderts gründeten im Jahr 1992 ein paar Rayo-Fans die Fangruppe "Bukaneros". Die Wortwahl dürfte kein Zufall gewesen sein.

Denn so wie die "buccaneers" genannten Freibeuter über das 17. Jahrhundert hinweg die karibische See unsicher gemacht hatten, so wollten auch die Fans von Rayo Vallecano ihre Mannschaft gegen die Großmächte im Fußball-Ozean kämpfen sehen.

"All die Jahre unserer Geschichte gründen auf dem Kampf und auf der Verteidigung unseres Teams, unseres Stadtteils und unserer Lebensphilosophie, die immer frei von Rassismus und Faschismus war, von Ideologien also, die weit von uns und von dem, wofür Rayo steht, entfernt sind."

So heißt es auf den einleitenden Zeilen der Homepage dieser Gruppierung. Von den Freibeutern des 17. Jahrhunderts ist der logische ideelle Schritt zum Jolly Roger der St.Pauli-Gemeinde zwangsläufig nicht mehr weit.

FC St. Pauli v SC Paderborn 07 - Second Bundesliga
Das inoffizielle Vereinsmaskottchen des FC St.Pauli: der Jolly Roger / Cathrin Mueller/Getty Images

Dass die inoffizielle Vereinshymne des "Blitzes" dann auch noch von der antifaschistischen Punkband Ska-P - natürlich aus dem Stadtteil selbst stammend - komponiert wurde, passt ebenso ins Bild. Der Name ist übrigens ein Wortspiel aus dem englischen "escape" ("entkommen") und der musikalischen Stil-Richtung des Ska-Punks.

Angesichts derartiger Überschneidungen dürfte die letzte medienwirksame Aktion der Rayo-Fans wohl auch bei ihren Hamburger Gesinnungsgenossen für Beifall gesorgt haben.

Rayo-Fans "reinigen" ihr Stadion nach Besuch rechtskonservativer Politiker

Am vergangenen Montagabend hatte Rayo, mit einem Auge immer noch auf den Aufstieg in die Primera División schielend, den Tabellenletzten Albacete im heimischen Campo de Fútbol de Vallecas zu Gast.

Die sportlichen Aspekte sind schnell erzählt: das 2:2-Unentschieden war für beide Teams zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Viel wichtiger war jedoch das, was in den Tagen nach dem Spiel geschah.

Denn schnell hatte sich die Kunde verbreitet, dass bei der Partie "ungewünschte" Zuschauer auf den Tribünen anwesend waren. Mit Santiago Abascal und Rocío Monasterio hatten zwei Vertreter der rechtskonservativen Partei Vox - vergleichbar mit der hiesigen AfD - das Spiel der Hausherren live vor Ort verfolgt.

Grund genug für den harten Kern der Fan-Gemeinde zum "Gegenschlag" auszuholen. Da man der beiden Volksvertreter nicht mehr habhaft werden konnte (und gewalttätige oder militante Aktionen sowieso nicht mit dem Wertekatalog der Fans vereinbar wären), beließ man es bei einer symbolischen Aktion.

"Lasst uns unser Stadion desinfizieren und unsere Tribüne reinigen"!

Die aber ihre Wirkung trotzdem nicht verfehlen sollte: Dutzende von Fans folgten dem Aufruf des Fan-Bündnisses ADRV, machten sich am Dienstag auf zum Stadion und begannen - es zu putzen! "Lasst uns unser Stadion desinfizieren und unsere Tribüne reinigen!" war das Motto.

Der Vereinspräsident Raúl Martín Presa bekam dabei auch noch sein Fett weg. Presa hatte die Einlassgewährung für die beiden Politiker mit deren Interesse, ein Fußballspiel verfolgen zu wollen, gerechtfertigt und darauf hingewiesen, dass "Rayo ein für alle offener Klub" sei.

Die ADRV beschimpfte den Klub-Boss daraufhin als "unnützen Dummkopf" und richtete sich in ihrer Reaktion auf dessen vorausgegangenes Statement direkt an ihn: "Du ekelst uns wirklich an!"

Vox-Vertreter (oder sonstige mit dem Ethos der Rayo-Fans nicht vereinbare Gruppierungen) dürften sich in Zukunft wohl zweimal überlegen, den Gang in das kleine Stadion im Südosten Madrids anzutreten.