Kommentar zum Favre-Aus beim BVB: Schwarz-gelbes Hamsterrad

Der BVB hat Lucien Favre freigestellt - aber warum eigentlich?
Der BVB hat Lucien Favre freigestellt - aber warum eigentlich? / TF-Images/Getty Images
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Der BVB hat nach der 1:5-Heimpleite gegen Aufsteiger Stuttgart die Reißleine gezogen und Cheftrainer Lucien Favre entlassen. Und damit scheint das gut gepflegte Kapitel des Understatements in Dortmund ein Ende gefunden zu haben; denn was Bitteschön hätte der Schweizer noch besser machen können?

Zu den Fakten: Unter Lucien Favre wurde der BVB zweimal Vizemeister, in einer aktuell schwierigen Saison beträgt der Rückstand auf den FC Bayern überschaubare fünf Punkte und die Borussia steht als Gruppenerster im Achtelfinale der Champions League. Ganz nebenbei weißt Favre den besten Punkteschnitt aller BVB-Trainer auf. Nur die Silberware fehlt in der bis zum Schluss eigentlich fruchtbaren Ehe zwischen dem kauzigen Schweizer und dem ambitionierten BVB.

Dass ein Titel nicht der Maßstab für einen BVB-Trainer sein darf, wurde auch die Geschäftsführung nie müde zu betonen; dass der FC Bayern wieder einmal enteilt ist, ist ein offenes Geheimnis. Bis jetzt wurde Lucien Favre von den Verantwortlichen beim BVB an seiner tatsächlichen und zweifellos herausragenden Arbeit gemessen. Bis jetzt.

Favre-Entlassung beim BVB: Ergebnis eines Prozesses

Dass die Entlassung Favres dem Moment entsprungen ist, ist undenkbar. Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc - und auch die jüngeren Offiziersstabsmitglieder Sebastian Kehl und Matthias Sammer - zeichnen sich jeher durch die Gabe einer aufgeräumten und differenzierten Fähigkeit zur Analyse und Einordnung aus. Die Freistellung Favres muss daher Ergebnis eines Prozesses sein - und als neutraler Beobachter frage ich mich zwangsläufig, seit wann sich der Anspruch der BVB-Bosse mit dem der öffentlichen Wahrnehmung deckt.

Die Öffentlichkeit - gerne vertreten durch Koryphäen des Sports wie Didi Hamann, Lothar Matthäus oder Mario Basler - wünscht sich ja so verzweifelt einen David für den Goliath des deutschen Sports: den FC Bayern, der nun einmal gewisse und über Jahre erwirtschaftete Größenvorteile mit sich bringt. Dass der BVB dieser Rolle am nächsten kommt, ist wahr. Zu behaupten, die Westfalen könnten mit den Bayern mithalten, ist allerdings völlig Hanebüchen. Das wussten bis jetzt auch Aki Watzke und Gefährten. Bis jetzt.

Für Lucien Favre ist beim BVB Schluss
Für Lucien Favre ist beim BVB Schluss / Lars Baron/Getty Images

Die Freistellung Favres lässt den Schluss zu, dass sich die Oberen der Borussia nicht mehr mit der popeligen Vizemeisterschaft zufrieden geben. Die zweieinhalb Jahre mit Lucien Favre haben gezeigt, dass der Schweizer ein auch auf lange Sicht hervorragender Trainer für den BVB ist, aber nicht über die Superkraft verfügt, eine über 34 Spieltage gehende Saison gegen den FC Bayern zu gewinnen. In der Trainerbranche gibt es einen, vielleicht zwei oder auch drei Trainer, die dieses Wunderwerk vielleicht möglich machen könnten. Die haben allerdings lukrative Verträge in Liverpool, Manchester oder Madrid.

Und die Frage nach Alternativen stellt sich beim BVB jetzt ja zwangsläufig. Auf der Liste vertragsloser Trainer finden sich Fabeltiere wie Ernesto Valverde, Mauricio Pochettino oder Massimiliano Allegri. Die passen ungefähr so gut zum BVB wie Kaviar ins Ruhrgebiet. Jürgen Klinsmann wäre frei und ich muss gestehen: Das hätte schon eine gewisse Ironie. Und in drei Wochen, wenn Klinsmann an einem neuen Tagebuch über die Zustände in Dortmund arbeitet, kann der BVB das Ganze dann als verspäteten April-Scherz entlüften und Lucien Favre nach verdientem Urlaub zurück auf die Bank setzen.

Nein, Alternativen gibt es auf dem freien Markt nicht. Zumindest keine, die fachlich und tatsächlich auch nur ansatzweise an Lucien Favre herankommen. Der Name Julian Nagelsmann wird durch das Westfalenstadion geistern, klar. Und wenn er dann tatsächlich aus seinem Vertrag in Leipzig herauszukaufen ist - meinetwegen. Dafür Lucien Favre vor die Tür zu setzen, wäre eine vertretbare Entscheidung. Sofern der Schweizer seinen Vertrag erfüllt hätte und in allen Ehren hätte gehen können. So aber ist die Entlassung Favre als purer Aktionismus zu verstehen - und der BVB muss sich fragen, wieso seit Jahren ein Kurs des Understatements gefahren, aber nicht in der nötigen Konsequenz umgesetzt wird. Das ist nicht integer, das ist Heuchlerei.

Der BVB geht auf die Suche nach dem Super-Trainer

Also, Lucien Favre ist weg. Edin Terzic übernimmt bis zum Sommer. Das ist gut, aber eben nicht besser als Favre. Und im Sommer kommt dann Jürgen Klopp zurück. Andernfalls dreht sich das Dortmunder Hamsterrad weiter und weiter. Dann darf der nächste Kandidat versuchen, mit 18-jährigen Top-Talenten und einer im Vergleich zum FC Bayern geschätzten Budget-Differenz von 300 Millionen Euro, Deutscher Meister zu werden.

Edin Terzic ist bis Saisonende Cheftrainer beim BVB
Edin Terzic ist bis Saisonende Cheftrainer beim BVB / DeFodi Images/Getty Images

Der BVB fängt wieder einmal bei Null an. Welchen Kurs der amtierende Vizemeister einschlagen wird, gilt es zu beobachten. Die kommenden sechs Monate dürfen sich Michael Zorc, Aki Watzke und Co. mit bohrenden Fragen zur Zukunft auf dem Trainerstuhl in Dortmund herumschlagen. Und wenn es im schwarz-gelben Hamsterrad doch noch keine Idee geben sollte - ich wüsste da wen: Lucien Favre ist derzeit frei. Der soll gut sein. Wenn gut reicht.