"Er pinkelt Eiswürfel" - So verlief Nico Schlotterbecks Weg in die Nationalmannschaft
Von Martin Bytomski
Aus und vorbei. Es ging nicht weiter. Aussortiert und für nicht gut genug gefunden: Das war 2014 das Urteil über Nico Schlotterbeck bei den Stuttgarter Kickers. Erst wenige Einsätze in der U15, dann das bittere Aus beim Übergang in die U16. Mittlerweile ist Schlotterbeck Leistungsträger beim SC Freiburg und steht heute Abend vor seiner Länderspielpremiere. Doch vor acht Jahren schien der mittlerweile 22-Jährige in einer Sackgasse seiner damals noch jungen Karriere angekommen. Kürzlich gab er im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten einen Einblick über seine Ausmusterung bei den Kickers: „Das war im Rückblick für meine Entwicklung aber gut.“ Denn er sei als „Jugendspieler nicht leicht zu handeln“ gewesen und habe sich nicht von jedem etwas sagen lassen: „Dass ich nach dem Aus bei den Kickers etwas Anderes machen musste, hat mir gutgetan.“
Schlotterbeck wechselte also den Verein, ging zum beschaulichen VfR Aalen. Auf dem Papier ein Rückschritt. Doch der junge Nico blieb nur ein Jahr in der schwäbischen Provinz und schloss sich dann der U17 des Karlsruher SC an. Dort nahm die bis dahin eher rumpelige denn verheißungsvolle Nachwuchskarriere Fahrt auf. Trainer und Förderer damals: Lukas Kwasniok, heute beim Zweitligisten SC Paderborn als Chefcoach tätig. „Schlotti hat einige besondere Begabungen, hat Inselqualitäten: Sein linker Fuß und sein Kopfballspiel waren überragend. Zudem hatte er keine Angst“, verrät Kwasniok auf ka-news.de. Außerdem begeisterte ihn sein Wille, fuhr er doch „täglich aus der Stuttgarter Region rund 90 Minuten zum Training. Dann hat er, nach dem Training, immer Zusatzschichten absolviert. Technische Übungen, Laufeinheiten - so etwas.“
"Schlotti pinkelt Eiswürfel"
Das war nicht nur Kwasniok aufgefallen. Auch der Karlsruher Nachwuchsleistungszentrums-Leiter Ede Becker berichtet ebenfalls auf ka-news.de: „Er hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Dass er ganz so weit kommt war damals nicht vorherzusehen. Aber, dass er sich aufgrund seiner Fähigkeiten im Profigeschäft etabliert - das war mit klar.“ Das standhafte Vertreten der eigenen Meinung, einst in Stuttgart noch ein K.o.-Kriterium, wurde beim KSC als positive Eigenschaft geschätzt: „Er hatte seine Meinung und versuchte die durchzusetzen. Er war immer ein unkonventioneller Typ – und das meine ich total positiv. Er ist nicht abgehoben – und er nimmt auch kein Blatt vor den Mund. So etwas gefällt mir“, meint Ex-Trainer Kwasniok und fügt sehr bildlich an: „Schlotti pinkelt Eiswürfel. Er ist ganz einfach – ein Typ!“
Stabil bei Union Berlin
Zwei Jahre Karlsruhe hatten offensichtlich Spuren hinterlassen. 2017 folgte der Wechsel in die U19 des SC Freiburg. Er überzeugte auf Anhieb mit seinen kompromisslosen Abräumerqualitäten und mit seiner Torgefahr: Sieben Treffer, davon fünf per Kopf, sind für einen Innenverteidiger eine herausragende Ausbeute. Das sah auch Cheftrainer Christian Streich und beorderte Schlotterbeck zu den Profis. Nach und nach verschaffte er dem gebürtigen Waiblinger Bundesligaminuten. Um weitere Einsätze sicherzustellen, schloss er sich 2020 für ein Jahr auf Leihbasis dem 1. FC Union Berlin an, die zu der Zeit händeringend nach Innenverteidigern suchten. Er wurde auf Anhieb eine wichtige Säule und sorgte maßgeblich dafür, dass die Hauptstädter in der vergangenen Saison die viertwenigsten Gegentore kassierten.
Raus aus der Komfortzone
Mit gepushtem Selbstvertrauen wurde Schlotterbeck nach seiner Rückkehr im vergangenen Sommer sofort Stammspieler beim SCF – und steht jetzt vor seinem Debüt in der Nationalmannschaft. DFB-Trainer Hansi Flick hält große Stücke auf seinen Neuling: „Nico macht eine enorme Entwicklung, er verteidigt sehr hoch, ist sehr selbstbewusst, das gefällt mir“, so Flick, der aber zügig ergänzt: „Manchmal ist er noch einen Tick zu bequem und nimmt sich raus.“ Da dürfte es helfen, dass bei den Nationalmannschaftsspielen ein Millionenpublikum seine ersten Schritte mit dem Adler auf der Brust verfolgt – Bequemlichkeit wird sich Schlotterbeck wohl kaum erlauben. Und sollte er tatsächlich die Freiburger Komfortzone verlassen und zu Borussia Dortmund wechseln, würde ihm bei allzu großer Bequemlichkeit recht zügig von über 80.000 Fans die Meinung gegeigt. Doch egal wie und wo: Weiter geht es für Nico Schlotterbeck so oder so.