Kommentar: Pep Guardiola hat nicht verstanden, was den FC Bayern großartig macht
Von Florian Bajus

Einer der Gründe für Pep Guardiolas Abschied vom FC Bayern im Sommer 2016 soll die Transferpolitik der Verantwortlichen gewesen sein. Das schreibt BILD-Reporter Christian Falk in seinem Buch "Inside FC Bayern". Sollte dem so sein, hat Guardiola nicht verstanden, was den FC Bayern ausmacht.
Pep Guardiola ist als einer der erfolgreichsten Trainer in die Geschichte des FC Bayern eingegangen. Der Katalane, der nach einem Sabbatical nach München wechselte und Jupp Heynckes nach dem Triple 2013 ablöste, hob den Verein auf ein neues Level. Seine Spielidee verwandelte die Mannschaft in eine extrem variable Ballbesitz- und Pressingmaschine, die nahezu jeden ihrer Gegner an die Wand spielte. Die Guardiola-Bayern gewannen 124 ihrer 161 Pflichtspiele, erzielten 414 Tore bei 128 Gegentoren und sammelten im Schnitt 2,41 Punkte pro Spiel. Doch es lief nicht alles rosig.
Am bekanntesten ist die Auseinandersetzung zwischen Guardiola und dem langjährigen Mannschaftsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der nach einer 1:3-Niederlage im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Porto im April 2015 seinen Rücktritt erklärte. Guardiola habe ihn für die Niederlage in Porto verantwortlich gemacht, erklärte Müller-Wohlfahrt, der Guardiola noch heute als sturen Besserwisser skizziert. Tatsächlich hatten die Bayern während seiner drei Jahre auffällig häufig mit muskulären Verletzungen zu kämpfen, und zum Ende einer jeden Saison fehlten der Mannschaft die entscheidenden Prozente, weshalb sie drei Mal in Folge im Champions-League-Halbfinale ausgeschieden war.
Dennoch hätten die Verantwortlichen am liebsten mit Guardiola verlängert. Aber der Katalane sagte ab, wechselte stattdessen zu Manchester City. Angeblich war die Transferpolitik der Münchner ein ausschlaggebender Grund. Guardiola habe Spieler wie Neymar, Luis Suarez, Raheem Sterling, Kevin De Bruyne, Paul Pogba, Marco Verratti und Eden Hazard gefordert - dabei waren Transfers dieser Größenordnung gar nicht nötig.
Der FC Bayern hatte bereits eine fertige Weltklasse-Mannschaft
Für das Mittelfeld erhielt Guardiola schon kurz nach Amtsantritt seinen Wunschspieler Thiago, für das Sturmzentrum verpflichteten die Bayern ein Jahr später Robert Lewandowski ablösefrei (!) von Borussia Dortmund und auf den Außenbahnen waren Franck Ribéry und Arjen Robben das Maß aller Dinge. An der Flügelzange führte bis zu ihrem Ende vor einem Jahr kein Weg vorbei, stattdessen wurde Kingsley Coman langfristig entwickelt und Serge Gnabry über Werder Bremen und die TSG Hoffenheim herangeführt - beide konkurrieren fortan mit Leroy Sané, der vor vier Jahren eben wegen Ribéry und Robben zu Manchester City gewechselt war.
Allerdings blieben auch die Bayern nicht fehlerlos. Im Januar 2016 wurde publik, dass sich die Verantwortlichen mit De Bruyne, der 2015 noch beim VfL Wolfsburg unter Vertrag stand, auf einen Wechsel geeinigt haben - allerdings wollte man nicht mehr als 50 Millionen Euro an die Wölfe zahlen. Bis heute dürfte man diese Entscheidung bereuen. Und statt Neymar erhielt Guardiola Mario Götze, während Michael Reschke, von 2014 bis 2017 Technischer Direktor, Spieler wie Gonzalo Castro oder Hakan Calhanoglu angeboten haben soll. Keiner dieser Spieler hatte das Niveau für den FC Bayern.
Auch beim FC Bayern werden junge Spieler auf Weltklasse-Niveau gehoben
Über allem standen Guardiolas Forderungen nach fertigen Stars. Dabei hat der FC Bayern in den Jahren zuvor bewiesen, dass er junge Spieler ausbilden und auf Weltklasse-Niveau heben kann. Unter Louis van Gaal erblickten unter anderem Thomas Müller und David Alaba das Licht der Welt, dank Heynckes und van Gaal wurde Schweinsteiger einer der besten zentralen Mittelfeldspieler Europas, zudem wurden Coman und Joshua Kimmich in Guardiolas letztem Jahr herangeführt.
Der FC Bayern ist kein Ausbildungsverein, aber er gibt jedem jungen Spieler mit dem nötigen Potenzial eine Chance. Wo wäre Alphonso Davies heute, wenn Hasan Salihamidzic ihn vor zwei Jahren nicht an die Säbener Straße gelockt hätte? Welche Entwicklung hätte Niklas Süle genommen, hätte er sich für den FC Chelsea und nicht für die Bayern entschieden? Oder wieso hat sich Tanguy Nianzou vor wenigen Wochen dem Rekordmeister angeschlossen?
Zu Guardiolas Zeit war die Nachwuchsarbeit wahrlich nicht vielversprechend. Talente wie Lucas Scholl, Gianluca Gaudino oder Sinan Kurt haben sich nicht nachhaltig in den Profi-Kader integrieren können. Doch der Verein hat an dieser Schwachstelle gearbeitet. Aktuell trainieren Joshua Zirkzee, Oliver Batista Meier, Sarpreet Singh, Bright Arrey-Mbi und Malik Tillman bei den Profis mit, das Quintett wird sogar mit zum Champions-League-Turnier nach Lissabon reisen dürfen, sollte der Einzug ins Viertelfinale gelingen. Ob jeder von ihnen auf Weltklasse-Niveau spielen wird, lässt sich nicht abschätzen - aber mit dieser Strategie zählen die Bayern noch immer zu den besten Vereinen Europas.
Man kann auch weniger Geld investieren und erfolgreich sein
Während City seit der Übernahme von Guardiola unzählige hunderte Millionen Euro in neue und teure Spieler investiert hat, gehen die Münchner konservativer mit ihrem Festgeldkonto um. Laut transfermarkt.de liegen die Ausgaben der Skyblues seit Sommer 2016 bei rund 778 Millionen Euro, bei den Bayern summieren sich diese auf 385 Millionen Euro. Und während City rund 295 Millionen Euro eingenommen hat, kommen die Bayern auf 222,55 Millionen Euro.
Der Erfolg gibt den Bayern recht - City gewissermaßen aber auch. Unzählige Spieler hat der englische Spitzenklub in den vergangenen vier Jahren verpflichtet, viele von ihnen haben einen hohen zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Doch das einzige wirkliche Talent, das den Sprung in die erste Mannschaft geschafft hat, ist Phil Foden.
Ein (erfolgreiches) Missverständnis(?)
Trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit könnte man Guardiolas Zeit beim FC Bayern als Missverständnis interpretieren. Der 49-Jährige konnte sich mit diesem bedeutsamen Grundprinzip, Talente nachhaltig zu fördern, offenbar nie so wirklich anfreunden. Stattdessen wechselte er nach Manchester, wo das Geld nur so fließt und die Möglichkeiten nahezu unendlich sind.
Diesen Weg kann man gehen, wenn er einen erfüllt. Aber Trainer wie Jürgen Klopp, Julian Nagelsmann, Erik ten Hag, Lucien Favre oder Hansi Flick - um nur ein paar zu nennen - haben bewiesen, dass man auch junge Spieler fördern und zu Leistungsträgern entwickeln kann. Man muss es nur wollen und den Talenten sein Vertrauen schenken. Dazu scheint der von Erfolg besessene Guardiola nicht bereit zu sein.