Fußballgott, was machst du nur mit uns? Ein Kommentar über die schwindende Fußballromantik

  • Die Magie des Spiels schwindet
  • Nicht mehr der Fußball, den ich lieben lernte

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Für alle Fußballromantiker wie mich sind es wahrlich keine einfachen Zeiten. Nicht nur, dass unser geliebter Fußball immer mehr zum kommerziellen Spielball der unersättlichen Gierschlünde wird und Legenden, die jahrelang das Gesicht ihrer Vereine waren, diese verlassen, nein, auch immer mehr unserer Helden von früher verlassen uns für immer. Ein Kommentar

Früher war alles besser

Ich bin als kleiner Junge in einem Dorf aufgewachsen, als es noch kein Handy gab und man die Telefonleitung blockieren musste, wenn man ins Internet wollte. Damals haben wir noch draußen auf der Straße gekickt, mit Schulranzen als Torpfosten oder mit Kreide aufgemalten Toren. Immer wenn ein Auto kam, musste man das Spiel unterbrechen, egal wie aussichtsreich die Torchance war, und für einen kurzen Moment die Straße verlassen. Direkt neben meinem Haus war eine leicht abschüssige Wiese und die Straße daneben führte bergab in den nächsten Ort. Eigentlich gewann immer die Mannschaft, die bergauf spielte, weil sich in der anderen Mannschaft niemand traute, aufs Tor zu schießen, um den Ball nicht hinterher aus dem Nachbardorf holen zu müssen.

Ohne vorherige Verabredung, ohne WhatsApp oder ähnliches waren wir einfach immer auf dem örtlichen Fußballplatz anzutreffen. Ich würde sagen, Kinder von der 1. bis zur 9. Klasse und manchmal auch darüber hinaus waren dabei und spielten in gemischten Teams Fußball. Einmal haben wir sogar eine Art Länderspiel veranstaltet, bei dem eine Mannschaft aus unserem Dorf und eine aus dem Nachbardorf gegeneinander angetreten sind. Wir haben selbst einen Schiedsrichter organisiert und uns je nach Mannschaft einheitlich gekleidet. Es waren sogar viele Dorfbewohner da und haben zugeschaut.

Auf dem Weg zum Fußballplatz meist noch schnell beim Bäcker einen Eistee organisiert und dann den Rest des Tages mit Bolzen verbracht. Bei Wind und Wetter. Mein erstes Handy bekam ich mit 14 Jahren. Allerdings nur, weil meine Mutter mich erreichen wollte, wenn es Zeit war, zum Abendessen nach Hause zu kommen. Vorher sagte sie mir, ich solle nach Hause kommen, wenn es dunkel wird. Ich habe für mich selbst definiert, was Dunkelheit ist. Dann sagte man mir, ich solle nach Hause kommen, wenn die Laternen angehen. Ich habe gesagt, dass sie nicht angegangen sind. Manchmal haben wir sie sogar ausgetreten, um uns besser zu fühlen, weil wir nicht gelogen haben.

Jeder wollte seinem Idol nacheifern

Egal, ob man in einer großen Gruppe oder alleine auf dem Platz stand, eines war immer sicher: Jeder war für diese Zeit eine Kopie seines Idols und versuchte, dessen Spiel zu imitieren. Je nach Spielsituation konnte sich das auch mal ändern. So war ich beim Kopfball beispielsweise der Franzose David Trezeguet, beim Freistoß David Beckham und beim Dribbling der Brasilianer Ronaldo. Auch wenn wir manchmal nicht genau wussten, wie diese Spieler wirklich spielten, weil Fußball damals in der TV-Landschaft noch recht rar war, versuchten wir die wenigen Eindrücke, die wir von Turnieren wie der EM oder der WM bekamen, über Jahre hinweg zu kopieren. Auch die Spiele der Champions League waren für uns damals ein absolutes Highlight, weil man einfach selten die Gelegenheit hatte, eines zu sehen. Mein erstes Champions-League-Spiel war das Finale 1998 zwischen Real Madrid und Juventus Turin und es hat sich bis zum heutigen Tag in meine Erinnerung eingebrannt. Vielleicht war Fußball damals gerade deshalb noch magischer und emotionaler als heute.

FOOT-JUVENTUS TURIN-REAL MADRID
CL-Finale 1998 zwischen Real Madrid und Juventus Turin in Amsterdam / PATRICK KOVARIK/GettyImages

Früher war die Magie rund um den Fußball größer

Auch die Werte, der Zauber und die echten Typen von früher hatten irgendwie eine andere Strahlkraft als heute. Ich erinnere mich noch, wie ich mir in der Schulbibliothek ein Buch über Diego Armando Maradona ausgeliehen habe. Ich hatte von ihm nur als einem der größten aller Zeiten gehört und wusste überhaupt nichts über ihn. Wir hatten damals noch kein YouTube oder Instagram, wo man sich einfach Videos anschauen konnte wie heute. In dem Buch habe ich gelesen, dass Maradona als junger Nachwuchsfußballer die Fans im Stadion seines Heimatvereins damit beeindruckte, dass er in der Halbzeitpause eines Spiels den Ball jonglierte und dieser während der 15-minütigen Unterbrechung nicht ein einziges Mal den Boden berührte. Danach verbrachte ich viele Tage damit, selbst wie ein Besessener zu jonglieren, denn ich war mir sicher: Wenn es Maradona groß gemacht hat, dann muss es auch für mich gut sein. Von da an habe ich bei allen großen Namen, die mir über den Weg liefen, nach solchen Dingen gesucht. Beckenbauer, Cruyff, Pelé und Co. Sogar ihre Rückennummern hatten etwas Magisches an sich und wir kämpften vor unseren eigenen Spielen darum, die Nummer unseres Favoriten tragen zu dürfen.

Soccer - Diego Maradona
Diego Armando Maradona / Jean-Yves Ruszniewski/GettyImages

Wenn ich heute auf meinen Fußball schaue, werde ich oft sehr traurig. Vieles vom Zauber meiner Kindheit und Jugend ist verloren gegangen. Angefangen damit, dass dieser Sport immer mehr kommerzialisiert und zum Spielball großer Wirtschaftsmächte geworden ist. Er dient als Produkt zum Geldverdienen und verliert dadurch in gewisser Weise seinen Zauber. Es wird behauptet, dass gerade aus Profitgier immer mehr Wettbewerbe und Events aus dem Boden gestampft werden, die uns überfluten und dem Fußball auch etwas von diesem Besonderen nehmen. Wir sind zum Teil einfach überladen und obwohl die Möglichkeiten, Spiele zu sehen, so groß sind wie nie zuvor, stelle ich immer öfter fest, dass die heutige Jugend kaum noch wirklich bewusst Spiele anschaut. Oft laufen sie nur nebenbei, während man am Handy ist, oder gar nicht mehr.

Zuletzt hat der Tod von Franz Beckenbauer dieses Gefühl wieder in mir hervorgerufen und ich habe festgestellt, dass dort, wo seit meiner Kindheit dieser Zauber des Fußballs schlummert, immer mehr Leere und Taubheit entsteht und das Gefühl, nicht damit umgehen zu können oder zu wollen, was aus dem Fußball gemacht wird. Die Helden von einst sind fast alle tot. Beckenbauer, Pele, Cruyff und Maradona sind fort. Andere zumindest nicht mehr aktiv und zum Teil bereits vergessen.

Fußball wird zum kommerziellen Spielball geldgieriger Geschäftsleute

Die radikalen Veränderungen der Wettbewerbe, die für mich in ihrer Art und Form immer in Stein gemeißelt waren, die Aufstockung der Teilnehmer bei Welt- und Europameisterschaften für noch mehr Publicity, die vermeintliche Revolution der Champions League, die kommen wird, immer mehr Spiele und immer müder werdende Profis in Ligen und Vereinen, die teilweise nur noch als Spielball milliardenschwerer Investoren fungieren. Spiele von Inter Mailand in der Serie A, bei denen plötzlich Transformer-Roboter auf dem Platz stehen und sich der Fokus vom Spiel auf den Sponsor verlagert. Die Premier League, die nicht mehr weiß, wohin mit dem Geld und es trotzdem nicht schafft, die Stadien mit echten Fans und Stimmung zu füllen. Einst die Mutterliga des Fußballs, sehe ich sie heute eher als Event. Wie eine lieblose Fernsehsendung, die ihren Charakter und ihren Charme verloren hat. Eine Liga, die verloren hat, was sie einst auszeichnete und deren Seele verkauft wurde. Die englische Härte und Robustheit in einem rauen Klima, das mir heute noch bei verregneten Spielen den Begriff "Premier-League-Wetter" in den Sinn bringt, und Stadien voller purer Vereinsliebe und Tradition sind nun zu einer buntschillernden Luxusliga verkommen.

Auch das letzte bisschen Romantik wird einem nicht mehr gegönnt

Auch der Rest der Fußballromantik der letzten Jahre verblasst. Das Comeback von Zlatan Ibrahimovic beim AC Mailand zum Beispiel war phänomenal. Inzwischen ist Ibrakadabra im Fußball-Ruhestand. Die Rückkehr von Cristiano Ronaldo zu Manchester United, die nach anfänglicher großer Liebe in Bitterkeit und bösem Blut endete. Der Niedergang Uniteds im Allgemeinen. Die Rückkehr von Lionel Messi nach Barcelona, die nie stattfand. Die glorreichen Bayern-Zeiten mit Spielern wie Lahm, Schweinsteiger und in absehbarer Zeit wohl auch Müller sind ebenso Geschichte wie die hochdekorierten Bayern-Legenden, die einst das Gerüst des Vereins bildeten. Ein stets meinungsstarker Paul Breitner tritt nicht mehr als Bayern-Gesicht in Erscheinung, Beckenbauer, Lattek und Müller sind inzwischen verstorben, Hermann Gerland hat den Verein verlassen, der seit dem Rückzug von Hoeneß und Rummenigge nicht mehr derselbe ist und auch nach deren Rückkehr nicht wieder werden wird. Traditionsvereine wie Schalke und der HSV, die in der Bundesliga einfach fehlen. Der Tod von Kay Bernstein, der aus den Reihen der Ultras auf den Thron von Hertha BSC stieg und einen großen Verein wieder ein Stück näher an die Menschen Berlins brachte. Nun auch noch die Ankündigung von Kulttrainer Jürgen Klopp, den FC Liverpool am Ende der Saison zu verlassen. Es gäbe noch unzählige Dinge aufzuzählen, die einem Fußballromantiker wie mir das Herz bluten lassen. Eines bleibt zumindest in diesem Zusammenhang wohl aber festzuhalten: Früher war halt doch alles besser.