Verdient oder nicht - Warum Spaniens Einzug ins Finale ein fatales Zeichen ist

Spanien mit Trainer Jorge Vilda
Spanien mit Trainer Jorge Vilda / Visionhaus/GettyImages
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Feine Technik, schnelle Kombinationen, individuelle Qualität: Spielerisch hat es Spanien zweifellos verdient, in das Endspiel der Frauen-WM 2023 einzuziehen. Trotzdem fällt es vor dem Hintergrund der Konflikte mit dem Verband und dem Trainer schwer, sich über den Erfolg von La Roja zu freuen. Im schlimmsten Fall könnten Spaniens Erfolge ein verheerendes Zeichen setzen - ein Kommentar.

Viel Aufmerksamkeit für den Kampf um Wertschätzung bei der WM

Die WM stand und steht im Zeichen des Kampfes um Wertschätzung und faire Bezahlung. Nie zuvor wurde so viel über die Probleme hinter den Kulissen gesprochen. Die gab es auch schon in den Jahren zuvor, vermutlich noch in stärkerem Ausmaß. In diesem Sommer aber gab es mehr Spielerinnen als zuvor, die ihre Stimme erhoben, und vor allem mehr Medien, die ihnen zuhören wollten.

Es ist erschöpfend, wieder und wieder über diese Probleme zu sprechen, wenn man sich am liebsten auf das Sportliche konzentrieren würde. Bei der nächsten WM, oder der danach, werden gute Bedingungen und Respekt hoffentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Noch sind sie es aber nicht.

Viele Teams leisteten unter widrigen Umständen Großes: Kolumbien erreichte das Viertelfinale, trotz eines Verbandes, der seine Spielerinnen jahrelang nicht bezahlte, schlechte Bedingungen aussetzte, Kritik sanktionierte und Missbrauch tolerierte. Nigeria scheiterte eine Runde davor nur knapp im Elfmeterschießen an den Europameisterinnen aus England, obwohl die Trainingsbedingungen miserabel waren und das Gehalt erst Monate später ausgezahlt wurde.

Die Liste könnte weiter und weiter gehen: Südafrika zog in das Achtelfinale ein, obwohl die Vorbereitung nicht gerade glatt lief und sie in einem Testspiel mit einer Dreizehnjährigen antreten mussten. Haiti schlug sich gegen England und Dänemark sehr gut, trotz schwerer Missbrauchs-Vorwürfe gegen den Präsidenten des Verbandes.

Kanada, Sambia: Sportliches und interne Probleme kaum zu trennen

Und dann waren da noch die Teams, bei denen die Konflikte auch das Sportliche überschatteten. Kanada etwa: Aufgrund der Budgetkürzungen des Verbandes konnte das Team von Bev Priestman weniger Freundschaftsspiele bestreiten als andere. Die Frage, was unter guten Bedingungen möglich gewesen wäre, hängt über dem Vorrundenaus.

Ähnlich ist es bei Sambia, dem wohl schwersten Fall eines Verbandes, der seine Spielerinnen nicht schützt. Von dem Team war nach einer starken Vorbereitung viel erwartet worden, die Gruppenphase verlief mit deftigen Niederlagen gegen Japan und Spanien aber enttäuschend. Gegen Trainer Bruce Mwape wurden vor und während dem Turnier schwerwiegende Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs laut, aber er ist immer noch im Amt.

Bruce Mwape
Sambias Trainer Bruce Mwape / Buda Mendes/GettyImages

Im Fall von Sambia hat die erhöhte Aufmerksamkeit wohl wenig genutzt, aber zumindest werden die Verantwortlichen nun wissen, dass sie nicht mit allem davonkommen können. Dieses "naming and shaming" könnte in anderen Fällen erfolgreich sein und die Spielerinnen dazu ermutigen, für ihre Rechte einzustehen. Nach dem Ausscheiden aus dem Turnier sprachen die Südafrikanerinnen, Nigerianerinnen und Kolumbianerinnen alle über die Notwendigkeit einer professionellen Liga - das Thema liegt für die Verbände nun zumindest auf dem Tisch.

Die Erfolge anderer Teams haben gezeigt, wie viel eine vernünftige Strategie und Investitionen ausrichten können. Englands EM-Sieg im letzten Jahr war die Frucht einer gezielten Förderung des Frauenfußballs, von der FA stetig vorangetrieben. Nur wenige Jahre brauchte es, um in die Weltspitze aufzuschließen. Marokko ist, auf einer niedrigeren Ebene, ein ebenso gutes Beispiel für den Erfolg von Investitionen.

Spaniens Erfolge könnten ein fatales Zeichen setzen

Umso niederschmetternder ist es, dass mit Spanien ein Verband das Finale erreicht hat, der sich in den letzten Jahren nicht gerade für seine Spielerinnen eingesetzt hat. Im Gegenteil. Es wirkt wie eine bittere Ironie des Schicksals, dass eine solche Ignoranz gegenüber der Spielerinnen belohnt wird - bei einer WM, die große Debatten über genau dieses Thema angestoßen hatte.

Der Hintergrund des Konflikts ist bekannt: Nach der EM im letzten Jahr traten 15 Spielerinnen zurück, um für bessere Bedingungen und gegen den Trainer Vilda und seine fragwürdigen Methoden - etwa das Verbot, die Zimmer abzuschließen, damit er kontrollieren konnte, dass alle da waren - zu protestieren. Der Verband reagierte abwehrend auf diese Kritik, forderte sogar eine Entschuldigung von den Spielerinnen. Jorge Vilda, der im Verband bestens vernetzt ist, durfte bleiben.

Nach all den Protesten der Spielerinnen, den Forderungen und den Rücktritten setzt der Einzug von Spanien in das Endspiel jetzt ein fatales Zeichen: Der Verband kann es sich leisten, Kritik zu sanktionieren und die Spielerinnen zum Schweigen zu bringen. Vilda kann es sich leisten, auf elf Spielerinnen zu verzichten, da ihm weiterhin eine unglaubliche Qualität zur Verfügung steht.

Es ist nicht fair, die Schuld an diesem Desaster allein den Rückkehrerinnen zu geben. Aitana Bonmatí, Mariona Caldentey und Ona Battle waren zunächst auch Teil von Las 15, bevor sie doch ihre Meinung änderten. Sie sind drei der wichtigsten Spielerinnen, und doch ist es nicht unrealistisch, dass Spanien auch ohne sie das Halbfinale erreicht hätte. Es ist nicht die Aufgabe von drei Spielerinnen, den Verband zur Besserung zu zwingen. Umso mehr Respekt gebührt denen, die es trotzdem versuchen und dafür die WM verpassen: Mapi Leon, Claudia Pina, Patri Guijarro und Co.

Mapi Leon
Aus Protest nicht bei der WM: Mapi Leon / BSR Agency/GettyImages

Wenn keine der Spielerinnen sich für die WM zur Verfügung gestellt hätte, sähe die Situation natürlich ganz anders aus. Aber die Kritik sollte sich nicht vorrangig an die einzelnen Spielerinnen richten, sondern an den spanischen Verband RFEF - trotz der Erfolge. Für den Präsidenten Luis Rubiales ist der Einzug in das Finale nun der unwiderlegliche Beweis, dass er alles richtig gemacht hat.

Spaniens Siege werden von Präsident Rubiales instrumentalisiert

Nach dem Halbfinale war er voller Lob für Vilda. Wenig verwunderlich, denn Rubiales und Vilda kennen sich auch persönlich gut. Vilda hat zudem für Rubiales als Präsidenten votiert, auch sein Vater war ihm gegenüber loyal. Rubiales zahlt das gerne zurück: "Er ist der grundlegende Architekt von allem. Er ist unverzichtbar", sagte der Präsident. Und weiter: Die Vorwürfe gegen Vilda seien allesamt falsch, es hätten "Menschen in böser Absicht oder Unwissenheit gehandelt".

Seine Kommentare nach dem Spiel zeigen, dass er den Erfolg dafür instrumentalisiert, seine Entscheidungen zu rechtfertigen. Damit rechtfertigt Rubiales offen einen schlechten Umgang mit den Spielerinnen und die Unfähigkeit zur Kritik. Die Botschaft: Alles egal, solange am Ende Siege stehen. Ein ähnliches Narrativ haben auch viele andere Verbände verbreitet: Aber er ist doch erfolgreich! Und das ist doch sein Job, mehr nicht! Die protestierenden Spielerinnen werden diskreditiert.

Jorge Vilda
Trainer Jorge Vilda / Eurasia Sport Images/GettyImages

Die Siege von Spanien sind daher nicht nur Zahlen auf einer Anzeigetafel. Sie normalisieren bereits die Annahme, dass Erfolge wichtiger sind als die Meinung der Spielerinnen. Dass ein Trainer tun kann, was immer er will, solange er gute Kontakte zu den Mächtigen im Verband hat und die Siege liefert.

Und dafür hatte Vilda nun wirklich lange Zeit - sieben Jahre ist er mit einem hochtalentierten Kader nicht in die Nähe eines Titels gekommen. Das lag natürlich immer an den Spielerinnen, er wurde nicht infrage gestellt. Aber jetzt, wo Spanien Erfolg hat, liegt das für Rubiales nicht an Aitana Bonmatís Pässen oder Ona Battles Flanken, sondern an Vildas Genie.

Konflikt wird gerne verharmlost - nach einem Sieg womöglich noch mehr

Dieses Narrativ verbreitet aber nicht nur Rubiales, es wird auch von einigen Medien gerne mitgetragen. Vilda habe gewonnen, weil er nun im Finale steht, trotz der Proteste. Die spanische Zeitung Marca schrieb, man müsse "vor Vilda kapitulieren". Und El Pais ging noch weiter: Vildas Spielstil umgebe ein "Hauch von Cruyffismus" - große Töne.

Vildas Taktik ist bei der WM bisher oft aufgegangen, das ist keine Frage. Aber ihn gleich zum Genie hochzujubeln, scheint dann doch etwas hochgegriffen. Ein guter Teil seiner Spielerinnen hat mit Barcelona zweimal in den letzten drei Jahren die Champions League gewonnen, er hat absolute Weltklasse-Akteurinnen zur Verfügung.

Im Finale stehen ihm einige Weltklasse-Akteurinnen auch nicht zur Verfügung, und das sollte nicht vergessen werden, ob Spanien gewinnt oder nicht. Wie teils über den Konflikt mit dem Verband und Vilda berichtet wurde, ist schockierend: Zeit Online schreibt etwa, die protestierenden Spielerinnen haben sich mit Vilda "verkracht". Das klingt, als ginge es um Egos und persönliche Differenzen, und nicht um kontrollierendes Verhalten und Unterdrückung von Kritik.

Noch wichtiger, es geht bei dem Konflikt nicht nur um die Person Vilda, sondern vor allem um die Strukturen, die sein Fehlverhalten ermöglicht haben. Der Titel würde von Rubiales sicherlich genutzt werden, um Vilda als unantastbar darzustellen. Sollte Spanien die WM gewinnen, es wäre ein Ausrufezeichen in die falsche Richtung - ob sie es spielerisch verdient haben oder nicht.