Hütters Hypothek - Gladbach steht vor einem gewagten Manöver

Adi Hütter steht vor einer großen Aufgabe
Adi Hütter steht vor einer großen Aufgabe / PATRIK STOLLARZ/Getty Images
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Nachdem Eintracht Frankfurt und die Borussia nun auch offiziell verlautbaren ließen, dass sich Trainer Adi Hütter zur kommenden Saison am Niederrhein einfinden wird, schaffte man endlich Klarheit im Bezug auf die Nachfolge von Marco Rose. Doch die Umstände der Verpflichtung sorgen für erhöhten Diskussionsbedarf, auch wenn eines völlig außer Frage steht: Hütter ist ein absoluter Fachmann und kann daher ein Glücksfall für die Gladbacher werden.


Die Parallelen zu Roses langwierigem Prozess des Ausweichens und Windens im Bezug auf ein klares Bekenntnis zur Borussia wurden auch bei Hütter in den letzten Tagen ersichtlich. "Soll ich mich jetzt jeden zweiten, dritten Tag hier hinstellen und irgendwas kommentieren oder dementieren? Ich bin 100% fokussiert auf unsere Aufgabe", sagte Hütter noch Anfang April zu einem möglichen Abgang nach Gladbach.

Doch, im Gegensatz zum nach Dortmund entschwindenden Rose, zog sich dieses Schauspiel nicht über mehrere Monate in die Länge, vielmehr sorgten beide Vereine relativ zeitnah für Klarheit. Sicherlich tat sich Hütter selbst keinen Gefallen, als er Ende Februar noch mit den Worten "Ich bleibe" für eine Aussage sorgte, die nun - nur sechs Wochen später - keine Bedeutung mehr hat.

Hütter profitiert - wie auch Rose - von einer im Vorfeld vereinbarten Ausstiegsklausel. Diese Klausel wurde erst im September 2020 integriert, als man in Frankfurt den Vertrag mit dem Österreicher vorzeitig bis 2023 verlängerte. Mit einer Ablösesumme in Höhe von kolportierten 7,5 Millionen Euro steigt Hütter zum teuersten Trainer der Bundesligageschichte auf. Sollten weitere Bonuszahlungen folgen, würde er sogar zum zweitteuersten Übungsleiter der Welt aufsteigen.

Die Borussia begibt sich mit Hütters Verpflichtung also in Gefilde, die anhand des voraussichtlichen Engagements von drei Jahren, für das Hütter unterschrieben hat, bemerkenswert erscheinen. Um nun zu ergründen, warum sich Gladbachs Sportdirektor Max Eberl für dieses Vorgehen entschied, müssen zunächst einige Aspekte relativiert werden.

Vermeintliche Stolpersteine der Diskussion

  1. Hütter ist nicht Rose: Auch wenn man einige Parallelen ziehen kann, unterscheiden sich die beiden Transfers in vielerlei Hinsicht ganz wesentlich. Während Rose sein angekündigtes Projekt bei der Borussia für die in seinen Augen größere Strahlkraft der Dortmunder herschenkt, stand Hütter vor einer ungewissen Zukunft bei der Eintracht. Die Abgänge von Bruno Hübner und Fredi Bobic, sowie die wohl anstehenden Spielerverkäufe, wollte Hütter scheinbar nicht erdulden. In Gladbach findet er nun ein auf lange Sicht stabiles Umfeld vor, dass ihm selbst auch Planungssicherheit geben wird. Zudem kann man davon ausgehen, dass Hütter ein ernsthaftes Interesse an der Weiterentwicklung der Borussia hat, wenn er die zu erwartende Teilnahme an der Königsklasse eines sich mit den Fohlen auf Augenhöhe befindlichen Klubs wie der Eintracht sausen lässt.
  2. Fußball ist ein Geschäft: So platt es klingt, die Zeit der Romantik ist schon lange vorbei. Trainer können nichts für die Höhe ihrer Ablösesummen und sind - bis auf wenige Ausnahmen - keinem Verein auf Lebenszeit verschrieben. Wenn die Borussia weiterhin oben mitspielen will, wird sie sich dahingehend den Gesetzen des Geschäfts anpassen müssen. Treuebekundungen gelten nur solange, bis sie revidiert werden und Trainer wie Spieler kommen und gehen.
  3. Die Zeit der Ankündigung: Sicherlich kann man den Zeitpunkt der offiziellen Bekanntmachung von Hütters Wechsel kritisieren, immerhin treffen beide Klubs nur wenige Tage später in der Bundesliga aufeinander. Letztlich kann man jedoch jeden Zeitpunkt kritisieren, da sich immer Argumente für Kritik finden lassen. Bei Rose war es definitiv zu spät, bei Hütter hätte man gerne eine Woche warten können - geschenkt!

Hütters Hypothek könnte Kräfte freisetzen

Dennoch darf man Hütters Wechsel nicht komplett unkritisch betrachten. Auch wenn die fälligen Summen - so absurd sie sein mögen - schlicht die Auswüchse des modernen Profifußballs widerspiegeln, stehen sie im Raum. Ebenso ist es Fakt, dass Hütter nicht den Königsklassen-Erfolg mit der Eintracht ernten wird und stattdessen die Gladbacher Weiterentwicklung vorantreiben will.

Man stelle sich vor, der Österreicher kommt mit den dann im abzusehenden Neuaufbau befindlichen Fohlen nur schleppend aus den Startlöchern der kommenden Saison. Sofort werden Anhänger und Medien sich auf die Punkte "Ablösesumme" und "falsche Entscheidung bei der Vereinswahl" stürzen.

Wie schnell solch eine Unruhe im Umfeld für einen Negativlauf sorgen kann, durfte man bei der Borussia bereits in der laufenden Spielzeit beobachten. Die Hypothek Hütters ist somit alles andere als gering, dennoch muss man Max Eberl zu diesem Schachzug gratulieren.

Max Eberl
Max Eberl hat mal wieder Grund zur Freude / Matthias Hangst/Getty Images

Denn nicht nur ist Hütter ein absoluter Fachmann, der bestens für die Nachfolge von Marco Rose geeignet scheint. Vielmehr bringt der 51-Jährige eine Form von Autorität in den Klub, die man seit der Zeit unter Lucien Favre nicht mehr vorweisen konnte.

Unter Umständen werden genau jene Aspekte seiner Verpflichtung dafür sorgen, dass Hütter und die Mannschaft von Beginn an verstehen werden, dass nur die entsprechenden Leistungen auf dem Platz für ein schnelles Beenden der verständlichen Anfangszweifel sorgen werden. Sollte die Borussia diese kritische erste Phase jedoch schadlos überstehen, wird im Sommer 2022 mit ziemlicher Sicherheit niemand mehr an die aktuellen Begleitumstände denken.

Eberl geht mit vollem Bewusstsein in ein Manöver, dass große Risiken birgt. Jedoch tut er das, weil er davon überzeugt ist, dass diese taktische Maßnahme einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung "seines" Klubs darstellen wird. Letztlich bringt kein Trainer eine Garantie auf Siege oder spielerischen Glanz. Bei der Konstellation Eberl-Gladbach-Hütter stehen die Chancen allerdings gar nicht mal so schlecht. Heißen wir diesen Mann also willkommen und geben wir ihm - trotz der diskussionswürdigen Umstände - eine faire Chance.