Kaderrevolution beim Hamburger SV: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ein nur allzu bekanntes Bild: HSV-Spieler (hier Simon Terodde) am Boden
Ein nur allzu bekanntes Bild: HSV-Spieler (hier Simon Terodde) am Boden / Martin Rose/Getty Images
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Wie zu befürchten war, hat der Hamburger SV es nicht einmal mehr zum Minimal-Ziel, gesteckt bei der Amtsübernahme von Horst Hrubesch als Chefcoach, geschafft (sprich: drei Siege einzufahren, um dann zu sehen, was die Konkurrenz macht!), sondern sich mit einer weiteren unterirdischen Leistung bereits am vorletzten Spieltag aller Resthoffnungen auf die Relegation beraubt. Man könnte auch sagen: er ist sich bis zum vorletzten Spieltag treu geblieben.


Denn abermals wurden alle Durchhalteparolen und rechnerisch mögliche Szenarien, die in den Tagen nach Hrubeschs euphorisierendem Debüt (dem allerdings viel zu hoch gehängten 5:2-Sieg gegen den Club) lauthals verkündet oder durchkalkuliert worden waren, durch die eigene absurde Performance der Kicker auf dem grünen Rasen konterkariert.

Wenn schon eine Klub-Legende und ein absoluter Teamplayer wie Horst Hrubesch nach Abpfiff Probleme hat, die Kontenance zu wahren und schonungslos das Fehlen von absoluten Basics (wie Einsatz und Leidenschaft) bemängelt, sollte man sich als übergeordnete sportliche Führung vielleicht doch ernsthafte Gedanken darüber machen, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll.

Horst Hrubesch
War erschüttert ob der Leistung seiner Mannschaft: Horst Hrubesch / Martin Rose/Getty Images

Der HSV, das steht seit dem gestrigen16. Mai 2021 endgültig fest, wird auch in der Saison 2021/22 "nur" zweitklassig unterwegs sein. Folgerichtig, wenn man sich das Gros der Spiele allein in der Rückrunde betrachtet.

Was im Sommer 2018 als einmaliger Ausrutscher und schnell zu reparierender Betriebsunfall deklariert wurde, entpuppt sich nun, drei Jahre später, als weiterhin spürbare Folge jahrzehntelanger Misswirtschaft und Fehleinschätzungen.

Wenigstens herrscht jetzt Planungssicherheit

Und dennoch steckt in dieser abermaligen riesengroßen Enttäuschung auch eine Chance. Als ich das Interview von Hrubesch auf Sky verfolgte, schoss mir jedenfalls folgender Gedanke durch den Kopf: immerhin eine Woche mehr Planungszeit.

Klingt vielleicht sarkastisch, ist aber in diesem Fall gar nicht so gemeint. Denn natürlich ist in einem jeden (Transfer-)Sommer Zeit bares Geld. Je eher du beginnen kannst, deinen Kader für die kommende Saison zu planen, um so besser.

Gegenüber den Konkurrenten auf dem Transfermarkt, die nach dem nächsten Spieltag am kommenden Wochenende immer noch nicht wissen, wo für sie die Reise ab August hingeht, und sich darüber hinaus auch noch mit der Relegation (26. und 29. Mai) rumplagen müssen, hat der HSV jetzt gute zwei Wochen Vorsprung.

Doch ich fürchte, dass dieser Klub, der sich seit Jahren offensichtlich sehr wohl damit fühlt, im eigenen Saft zu schmoren, auch diesen vom Schicksal gewährten Vorteil einfach abschenken wird. Dabei weiß man ja: jeder Tag im (Transfer-)Sommer kann bares Geld wert sein. Und jede Minute, die man der Konkurrenz voraus ist, kann am Ende über einen strategisch wichtigen Transfer entscheiden.

Doch ich höre sie schon, die gebetsmühlenartig vorgetragenen Argumentationsschablonen von wegen der "Zeit, die man sich angesichts einer solch wichtigen Personalentscheidung" nehmen will. Dass die damit implizierte Nachhaltigkeit jedoch Jahr für Jahr aufs Neue auf der Strecke bleibt: geschenkt.

Dabei geht es bei der Trainerfindung ja auch nicht darum, Amerika neu zu entdecken. Dossiers über ein Dutzend in Frage kommender Trainerkandidaten dürften griffbereit in den Archiven der sportlichen Führung liegen.

Diese Akten schleunigst abzuarbeiten, eine Kurzliste der präferierten Übungsleiter zu erstellen und jeden einzelnen Kandidaten (vier oder fünf, mehr sollten es eigentlich nicht sein) dann auf Herz und Nieren abzuklopfen, darf eigentlich nicht mehr als ein paar Wochen in Anspruch nehmen.

Warum nicht mal eine Kader-Revolution starten?

Denn genügend Arbeit wird auf den neuen, starken Mann auf der Kommando-Brücke sowieso zukommen. Bei einem Blick auf den aktuellen Kader fällt auf: so richtig unantastbar sind die wenigsten Spieler.

Da wären zum einen die Kicker, deren Verträge im Sommer nächsten Jahres auslaufen. Die Fragen, die sich hier stellen: verlängern, verkaufen oder ins letzte Vertragsjahr gehen (mit der entsprechenden Aussicht auf keinen Transfererlös)?

In dieser Situation befinden sich aktuell: Daniel Heuer Fernandes, Rick van Drongelen, Toni Leistner, Jan Gyamerah, Klaus Gjasula, Gideon Jung, Jeremy Dudziak, Khaled Narey, Manuel Wintzheimer und Robin Meißner.

Als absolut unverzichtbar hat sich von diesen zehn Spielern, wenig überraschend, keiner entpuppt. Als Anführer der Defensive würde ich Toni Leistner jedoch an Bord behalten. Und Robin Meißner, der unter Hrubesch seine Chance bekam - und sie mit drei Scorerpunkten (zwei Treffer, eine Vorlage) in zwei Spielen zu nutzen wusste.

Bei allen anderen genannten Spielern dieser Gruppe würde ich ganz klar kommunizieren, den Vertrag nicht verlängern zu wollen.

Sollten in den kommenden Wochen und Monaten bis zum Saisonstart (bzw. bis zum Transfer-Schluss) Angebote für sie eintrudeln, die natürlich angesichts der nur einjährigen Frist bis zum Vertragsende nicht üppig ausfallen werden, sollte man sich mit ihnen beschäftigen.

Kommen keine zufriedenstellenden Offerten, geht man halt in das letzte Vertragsjahr. Vielleicht "beflügelt" die Aussicht, ab Sommer nächsten Jahres ohne Vertrag dazustehen, ja den einen oder anderen.

Einen weiteren Block im derzeitigen Aufgebot der Hamburger bilden die Spieler, deren Verträge im Sommer 2023 auslaufen. Hierzu gehören: Sven Ulreich, Tom Mickel, Moritz Heyer, Tim Leibold, David Kinsombi und Sonny Kittel.

Mickel als dritten Torwart und erwiesenermaßen wichtigen Akteur für das Binnenklima der Hamburger im Kader zu behalten, stellt kein großes Risiko dar. Weder sportlich noch finanziell. Ansonsten würde ich Moritz Heyer behalten - und mir für Ulreich, Leibold, Kinsombi und Kittel auf jeden Fall Angebote anhören. Auf die Torwartfrage komme ich später noch gesondert zu sprechen.

Blieben noch die Spieler, deren Verträge noch drei Jahre, also bis 2024, laufen: Stephan Ambrosius, Jonas David, Josha Vagnoman, Amadou Onana, Bakery Jatta und Ogechicka Heil fallen unter diese Kategorie. Richtig Geld zu verdienen wäre wohl nur mit Ambrosius, Vagnoman und Onana.

Stephan Ambrosius
Fällt noch monatelang aus: Stephan Ambrosius / Martin Rose/Getty Images

Den derzeit (und noch monatelang) verletzten Ambrosius, der ja erst vor kurzem seinen Vertrag bis 2024 verlängert hat, würde ich jedoch sowohl aus sportlichen als auch vereinsromantischen Gründen (Hamburger Jung, der sich somit als Identifikationsfigur anbietet) unbedingt behalten.

Bei Amadou Onana bin ich mir nach dieser Saison nicht ganz so sicher. Angesichts seines immer noch sehr jungen Alters (wird im August 20), kann man aber eigentlich nicht viel falsch damit machen, ihn in die nächste Saison mitzunehmen.

Angedeutet hat er sein Potential ja schon des Öfteren. Bei einem "unmoralischen" Angebot jenseits der fünf Millionen Euro würde ich aber auch hier Verhandlungsbereitschaft signalisieren.

Bei Josha Vagnoman wiederum plädiere ich klar auf Verkauf. Offenbar scheint auch der HSV so zu planen, wenn man einem kürzlichen Bericht des Hamburger Abendblattes Glauben schenken darf, demzufolge sich die Hamburger einen Transfererlös von bis zu acht Millionen Euro für den U21-Nationalspieler erhoffen.

A propos U21: im Rahmen der ersten Phase der U21-EM im vergangene März rutschte dem guten Vagnoman ein Kommentar raus, der eigentlich in einer jeden Mannschaft ein No-Go sein sollte. Sinngemäß war er gefragt worden, wie er es sich erklärt, im Kreise der Nationalspieler-Kollegen so viel besser zu spielen als im Klub.

Und Vagnoman fiel tatsächlich nichts besseres ein, als darauf zu verweisen, dass die Qualität der Spieler bei der Nationalmannschaft ja viel höher sei als beim HSV. Das lass mal nicht deine Hamburger hören, schoss es mir damals automatisch durch den Kopf.

Gerrit Nauber, Josha Vagnoman
Könnte in diesem Sommer zu Geld gemacht werden: Josha Vagnoman / Alexander Scheuber/Getty Images

Ob die vom HSV anvisierten acht Millionen Euro jetzt ein wirklich realistischer Betrag sind oder nicht - Vagnoman würde ich auch für weitaus weniger abgeben. Vier bis fünf Millionen - und gut ist. Über Jahre hinweg habe ich diesen Spieler ziemlich intensiv verfolgt - die Enttäuschungen überwogen bei weitem. Dass er sich nunmehr auch nicht unbedingt als Teamplayer geoutet hat, macht die Entscheidung um so leichter.

Sechs Spieler können bleiben - 18 können gehen!

Stand jetzt blieben für mich für die kommende Saison also folgende Kicker aus dem aktuellen Kader übrig: Tom Mickel, Toni Leistner, Stephan Ambrosius, Moritz Heyer, Amadou Onana und Robin Meißner.

Von den 24 Spielern im aktuellen Kader blieben also genau sechs (Simon Terodde verlässt den Klub Richtung Schalke, Aaron Hunts Vertrag läuft in sechs Wochen aus).

Insgesamt habe ich mir einen Transfererlös von zwischen 15 und 20 Millionen Euro vorgestellt - mit dem dann das Gros der Neuverpflichtungen finanziert werden müsste. Und dabei sollte man endlich mal wieder das Hauptaugenmerk auf einen überdurchschnittlichen Torwart legen.

Sven Ulreich
Wurde nie zum erhofften Rückhalt beim HSV: Sven Ulreich / Martin Rose/Getty Images

Wenn der dann vier oder fünf Millionen Euro kostet (was ja im globalen Fußballbusiness auch kein Geld mehr ist, für den HSV aber ein dickes Brett bedeutet), dann ist das eben so. Für mich die absolut neuralgische Stelle in einem jeden Kader - und entsprechend noch wichtiger, als einen Mittelstürmer oder Spielmacher (die wir auch brauchen!) zu holen.

Trainerfrage drängt - Walter und Schweinsteiger im Gespräch!

Doch achtzehn neue Spieler zu holen (denkbar wären in diesem Zusammenhang etwaige "Beförderungen" des einen oder anderen Spielers aus den Nachwuchsteams oder der zweiten Mannschaft) ist natürlich eine Mammutaufgabe. Deren Bewältigung auch nicht leichter wird, wenn man bei der Trainerfrage nicht bald mal in die Puschen kommt.

Der kicker berichtet von Hamburger Planspielen um Tim Walter, der vor zwei Jahren (während der ersten Saison des HSV im Unterhaus) ziemlich erfolgreich bei Holstein Kiel gearbeitet hatte und in der Folgesaison beim VfB Stuttgart nach nur einem halben Jahr die Segel streichen musste.

Hamburger SV v Olympiakos Piraeus - Pre-Season Friendly
Letzte Saison Co-Trainer unter Dieter Hecking beim HSV: Tobias Schweinsteiger / Johann Schwarz/Getty Images

Die Bild wiederum bringt den letztjährigen Co-Trainer von Dieter Hecking, Tobias Schweinsteiger, ins Gespräch.

Ich halte in diesem Zusammenhang auch die Bestellung eines Miroslav Klose für eine nachdenkenswerte Option. Als Rekord-Torschütze des DFB bringt Miro schon von Haus aus eine gewisse Aura mit. Und Vorbehalte, er wirke für den Trainerjob zu ruhig, können ebenfalls schnell dahingehend entkräftet werden, dass nicht alles, was in einer Fußballkabine passiert, nach außen dringt.

Und außerdem: vermeintliche Erlöser, mit großen Namen und ansehnlicher Vita, die den Klub endlich raus aus dem Teufelskreis von Misserfolg, wegbrechenden Einnahmen und daraus resultierendem neuen Frust führen sollten, hat man am Volkspark auch schon zu viele gesehen.