Der schwarz-weiß-blaue Teufelskreis!

Ein alljährliches Bild: HSV-Spieler vor den Scherben einer verkorksten Saison
Ein alljährliches Bild: HSV-Spieler vor den Scherben einer verkorksten Saison / Alexander Scheuber/Getty Images
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Mit Nachdruck hat auch der Spielerkader 2020/21 des Hamburger SV dafür gesorgt, dass seine immer noch zahlreichen Anhänger pünktlich zum Saison-Finale wieder dumm aus der Wäsche gucken. 


Der Mechanismus ist dabei alljährlich derselbe: Im Sommer, zwischen den Spielzeiten, bemüht sich ein jeder Fan mit der Raute im Herzen darum, die Ereignisse der zurückliegenden zu verdrängen. Erster Teil.

Danach - und trotz des instinktiven Wissens, dass die Ursachen für den Absturz tiefer liegen müssen als nur in einem wieder mal falsch zusammengestellten Kader oder in der falschen Wahl des Übungsleiters -  beginnt man (mit immer größerer Kraftanstrengung), die zwischenzeitlich auf Null gesunkenen Erwartungen wieder hochzufahren. Zweiter Teil. 

In den ersten Wochen der Saison redet man sich dann die einzelnen Ergebnisse schöner als sie wirklich waren. Dritter Teil.

Bis man am Ende doch wieder von den Realitäten eingeholt wird. Vierter und letzter Teil.

Genau dieser Prozess wird bei den meisten Fans auch ab dem kommenden Sommer wieder einsetzen. Nicht ohne vorher freilich die entsprechenden Forderungen nach einem neuen Trainer zu bekunden. Aber nehmen wir mal an, der HSV würde tatsächlich einen der derzeitigen Favoriten der Fan-Gemeinde, Steffen Baumgart, verpflichten.

Fehlende Leistungskultur auf allen Ebenen als Grundproblem

Glaubt tatsächlich noch jemand, dass es am Trainer liegt? Respektive an den fünfundzwanzig (!) Trainern, die der HSV in den letzten zwanzig Jahren verschlissen hat?

Steffen Baumgart
Nach ihm wird in den einschlägigen Foren schon lauthals gerufen: Steffen Baumgart / Pool/Getty Images

Natürlich nicht. So viel Pech kann nicht mal der HSV provozieren. Nein, genau so wie fast jeder neue Spieler beim HSV gefühlt schlechter wird, als er vorher bei seinem jeweiligen Klub performed hat, ist dies auch bei den fast jährlich wechselnden Coaches der Fall. Die Trainer passen sich nach kürzester Zeit den hier vorherrschenden Bedingungen an. 

Als neuen Chef an der Außenlinie könnte ich mir sogar Herrn Ypsilon aus Lummerland vorstellen - wenn er es denn wäre, der diesen Saustall, eine Mischung aus Bequemlichkeit, nostalgischen Großmannsträumen und Arroganz, endlich mal ausmistet. 

Aber in den Briefings, die jeder Verpflichtung voraus- und nachgehen, scheinen bisher alle Übungsleiter im Volkspark in den letzten Jahrzehnten auf genau diese “Philosophie” (die beim HSV lediglich die Absenz einer solchen bedeutet) eingeschworen worden zu sein. 

Oder einfacher formuliert: auch die härtesten Trainer-Hunde beginnen in Hamburg auf einmal, die Spieler in Watte zu packen. Keine wirklich gute Ausgangslage, um eine Leistungskultur zu etablieren. 

Jetzt könnte man fragen: Warum übernehmen die Trainer dann überhaupt den Job beim HSV, wenn sie sowieso nicht mit genügend Kompetenzen  ausgestattet werden, um hier nachhaltige Veränderungen in der Trainings-Methodik einzuführen? Nun, das müsste man die Beteiligten wohl am besten selbst fragen.

Jedem dürfte aber klar sein: Solange sich an diesem Grundproblem nichts ändert, kannst du auch einen Klopp oder Guardiola oder Flick oder Hütter oder Nagelsmann oder wen auch immer holen - es würde immer wieder aufs selbe hinauslaufen.

Die HSV-Blase, in der sich noch ein jeder verloren hat

Die Trainer machen gute Miene zum bösen (Transfer-) Spiel, bei dem der HSV, ob geringer finanzieller Mittel, regelmäßig nur Durchschnittsspieler nach Hamburg lockt. Da diese jedoch gegenüber ihren vorherigen Klubs einen (vermeintlichen) Schritt nach vorne auf der Karriereleiter gemacht haben, fühlen sie sich bereits als Sieger bevor sie überhaupt gegen den Ball getreten haben. 

Den Rest übernimmt dann die sogenannte Blase (nicht die Corona-Blase wohlgemerkt), in deren Resonanzraum dann nur noch das reflektiert wird, was innerhalb ihrer Grenzen passiert. Man entkoppelt sich somit Stück für Stück von der faktischen Wirklichkeit und installiert sich immer bequemer in der Traum-Welt eines einstmals erfolgreichen Vereins. Die guten Gehälter, die der HSV ja auch immer noch zahlt, runden das Wohlfühloasen-Feeling dann ab.  

In den kommenden Wochen (den Aufstieg habe ich natürlich mittlerweile abgehakt!) wird genau dies wieder passieren. Wenn nicht - Wunder passieren ja, gerade im Fußball, immer wieder - in diesem Jahr mal versucht wird, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und die immer wiederkehrende Problematik, mit relativ wenig Geld einen ansprechenden Kader zusammenzustellen, anderweitig zu lösen.

Im vergangenen Sommer war die emotionale Ausgangslage im Grunde genommen sehr ähnlich zu der ab dem 23. Mai zu erwartenden. 

Wir vergessen nicht, dass Dieter Hecking ein knappes Jahr zuvor mit der Aureole des Erfolgstrainers gekommen war. Nach den "Experimenten" Christian Titz und Hannes Wolf galt der erfahrene Übungsleiter quasi als Garant für den Aufstieg. Den hatte er ja auf einigen vorherigen Trainer-Stationen schon erfolgreich bewältigt.

Die verpasste Chance vom letzten Sommer...

Doch auch mit Hecking verpasste das Team das Ziel Aufstieg. Und dann gab es im Volkspark im Spätsommer 2020 über einen kurzen Zeitraum hinweg die Gelegenheit, nun doch mal eine völlig neue Schiene zu fahren. Es wurde bei der Fan-Gemeinde um Geduld gebeten, den die völlig ausgelaugte Szene auch bereit gewesen wäre, zuzugestehen. 

Dann holte man auch tatsächlich einen sogenannten Entwickler-Trainer aus dem kleinen beschaulichen Osnabrück, und für einen Moment sah es wirklich danach aus, dass ein radikaler Neuanfang gemacht werden könnte.

...und der Rückfall in alte Muster

Doch dann verfielen die Verantwortlichen abermals in die alten Handlungsmuster. Sahen sich plötzlich wieder gezwungen, auf dem Transfermarkt auf sich aufmerksam zu machen und holten Spieler (Ulreich, Terodde), mit denen du nur bedingt glaubwürdig ankündigen kannst, einfach mal nur mitspielen zu wollen und zu sehen, wie es läuft. 

Es zeigt sich eigentlich schon seit Jahren, dass dem HSV in Sachen Transfers ein wenig die Fantasie fehlt. Man hat eher das Gefühl, dass die Fans mit scheinbar (oder auch tatsächlich) großen Namen ruhig gestellt werden sollen.

Ist halt auch leichter, einfach mal den mehrfachen Torschützenkönig der 2. Liga zu holen und den zweiten Torwart von Bayern München. Sven Ulreich verkörpert vielleicht wie kein anderer die von mir oben angesprochene psychologische Dynamik, die mit derartigen Transfers einhergeht.

Geblendet vom großen Namen seines früheren Arbeitgebers, nimmt man die Tatsache, dass er dort in den vergangenen Jahren eigentlich kaum Gelegenheiten hatte, sich auszuzeichnen, billigend in Kauf. Hauptsache man kann in der Vorstellungs-PK großspurig vom "Bayern-Gen" schwadronieren, dass man mit diesem Transfer nun im Klub habe.

Wenn dann zusätzlich zu diesen "medialen" Transfers fast nur Durchschnittsspieler geholt werden, die darüber hinaus auch offensichtlich schon damit zufrieden sind, einen Vertrag beim "großen" HSV ergattert zu haben - dann ist das Scheitern eigentlich vorprogrammiert.

Warum macht der HSV keine smarten Transfers in Europa? Hat er sich seinen Ruf, der in Europa ja angeblich immer noch so viel besser sein soll als im deutschen Inland, auch außerhalb der Landesgrenzen schon ruiniert? Bleiben uns tatsächlich nur noch die Fast-Invaliden (Kittel), die bei anderen Klubs zu kurz gekommenen (Ulreich) und die, die in den beiden Spielen des Vorjahres gegen uns auf sich aufmerksam gemacht haben (Kinsombi)?

Die Fragen ist natürlich rein rhetorischer Art. Denn natürlich gibt es andere Möglichkeiten. Ich könnte jetzt jeweils ein halbes Dutzend Teams pro Liga (Bundesliga und Zweite) benennen, die es ganz famos hinkriegen, aus wenig Mitteln (bisweilen erheblich weniger als beim HSV) das nahezu Optimale rausholen.

Und jede Woche fragt man sich dann als HSV-Fan: warum spielt ein Wahl oder ein Lee eigentlich in Kiel? Oder ein Seguin in Fürth? Oder ein Dursun in Darmstadt?

Sportliche Führung muss neue Wege einschlagen

Doch schon tut sich da wieder ein vermeintlicher Widerspruch zum vorher gesagten auf: denn diese genannten Spieler würden beim HSV (siehe oben) natürlich auch alle schlechter. Ein nicht und niemals zu durchbrechender Teufelskreis also? Mitnichten. 

Jonas Boldt
Was ist unter Boldt eigentlich besser geworden? / Martin Rose/Getty Images

Ein fähiges Management müsste einfach nur dafür sorgen, wirklich hungrige Spieler, für die der HSV nicht unbedingt das (gut bezahlte) Endziel aller Karriereträume ist, nach Hamburg zu locken. Von der Vorstellung, dass diese dann nach Möglichkeit auch die Gegebenheiten der 2. Liga kennen müssten, hab ich mich mittlerweile auch schon wieder verabschiedet.

Der HSV hat es im ersten Zweitliga-Jahr (mit kaum Spielern, die im Unterhaus Erfahrung gesammelt hatten) genauso wenig geschafft, aufzusteigen, wie in den beiden folgenden Jahren mit sehr viel Zweitliga-Erfahrung. 

Und die sehr positive Entwicklung beim VfB Stuttgart (mit Wamangituka, Kalajdzic, Sosa usw.) hat ebenfalls gezeigt, dass man auch mit einer aus aller Herren Länder zusammengesetzten Truppe die gesteckten Ziele erreichen kann. 

Doch irgendwie scheint beim HSV die Vision und der Mut zu fehlen, auch mal solche Pfade zu beschreiten. Und solange das so bleibt, werden die HSV-Fans (also die dann noch übrig sind) auch in den kommenden Jahren spätestens im Frühjahr bitter enttäuscht werden.