Starkes Flügelspiel, Mittelfeld-Dominanz: Fünf Erkenntnisse zu Spaniens WM-Sieg gegen England

Schwer zu stoppen: Salma Paralluelo
Schwer zu stoppen: Salma Paralluelo / Brendon Thorne/GettyImages
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Spanien hat das WM-Finale gegen England verdient mit 1:0 gewonnen. Ein überlegenes Kombinationsspiel und individuelle Klasse machten den Unterschied, Spanien konnte sich sogar ein paar Schwächen erlauben. Fünf Erkenntnisse zum Finale.

Individuelle Qualität und Barca-Connections machen für Spanien viel aus

Spanien hat verdient das Spiel gewonnen, und auch die WM. Die Kombinationen waren, neben denen von Japan, am flüssigsten, das Offensivspiel am variabelsten. Wie die Spielerinnen ihren One-Touch-Fußball aufzogen, war auch im Finale beeindruckend. Tempo, Technik und Torgefahr - bei Spanien kommt viel zusammen. Die Grundlage von all dem ist die Übersicht der Spielerinnen, die ständig den Platz scannen und blind den richtigen Pass spielen können.

Spanien wirkt so eingespielt wie ein Klub-Team. Das liegt auch daran, dass sie einen starken Block haben: In der Startelf sind sieben der elf Spielerinnen beim FC Barcelona angestellt. Bonmatí zu Caldentey, Caldentey zu Paralluelo - solche Kombinationen gab es in der letzten Saison auch schon oft in den blau-roten-Trikots zu sehen.

Wie gut sich Spielerinnen wie Abelleira und Redondo in dieses Kollektiv integriert haben, ist allerdings beeindruckend. Spanien hat eine herausragende Qualität, und sie haben vor allem die technischen Fähigkeiten, um ihren Fußball umzusetzen. Jorge Vildas Plan hat gut funktioniert, weil er elf hochtalentierte Spielerinnen zur Verfügung hat, die seinen Spielstil gut umsetzen. England konnte den Größenvorteil in der Luft nicht ausnutzen, da die spanische Defensive das mit hoher Aufmerksamkeit wettmachte.

Spanien gewinnt das wichtige Flügel-Duell

Ona Battle und Alba Redondo gegen Rachel Daly, Olga Carmona und Mariona Caldentey gegen Lucy Bronze: Die Duelle auf den Flügeln waren in diesem WM-Finale extrem wichtig, und die Punkte gingen an Spanien. Die beiden Außenverteidigerinnen von La Roja standen extrem hoch, besonders Ona Battle spielte quasi wie eine zweite Flügelspielerin.

England spielte mit einer Dreierkette und war sichtlich darauf bedacht, hinter den Schienenspielerinnen Bronze und Daly keinen Platz zu lassen. Bloß nicht in Konter laufen, sondern selbst die offensive Positionierung von Spanien ausnutzen, das schien Wiegmans Kalkül gewesen zu sein.

Das ging aber nicht auf: Dadurch, dass Bronze und Daly recht tief standen, beraubte sich England einer seiner großen Stärken im Angriff. Dalys Läufe ins letzte Drittel und Bronzes Flanken waren überhaupt kein Faktor. Gleichzeitig sorgte die Aufstellung nicht für mehr defensive Stabilität: Daly und Bronze haben ihre Stärken beide nicht im Verteidigen, sondern in der Offensive. Beide hatten es gegen die flinken und dribbelstarken Spanierinnen schwer.

Spanien beschränkte sich aber nicht darauf, die Zweikämpfe auf einem Flügel zu gewinnen, um dann zu flanken. Wenn ihnen kein Durchbruch gelang, wechselte La Roja gerne die Seite und konnte England so überraschen: Carter oder Greenwood waren oft aus der Dreierkette herausgerückt, sodass Spanien dann auf dem anderen Flügel eine Überzahlsituation kreieren konnte. Salma Paralluelo zeigte wieder eine Top-Leistung, ihr Tempo gab Spanien nochmal einen neuen Punch.

Wie viel davon gezielte taktische Vorgabe war und wie viel Intuition, ist schwer zu sagen. Aber gerade der Spielzug zum 1:0, bei dem Spanien einen von Lucy Bronzes Streifzügen über das Feld perfekt ausnutzte, wirkte sehr einstudiert. Dass Bronze gerne in das Mittelfeld zieht und hinter sich eine Lücke lässt, ist nichts Neues - Spanien reagierte darauf perfekt und ohne Verzögerung, sodass sich England nicht neu ordnen konnte.

Spanien offenbart eine Schwäche, aber England nutzt sie nicht

Beeindruckend ist dabei, dass Battle und Olga vorne eingebunden waren und trotzdem wenig Platz für Konter blieb. Anders als bei dem 0:4-Debakel gegen Japan waren stets genug Spanierinnen hinter dem Ball. Klar: England beherrscht die Kunst, eine Defensive mit einem einzigen Pass bloßzulegen nicht so wie die Japanerinnen. Trotzdem ist Spanien die Balance zwischen Dominanz und Risiko nach vorne und Absicherung nach hinten besser gelungen als zuvor.

Die Probleme aus dem Japan-Spiel sind natürlich nicht komplett verschwunden. Einige Male war England sogar nah dran, sie auszunutzen. Dann fehlte aber doch die letzte Konsequenz. Irene Paredes ist keine besonders schnelle Verteidigerin, und im Sprintduell hatten Lauren Hemp und Alessia Russo gegen sie deutlich die Nase vorne.

Aber zur Pause brachte Wiegman dann James und Kelly, Russo wurde ausgewechselt. Damit war nur noch Hemp eine wirkliche Gefahr für die spanische Defensive, und sie wurde dementsprechend doppelt und dreifach gedeckt. Statt auf die Steilpässe, die von Japan so effektiv gewesen waren, setzte England auf Flanken. Aber ohne Zielspielerin - nach der Auswechselung von Russo stand keine echte Nummer Neun mehr auf dem Platz. Der Kniff, Innenverteidigerin Millie Bright nach vorne zu ziehen, hat schon ein paar Mal funktioniert, ist inzwischen aber auch lange keine Überraschung mehr.

Bonmatí im Mittelfeld erneut sensationell, England blass

Der Weg zum idealen Mittelfeld ging für Spanien über ein paar Hürden, aber zum Ende der WM haben sie es gefunden. Jenni Hermoso, Teresa Abelleira und Aitana Bonmatí bilden ein starkes Trio in der Mitte des Platzes, es ist wohl das stärkste Mittelfeld der WM. Sie sorgten dafür, dass England überhaupt erst auf die Duelle auf den Flügeln angewiesen war, weil die Mitte dicht war.

Aitana Bonmatí gewann nach dem Spiel den goldenen Ball für die beste Spielerin bei der WM und ist auch klare Favoriten auf den noch wichtigeren goldenen Ball, den Ballon d'Or. Wieder einmal zog sie die Fäden, zog das Tempo an und hatte einige hervorragende Einzelaktionen. Georgia Stanway sollte sie im Mittelfeld unsichtbar machen, aber mit schnellen Bewegungen und Pässen zog sich Bonmatí immer wieder aus der Bredouille.

In jedem WM-Spiel hatte Keira Walsh bisher das Vergnügen, sich mit einer persönlichen Bewacherin herumzuschlagen. Längst haben alle Teams erkannt, wie wichtig die Sechserin für den Spielaufbau der Lionesses ist - das war bei der EM noch nicht so und ist einer der Gründe, warum sich England bei der WM trotz des Einzugs ins Finale schwerer getan hat als im letzten Sommer.

Jenni Hermoso machte ihren Job gegen Walsh auch sehr gut, sodass bis auf Querpässe wenig von der 26-Jährigen kam. Ella Toone war in ihrer Zehner-Rolle fast unsichtbar, nicht zum ersten Mal beim Turnier. Selbst gegen Australien war sie neben ihrem Tor wenig effektiv. Angesichts der starken Leistung von Lauren James nach ihrer Einwechslung stellt sich die Frage, ob Wiegman nicht besser von Beginn an auf James gesetzt hätte.

Verdienter spanischer Sieg - trotz mangelnder Effizienz

Die drei größten Probleme von Spanien bei dieser WM waren: Harmlosigkeit trotz erdrückender Dominanz, Anfälligkeit bei Steilpässen und Chancenverwertung. Das erste haben sie durch das verbesserte Flankenspiel und den Cheatcode Salma Paralluelo ganz gut in den Griff bekommen. Das zweite hat England, wie erwähnt, nicht konsequent ausgenutzt.

Und das dritte? Das war in dem Finale weiterhin vorhanden. Aber Spanien war so dominant, dass sie es sich leisten konnten, ein paar exzellente Chancen liegen zu lassen. Alba Redondo scheiterte aus kürzester Distanz an Mary Earps, Salma Paralluelo schoss an den Pfosten, Jenni Hermoso vergab einen Elfmeter. Insgesamt kreierte Spanien einen Expected-Goals-Wert von 2,35 - dieses Mal wurden sie für den Chancenwucher aber nicht bestraft, anders als gegen die Niederlande.