Niederlage zum Auftakt: Schalkes ärgerliche Verschwendung der Wucht

Enttäuschte Gesichter nach der Auftakt-Niederlage gegen den HSV
Enttäuschte Gesichter nach der Auftakt-Niederlage gegen den HSV / Lars Baron/Getty Images
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Zum Auftakt der Zweitliga-Saison musste Schalke eine 1:3-Heimniederlage hinnehmen. Der HSV fährt verdienterweise mit den ersten drei Punkten nach Hause. Die Gastgeber starteten gut in die Partie, danach kam jedoch der Verfall in alte Muster.


Schon einige Minuten vor dem Anpfiff war die Stimmung in der Veltins-Arena bemerkenswert gut. Obwohl das Stadion gerade einmal etwa zu einem Drittel gefüllt war, hallten die Fan-Gesänge durch das halbe Gelsenkirchen. Die 19.770 Fans waren so laut und energisch, dass die Moderatoren am Spielfeldrand Schwierigkeiten hatten, sich im normalen Ton zu verstehen.

Mit dem Anpfiff zur neuen Saison in der 2. Bundesliga schien die nahezu völlig neue Mannschaft von Schalke 04 mit den endlich wieder zugelassenen Zuschauern zusammenarbeiten zu wollen. Es war ein druckvoller und mutiger Beginn der Truppe von Dimitrios Grammozis. Der Coach, der erst den Abstieg verwalten musste und nun den Aufstieg in den Blick nehmen soll, schien in der Kabine den richtigen Nerv getroffen zu haben.

Griffig gingen die Knappen in die Partie. Der Hamburger SV wirkte in den ersten Minuten nicht wirklich vorbereitet auf diese Wucht, die von den Rängen lautstark unterstützt wurde.

Simon Terodde
Frühe Freude über den Führungstreffer in den Schalke-Reihen / Lars Baron/Getty Images

Der Start wurde aus S04-Sicht bereits in der siebten Minute perfekt: Dominick Drexler mit der tollen Balleroberung, Marius Bülter stark in der Umschaltaktion und Simon Terodde mit dem coolen Abschluss vor dem gegnerischen Gehäuse. Nach kurzer VAR-Überprüfung war klar: Schalke startet mit einer Führung in die neue Saison.

Ein Tor, das aus einer Gemeinschaftsleistung entstanden und auch verdient war. Ein nach den letzten anderthalb Jahren sehr ungewohntes Gefühl. Wie bei Königsblau üblich, schwappte direkt eine Welle der Euphorie durch die Arena und durch die heimischen Wohnzimmer. Ein Einstand nach Maß, der Lust auf mehr machte.

Schalke verzichtet freiwillig auf die anfangs kreierte Wucht - Verfall in alte Muster sorgt für Ernüchterung

Doch zum "mehr" kam es nicht mehr. Nach einer guten Viertelstunde wurde der HSV in seinem dominanten Ballbesitzspiel sicherer. Tim Walter ist für seinen Stil bekannt. Schon früh war abzusehen, dass er diesen innerhalb von wenigen Wochen schon gut hat einbringen können. Über die restlichen 70 Minuten dominierten die Gäste aus dem Norden das Spiel.

Über diese lange Zeit verfiel S04 in alte Muster. Nach der bis dato verdienten Führung zog man sich noch weiter zurück, als man zuvor ohnehin schon gestanden hatte. Über weite Strecken waren alle Spieler in blau-weiß in der eigenen Hälfte. Die grundsätzliche Idee dahinter: den Hamburgern die ungefährlichen Räume überlassen, um dann im Umschalten für Gefahr zu sorgen.

Es ist genau dieses alte Muster, das Schalke schon unzählige Male das Genick gebrochen und für verlorene Punkte gesorgt hat. Auch an diesem Abend sollte es nicht anders sein. Die Rothosen kontrollierten die ganze Partie, dominierten sie über Phasen drückend. Nach 90 Minuten hatten sie satte 73 Prozent Ballbesitz.

Dimitrios Grammozis
Dimitrios Grammozis wählte Zurückhaltung statt weiterer Power / Lars Baron/Getty Images

Klar, davon kann man sich noch nichts kaufen. Doch war es absolut vorhersehbar, dass dieser Plan seitens Grammozis früher oder später scheitern würde. Eine noch nicht eingespielte Mannschaft kann nicht absolut fehlerfrei über 70 Minuten verteidigen. So gab es immer wieder Torchancen, die nach und nach genutzt wurden. Dass die Knappen diesen Auftakt mit 1:3 verloren haben, ist schlussendlich verdient gewesen.

Es ist dieses alte Muster gewesen, das so viele Fans enttäuscht hat. Gegen den HSV kann man verlieren, insbesondere mit einer so neuen Mannschaft - doch darum geht es gar nicht. Anstatt die Wucht mitzunehmen, die nach dem 1:0 förmlich im Stadion zu greifen war und weiterhin zu attackieren, ließ man sich einlullen.

Eine weit zurückgedrängte Fünferkette kann beim Ballgewinn nicht offensiv unterstützen, weil die Außenspieler keinen Weltrekord im 50 Meter Sprint halten. Ein Simon Terodde, der beim Ballgewinn ungefähr an der Mittellinie oder gar in der eigenen Hälfte steht, kann nicht im Konter geschickt werden. Ein Stürmer, der im Zentrum stehen und Zuspiele noch und nöcher bekommen muss, um zu funktionieren, kann so nicht erfolgreich eingesetzt werden.

Vor dem Saisonstart hatte Grammozis seinen generellen Plan für diese Saison erläutert. Eine Erklärung, die vielen Fans Hoffnung auf dringend notwendige Veränderung machte: "Wir wollen natürlich dominant spielen, gerne selbst den Ball haben und versuchen, viele Torchancen zu kreieren. Darauf liegt unser Hauptaugenmerk. Und wenn wir den Ball nicht haben, wollen wir ihn so schnell wie möglich zurückholen."

Davon war in diesem Spiel nur in den ersten zehn, 15 Minuten etwas zu sehen. Anschließend war diese anvisierte Herangehensweise das genaue Gegenteil des Spielgeschehens. 27 Prozent Ballbesitz ist nicht "gerne den Ball haben". "Natürlich dominant spielen" heißt nicht, sich vor heimischer Kulisse in den Sechzehner drängen zu lassen. Den Ball "so schnell wie möglich zurückholen" hieße ein mutiges, aggressives Pressing - auch davon war über den Großteil des Spiels nichts zu erahnen.


Erst 90 von 3060 Minuten gespielt - und dennoch muss bereits Kritik geübt werden

An dieser Stelle ist es wichtig, zu betonen: Dieses eine Spiel muss nicht zwingend Einfluss auf den weiteren Saisonverlauf haben. Es geht auch nicht darum, schon nach den ersten 90 von insgesamt 3060 Liga-Minuten alles schlechtzureden. Es ist aber wichtig, derartige Fehler zu kritisieren und sie zu thematisieren.

Wenn gegen Holstein Kiel nächste Woche Sonntag ein ähnlicher Ansatz gewählt wird, wird Schalke wohl erneut offen ins Messer laufen. Zumal der Plan, zumindest laut der Aussage Grammozis', grundsätzlich ein ganz anderer ist.

Essenziell wichtig wird es sein, ein anderes spielerisches Mittel zu finden. Denn wer so gegen die Heidenheims, Sandhausens oder Dresdens dieser Liga auftritt, der wird keine erfolgreiche Saison spielen. Der Schlüssel liegt in einem mutigen, offensiven Spiel mit dem Ball. Und nicht auf dem Verweigern mit anschließendem Hauruck auf Sprinter-Legende Terodde.