Joachim Löw warnt: "Die Situation ist nicht ungefährlich"

Joachim Löw hat großes vor, sieht jedoch auch noch Schwächen.
Joachim Löw hat großes vor, sieht jedoch auch noch Schwächen. / Alexander Hassenstein/Getty Images
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So wirklich gut einschätzen kann man den wirklichen Leistungsstand der Deutschen Nationalmannschaft nicht. Man denke nur an die böse 0:6-Klatsche gegen Spanien oder die Probleme in der Abwehr. Auf der anderen Seite brilliert dagegen die neue Mittelfeldachse mitsamt den Offensivspielern Serge Gnabry und Leroy Sané. Demnach wird auch Bundestrainer Löw nicht so genau wissen, wo seine letzte Reise mit dem DFB-Team endet. Im Interview mit dem Kicker, das in der Montagsausgabe erscheinen wird, stellt er seine Sicht der Dinge klar.

So viel Freude an der Nationalmannschaft, wie vor allem in der Anfangsphase gegen Island, hatte man als Zuschauer lange nicht mehr. Wie stabil diese Leistungsfähigkeit jedoch ist, muss die Löw-Elf erst noch beweisen. Gegenüber dem Kicker bewertet Löw die Leistungen "insgesamt ein bisschen schwankend, die Situation ist nicht ungefährlich". Ungefährlich ist die Situation schon alleine deshalb nicht, weil bei der EM mit Frankreich und Portugal bereits in der Vorrunde zwei Topfavoriten auf das wankelmütige Team warten. Demnach braucht es Spieler, die sich in bester Verfassung befinden.

Laut des Bundestrainers gehören zu diesen Spielern unter anderem Ilkay Gündogan und Antonio Rüdiger, die in der Premier League derzeit so stark sind wie noch nie. Insbesondere die Aufzählung des Manchester-City-Stars ist interessant. So hat dieser im Mittelfeld mit Toni Kroos, Joshua Kimmich und Leon Goretzka große Konkurrenz. Gar nicht auszuschließen, dass also doch der Madrilene um seinen Platz zittern muss. Dies gilt auf alle Fälle auch für Niklas Süle, der zuletzt im DFB-Dress nicht überzeugen konnte und verletzt abreisen musste. "Er kennt meine generellen Anforderungen," so der Weltmeister-Trainer von 2014. "Gerade nach dem, was im November passiert ist, als wir einen echten Rückschlag erlitten haben müssen die nun klar definierten Vorgaben erfüllt werden", führt er fort. Welche diese genau sind bleibt offen. Für Süle wird es aber wichtig sein, die volle Fitness und Spielpraxis aus München mitzunehmen.

Löw warnt seine Spieler: "Kann sein, dass der ein oder andere nicht dabei sein wird"

Neben dem Bayern-Verteidiger müssen aber auch andere Spieler um ihre Rolle im Team oder einen Platz im Kader kämpfen. "Insgesamt ist unser Kader größer geworden, von daher ist der Konkurrenzkampf gegeben. Deshalb kann es durchaus sein, dass der eine oder andere, der von der EM-Teilnahme überzeugt ist, dann doch nicht dabei ist," so Löw. Ein Warnschuss, der gesessen hat. Gefahrenstufe Rot ist derzeit für die beiden Dortmunder Marco Reus und Julian Brandt sowie für den Pariser Julian Draxler angesagt. Grund hierfür ist unter anderem Amin Younes, der "absolut ein Thema für die EM ist". Zudem wäre da auch noch ein gewisser Thomas Müller, dessen Nicht-Nominierung gemessen an seinen Leistungen eigentlich ein Absurdum wäre. Der Bayern-Star könnte im offensiven Mittelfeld gegen Kai Havertz um seinen Platz kämpfen. "Ich kann ihn vielleicht nicht für sechs oder sieben Spiele über die volle Distanz einplanen, aber für die besonderen Momente. Weil er eine außergewöhnlich gute Qualität hat," so Löw über den jungen Offensivmann vom FC Chelsea. Gut möglich, dass dieser eine ähnliche Rolle als Edeljoker einnimmt, wie einst Mario Götze.

Kai Havertz
Martin Rose/Getty Images

Löw fordert höchste Qualität: "Spielen gegen Mbappé und Ronaldo"

Für welche 22 Spieler sich der Bundestrainer letztlich entscheidet, hängt von ganz bestimmten Kriterien ab. "Das oberste Kriterium: Welche Spieler sind auf welchen Positionen dafür prädestiniert, unseren Spielstil und unsere Anforderungen umzusetzen", erklärt der Nationalcoach. Wichtig sei Löw auch, dass die Spieler internationalen Ansprüchen genügen und bestenfalls in einer Top-Liga aktiv sind. "Wir spielen gegen die Besten wie Mbappé, Griezmann oder Cristiano Ronaldo. Auf allerhöchstem Niveau zu bestehen und die Tore zu machen - das ist unser Anspruch," stellt Löw klar und verweist auf Miroslav Klose, der gegen Weltklasse-Gegner oft brillierte.

Löw will den Fokus auf die Offensive legen

Joachim Löw ist fest entschlossen, seiner Amtszeit ein positives Ende zu bescheren. "Es ist noch alles sehr fragil, es wackelt noch", hadert er aber ein wenig. Als Problem sieht er dabei erstaunlicherweise nicht die Abwehr. "Die Abwehr ist das kleinste Problem", erklärt der Trainer, der den Schlüssel nach großen Siegen auf dem Weg nach vorne sieht. Eine Aussage, die ein wenig verwundert angesichts der schweren Aufgaben für das DFB-Team. Worte, die auch darauf schließen lassen, dass Löw dem Personal vertraut und nicht unbedingt auf Hummels oder Boateng zurückgreifen möchte. Der DFB-Coach will den Fokus aber auch nicht auf die Defensive legen. "Das höre ich zu häufig: gegen den Ball arbeiten", sagt er und unterstreicht: "Das Entscheidende im Fußball ist: Was ist zu tun, wenn ich den Ball habe", führt er fort. Daran will Löw in den Trainingseinheiten im Vorfeld der EM noch feilen.

Damit es dann aber wirklich mit einem erfolgreichen Abschneiden klappt, wird die Mannschaft anders als 2018 wieder die volle Motivation auspacken. "Wir müssen die Mannschaft mit dem größten Ehrgeiz, mit dem größten Willen werden. Diesen Ansatz müssen wir reinkriegen. Wir müssen uns sagen: Wir ziehen es durch! Wir ziehen es konsequent durch", fordert er. Eine Grundvoraussetzung, dass Löw mit einem Positivgefühl das Zepter an seinen Nachfolger übergeben darf.